Lebensabschnitt
TABUZEIT VORBEI? WECHSELJAHRE ENDLICH IM FOKUS
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Sybille MĂŒller fĂ€chelt sich Luft zu, streicht sich die Haare nach hinten. âIch schwitze wie Harry. Es gibt keine Klimaanlage hier, oder?â, fragt die 47-JĂ€hrige wĂ€hrend des Interviews in der Praxis ihres Arztes. âBin ich rot im Gesicht? Jetzt ist mir richtig heiĂ im Gesicht.â MĂŒller â halblange blonde Haare, schwarzer Blazer, dezenter Goldschmuck â sieht gut aus, frisch. Aber sie fĂŒhlt sich nicht so. Hitzewallungen plagen sie seit Jahren, besser wurde es erst, seit sie Hormonpflaster verwendet.
Sybille MĂŒller, die eigentlich anders heiĂt, ist eine von Millionen Frauen in Deutschland, die unter den Wechseljahren leiden. Wenn die Eierstöcke langsam aufhören, die Hormone Ăstrogen und Progesteron zu produzieren, kann das bei Frauen zu massiven Beschwerden fĂŒhren: Hitzewallungen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Scheidentrockenheit, Konzentrationsschwierigkeiten. Rund 30 Prozent der Frauen in den Wechseljahren leiden unter leichten, 50 Prozent unter stĂ€rkeren Problemen, wie Thomas Strowitzki vom UniversitĂ€tsklinikum Heidelberg sagt.
Frauen fĂ€llt es immer noch schwer, darĂŒber zu sprechen
So viele betroffene Frauen â und trotzdem ist das Thema lange ein Tabu gewesen. Ăffnet sich die Gesellschaft aktuell oder sind Wechseljahre immer noch etwas, ĂŒber das Frau lieber nicht spricht? âIch höre immer wieder von Frauen, dass es ihnen schwerfĂ€llt, darĂŒber zu sprechenâ, sagt Mandy Mangler, ChefĂ€rztin an zwei Vivantes Auguste-Viktoria-Kliniken in Berlin.
âDas ist schon sehr tabuisiert, weil das auch etwas mit Altern zu tun hat, mit TĂŒren, die sich schlieĂen.â
Mangler sagt allerdings auch: âDie Gesellschaft verĂ€ndert sich ein bisschen.â In den Medien sei das Thema prĂ€senter.
Beginn der Wechseljahre meist Mitte 40
Bei den meisten Frauen beginnen die Wechseljahre laut Strowitzki mit Mitte 40.
Bei Sybille MĂŒller fingen sie bereits mit etwa 40 Jahren mit Schlafstörungen an. Mit 43 Jahren kamen dann Hitzewallungen dazu. Sie entschied sich, zu ihrer GynĂ€kologin zu gehen â die ihr allerdings nicht weiterhalf, wie MĂŒller erzĂ€hlt.
âDie hat da gar nichts unternommen, auch kein Blut abgenommen, mal die Hormonwerte geschaut.â Die Ărztin habe sie untersucht und gesagt, es sehe alles normal aus. MĂŒller wendet sich stattdessen an Strowitzki, der ihr nach einem Bluttest Hormone verschreibt. Sie testet erst ein Hormongel, dann die Pflaster, die sie alle zwei, drei Tage austauscht.
Aktuelles zu den Wechseljahren:
Ălterwerden wird in der Gesellschaft kritisch betrachtet
Warum fĂ€llt es Frauen immer noch schwer, ĂŒber ihre Wechseljahre zu sprechen? Katrin Schaudig, PrĂ€sidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, sagt dazu:
âDas Ausbleiben der Regelblutung ist der erste Point of no Return im Leben und ein erstes Zeichen unserer âEndlichkeitââ.
âMit der Fruchtbarkeit ist jetzt Schluss.â Das habe mit Ălterwerden zu tun â was wiederum in unserer Gesellschaft kritisch betrachtet werde. Dazu komme noch eine gerade bei Frauen verbreitete Haltung: âStell dich nicht so an, stell dich selber nicht in den Vordergrundâ â nur nicht ĂŒber Schmerzen und Probleme klagen.
