© Ridofranz / iStock / Getty Images Plus
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Weibliche Hormone

WAS FRAUEN ANDERS MACHT

Frau sein ist besonders – ist Periode haben und Brüste, ist verhüten und schwanger sein und mit dem Klimakterium die Fruchtbarkeit verlieren. Hauptdarsteller in diesem spannenden Film: ein winziges allmächtiges Molekül, das Hormon Estrogen.

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Dabei ist es nicht nur ein Privileg der Frauen, Estrogen zu produzieren. Sowohl Männer als auch Frauen produzieren weibliche und männliche Sexualhormone, es ist wie so oft eine Frage der Dosierung, sodass letztendlich bei Männern die Wirkung der Androgene und bei Frauen die der Estrogene überwiegt. Gebildet werden die Estrogene bei der Frau in den Eierstöcken, den Ovarien, genauer gesagt in den Follikelepithelien. Aber auch andere Gewebestrukturen sind dazu in der Lage, geringe Mengen herzustellen wie Nebennierenrinde, Brustdrüsen, Gehirn, Knochen, Fettgewebe und bei Männern auch die Hoden. Das biologisch aktivste Estrogen ist das Estradiol, weiterhin werden Estron und Estriol im Körper synthetisiert.

Dreistufiger RegelkreisDie Synthese dieser Hormone wird vom Gehirn aus gesteuert. Dies geschieht in einem dreistufigen Regelkreis: Der Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns, ist dabei die oberste Schaltzentrale. Es schüttet in Intervallen Gonadoliberin, das Gonadotropin-​ausschüttende-Hormon (Go–nadotropin-releasing-Hormon, GnRH), aus. Dieses Peptid aus gerade einmal zehn Aminosäuren hat eine mächtige Funktion: Es stimuliert im Hypophysenvorderlappen die Bildung und Ausschüttung der Gonadotropine, zum einen das Follikel-stimulierende Hormon (FSH) und weiterhin das Luteinisierende Hormon (LH). Diese regen die Bildung der Sexualhormone Testosteron, Estrogen und Progesteron an. FSH stimuliert jeden Monat das Heranreifen einer oder mehrerer Eizellen (Follikel).

Mit zunehmender Größe des Follikels bildet er immer mehr Estrogen. Dieses beeinflusst nun konzentrationsabhängig im Sinne einer Rückkopplung die Ausschüttung weiterer Hormone in Hypothalamus und Hypophyse: Während geringe Estrogen-​Konzentrationen im Körper zu einer negativen Rückkopplung führen, stimulieren hohe Dosierungen die Bildung von GnRH sowie FSH und LH. Ein LH-Peak in der Zyklusmitte sorgt nun für den Eisprung. Der Follikel reißt an einer Stelle ein und gibt die Eizelle frei, die in den Eileiter wandert, danach wandelt er sich in den Gelbkörper um (Corpus luteum). Dieser produziert nun weiterhin Estrogen, zusätzlich aber Progesteron (das sogenannte „Gelbkörperhormon“), das durch eine negative Rückkopplung dafür sorgt, dass die Gonadotropinsynthese zurückgeht.

Vom Cholesterol zum Estradiol Wie alle Sexualhormone ist Estrogen ein Steroidhormon, das sich vom Cholesterol ableitet. Seine Synthese erfolgt in den Theka- und Granulosazellen. Eine Schicht aus diesen beiden Zelltypen, die aus dem Gewebe des Eierstocks entstehen, umgeben den Follikel aus Eizelle und Follikelflüssigkeit. Hierbei bilden die Granulosazellen die innere Zellschicht und die Thekazellen die äußere. Durch das Andocken von LH am LH-Rezeptor der Thekazelle wird Cholesterol unter Verkürzung der Seitenkette über Zwischenstufen in Testosteron umgewandelt.

Das „Männerhormon“ wird in den benachbarten Granulosazellen unter FSH-Stimulation mit Hilfe des Enzyms Aromatase (CYP19, Abspaltung der Methylgruppe an C-19, Ausbildung eines aromatischen Rings) zu Estradiol umgebaut. Dieser aromatische Ring sowie eine phenolische Hydroxylgruppe am C-3 sind die Voraussetzung dafür, dass das Estrogen als Schlüssel in das Schloss, also den Estrogen-Rezeptor passt. Je nach Zyklusphase produzieren Frauen im gebärfähigen Alter täglich zwischen 25 und 100 Mikrogramm (µg) Estrogen, im Klimakterium nur noch zwischen 5 und 10 µg.