Und trotzdem finde eine Enttabuisierung statt. âFrauen werden selbstbewusster in dieser Gesellschaftâ, sagt Schaudig. âWenn Sie so wollen, ist es vielleicht Teil eines feministischen Bewusstseins.â Dabei gehe es auch um die Gleichstellung der Geschlechter â so wie es etwa Bestrebungen gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und MĂ€nnern gebe.
Neun Millionen Frauen in Deutschland in den Wechseljahren
Die 64-jĂ€hrige FrauenĂ€rztin aus Hamburg, die in ihrem Podcast âHormongesteuertâ mit den Wechseljahren einhergehende Probleme wie die Zunahme des Bauchfetts erklĂ€rt, ist auch Teil der Initiative âWir sind neun Millionenâ. Die setzt sich fĂŒr eine Enttabuisierung der Wechseljahre und eine bessere Versorgung von Frauen ein. Demnach befinden sich aktuell neun Millionen Frauen in Deutschland in dieser Phase ihres Lebens.
âIch bin nicht der Meinung, dass man diese Wechseljahre-Frauen wie mit Samthandschuhen anfassen muss, aber sie mĂŒssen wahr- und ernst genommen werden.â
Mittlerweile wĂŒrden viele Betriebe Frauen Beratung zu den Wechseljahren anbieten. Auch Strowitzki, Ărztlicher Direktor der Heidelberger Klinik fĂŒr GynĂ€kologische Endokrinologie und FertilitĂ€tsstörungen, sieht vermehrt Unternehmen, die das Thema erkannt haben. So gebe es auch im UniversitĂ€tsklinikum seit Kurzem Arbeitsgruppen: Es gehe dabei unter anderem darum, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass betroffene Frauen weiter produktiv sein könnten, etwa mit Blick auf Pausen.
Auch pflanzliche Produkte können helfen
Der GynĂ€kologe betont, Frauen selbst könnten viel tun, um sich wĂ€hrend der Wechseljahre besser zu fĂŒhlen â auch ohne Hormone zu nehmen: etwa Sport, gesunde ErnĂ€hrung, aber auch Kneipp-Anwendungen, gerade mit Blick auf Hitzewallungen.
Zudem gebe es pflanzliche Produkte, die helfen könnten, wie etwa Traubensilberkerzenextrakte, Rotklee oder Soja.
Manchmal brĂ€uchten Frauen aber auch Hormone, sagt der 66-JĂ€hrige â wobei stets Nutzen und Risiken abgewogen werden mĂŒssten:
LĂ€uft die Hormonersatztherapie lĂ€nger als fĂŒnf Jahre, steigt das Risiko fĂŒr Brustkrebs, wie die Deutsche Krebsgesellschaft schreibt. Allerdings sorgten die Hormone auch fĂŒr stabilere Knochen, sagt Strowitzki. Zudem gehe es immer um den Leidensdruck der Frau.
Wechseljahre bringen auch Positives mit sich
MĂŒllers Hitzewallung hat sich wĂ€hrend des GesprĂ€chs gelegt. Sie hat fĂŒr Durchzug gesorgt: Die TĂŒr steht offen, das Fenster neben ihr auch. Sie sagt, sie rede mit ihren Freundinnen offen ĂŒber ihre Beschwerden.
âWenn man das Thema anspricht, dann kommen auf einmal vier StĂŒck und sagen: 'Ach, bei mir ist es auch' und 'Ich nehme aber das'. Und auf einmal ist es ein Riesenthema.â
Die 48-JĂ€hrige hofft mit Blick auf die Wechseljahre, dass der Umgang mit dem weiblichen Zyklus sich normalisiert, egal in welcher Lebensphase â und
âwir auch Frauen nicht abwerten, weil sie altern und in diese Lebensphase kommen. Sondern dass wir ihr Potenzial und ihre StĂ€rke erkennen und sehen.â
FrauenĂ€rztin Mangler betont, dass die Wechseljahre auch Positives mit sich brĂ€chten: Frauen mĂŒssten sich etwa keine Gedanken mehr ĂŒber VerhĂŒtung machen, sie hĂ€tten keine Menstruationsbeschwerden mehr. âFrauen neigen in dieser Lebensphase dazu, Dinge abzustellen, die sie frĂŒher so aus mehr oder weniger Goodwill mitgemacht haben â weil sie gefallen wollten.â Sie wĂŒrden sich etwa eher dafĂŒr entscheiden, SexualitĂ€t so zu leben, wie sie das wollten.
Quelle: dpa