Wie wirken Estrogene? Wie andere Steroidhormone auch besetzen Estrogene Rezeptoren, die sich im Zytoplasma der Zelle befinden, sogenannte intrazelluläre Rezeptoren. Gelangt das Estrogen mit Hilfe eines Transportproteins in die Zelle, bildet es mit dem passenden Rezeptor einen Komplex, der in den Zellkern wandert und dort gemeinsam mit weiteren Koaktivatoren die Transkription der DNA (Genexpression) so manipuliert, dass bestimmte Teilbereiche abgelesen werden und die entsprechende m-RNA gebildet wird. Diese wandert aus dem Zellkern ins Zytoplasma und dient hier dazu, die entsprechenden Proteine herzustellen.

Was bewirken Estrogene?Estrogene können verschiedenen Organe beeinflussen. Winzige Mengen von ihnen steuern zahlreiche Prozesse im Körper. Fügt man sie dem Körper extern zu, können sie entsprechend einen ganzen Schwall an Wirkungen auslösen und manchmal auch mit nichterwünschten Wirkungen einhergehen. Die offensichtlichste Wirkung der körpereigenen Estrogene ist, dass sie das Wachstum der weiblichen Sexualorgane, Vulva, Uterus, Ovarien und Tuben, sowie in der Pubertät der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale, Körperbehaarung, Menstruation und Brustwachstum, fördern. Eine Übersicht über die Wirkungen der Hormone zeigt die Übersicht im Kasten auf Seite 10.

ESTROGENWIRKUNG AUF EINEN BLICK:

+ fördern das Wachstum der weiblichen Sexualorgane und der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale
+ vergrößern die subkutanen Fettdepots (Ausbildung der weiblichen Körperformen)
+ regulieren den Menstruationszyklus durch Veränderung der Uterusschleimhaut und zyklische Veränderung der Viskosität des Zervixschleims
+ erhöhen die Anzahl der Progesteronrezeptoren und verbessern so die Gestagenwirkung
+ fördern die Aufnahme von Calcium-Ionen im Darm und deren Einbau in den Knochen, führen in der Pubertät zu Epiphysenschluss und Abschluss des Längenwachstums.
+ beeinflussen die Stoffwechselvorgänge in der Leber: Steigerung der Synthese von Plasmaproteinen, vermehrte Bildung von HDL (High Density Lipoprotein) und Senkung von LDL (Low Density Lipoprotein)
+ steigern die Blutgerinnung durch Steigerung der Synthese von Gerinnungsfaktoren und Hemmung von gerinnungshemmenden Proteinen
+ senken über eine erhöhte NO-Bildung den peripheren Gefäßwiderstand
+ führen zu einer Abnahme der Talgproduktion durch Hemmung der Sebozytenproliferation
+ führen zur Retention von Natriumchlorid und Wasser 
+ erhöhen die Anzahl der Serotoninrezeptoren (stimmungsaufhellende Wirkung) und beeinflussen die allgemeine Gehirnfunktion


Abbau in der Leber
Humane Estrogene wie das Estradiol haben eine Plasmahalbwertszeit von unter einer Stunde. Sie werden in der Leber rasch metabolisiert, konjugiert und ausgeschieden. Wegen ihres hohen First-pass-Effektes werden sie oral häufig in ihrer chemisch modifizierten Form, beispielsweise als Estradiolester oder als Ethinylestradiol verabreicht, um dem Abbau in der Leber standzuhalten und eine längere Wirkdauer zu erzielen. Durch transdermale Applikation lässt sich der Wirkverlust der Leberpassage umgehen. Konjugierte Stutenestrogene (CEE) werden nach Dekonjugation erst in tieferen Darmabschnitten resorbiert.

Selektive Estrogenwirkung Neben den auf alle Organe agonistisch wirkenden Estrogenen gibt es auch Substanzen, die einige der Estrogenwirkungen auslösen und andere unterdrücken, die selektiven Estrogenrezeptor-Modulatoren (SERM). Diese Substanzen können am Estrogenrezeptor Transformationsänderungen induzieren und so die Affinität zu Koaktivatoren oder Korepressoren beeinflussen, was zu einer agonistischen oder antagonistischen Wirkung des Estrogenrezeptors auf die Zielgenexpression führt. Zu den SERM gehört zum Beispiel Raloxifen und Bazedoxifen, die selektiv den Knochen- abbau hemmen, sowie Tamoxifen und Toremifen, die gegen Brustkrebs eingesetzt werden. Clomifen hat nur eine schwache estrogene Wirkung und wirkt im Wesentlichen antiestrogen.

Es zeigt eine starke Affinität zum Estrogenrezeptor, was zum Abbau der Rezeptoren und so zu verminderter Rezeptorkonzentration führt. Dies hat eine erhöhte Gonadoliberin- und damit auch Go- nadotropinausschüttung zur Folge. Die dadurch aktivierte Hormonsynthese steigert die Follikelreifung und kann damit indirekt die Ovulation induzieren. Die Substanz wird in der Kinderwunschbehandlung bei Frauen mit anovulatorischen Zyklen eingesetzt. Als reines Antiestrogen wird Fulvestrant beim Mammakarzinom verwendet. Im Handverkauf in der Apotheke spielen als SERM auch Phytotherapeutika eine Rolle, zu denen Soja mit ihren Genistein- und Daidzein-Glykosiden oder die Substanz Coumestrol aus dem Rotklee gehören. Lesen Sie dazu auch Seite 50.

Hormone zur Verhütung Bei der klassischen „Pille“ handelt es sich immer um ein Kombinationspräparat aus einem Estrogen und einem Gestagen. Diese zeigt mit ihrer Dreifachwirkung eine sichere Verhütungswirkung: Zum einen unterdrückt sie den Eisprung, verhindert aber auch – falls doch eine Ovulation stattgefunden hat –, dass sich das Ei einnistet. Und schließlich verhindert die Hormonkombination, dass die Spermien zur Eizelle vordringen, indem sie den Zervixschleim verdickt. Über die Sicherheit der Pille lesen Sie auf den Seiten 40 bis 41.

Hormoneller UmschwungWenn der Estrogenspiegel im Körper der Frau absinkt, weil der Follikelvorrat aufgrund des steigenden Alter nahezu aufgebraucht ist, wird der Zyklus zunächst meist unregelmäßig. In dieser als Perimenopause bezeichneten zentralen Phase des Klimakteriums steigen die Befehlshormone für die Eierstöcke, FSH und LH und die Eierstöcke beantworten diesen verstärkten Befehl teilweise mit sehr hohen Estrogenspiegeln, die beispielsweise zu Brustspannen führen können.

Fallen diese erhöhten Estrogenspiegel zur Menstruation hin wieder ab, können Hitzewallungen und Schweißausbrüche einsetzen. Dadurch, dass kaum noch Eisprünge in der Perimenopause stattfinden, wird auch kein Progesteron mehr gebildet. Dieser Wechsel geht bei vielen Frauen mit Schlafstörungen einher. Bis sich der Körper an die neue Situation gewöhnt hat, kann es einige Jahre dauern, auch meist noch über die letzte Blutung hinaus.

Estrogene substituieren Während für die einen der Wechsel nahezu unbemerkt vonstattengeht, haben rund zwei Drittel der Frauen Beschwerden durch die hormonellen Veränderungen, einige sogar so massiv, dass sie ihren Alltag nicht mehr bewältigen können. Neben den klassischen Hitzewallungen und Schlafstörungen beklagen die Betroffenen depressive Verstimmungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden sowie Veränderungen im Urogenitalbereich. Je nach Schweregrad entscheiden sich viele Frauen nach Rücksprache mit dem Frauenarzt zu einer Hormonersatztherapie (Hormone Replacement Therapy, kurz HRT). Die Empfehlungen der Gynäkologen zu einer solchen Therapie haben in den letzten Jahrzehnten mehrfach die Richtung geändert.

Nachdem der amerikanische Gynäkologe Robert A. Wilson in den späten neunzehnhundertsechziger Jahren in seinem Bestseller „Feminine Forever“ Frauen in den Wechseljahren als „bedauernswerte Kastrate“ tituliert und die Hormonersatztherapie in den Himmel gehoben hatte, folgte im Jahr 2002 die Ernüchterung: Die mit viel Enthusiasmus gestartete WHI-Studie (Women-Health-Initiative), die zeigen sollte, dass Frauen von der HRT ausschließlich profitierten, insbesondere was das Risiko für Herzkreislauferkrankungen und Osteoporose betrifft, wurde vorzeitig abgebrochen (nach 5 bzw. 7 Jahren). Das kurzgefasste publizierte Ergebnis: Hormone erhöhen das Herzinfarkt-, Schlaganfall-, Thrombose- sowie das Brustkrebsrisiko. Wie Wissenschaftler und Gynäkologen die Studie heute bewerten, lesen Sie im Interview auf Seite 16.

Natürlich, naturidentisch oder bioidentischSicher sind Sie in der Apotheke auch schon einmal auf eine nebenwirkungsarme Hormonersatztherapie mit bioidentischen Hormonen angesprochen worden. Was steckt dahinter? Sogenannte „bioidentische Hormone“ werden nach einer Definition der Endocrine Society als Hormone deklariert, die von der Struktur und Wirkung identisch sind mit den Hormonen, die der menschliche Körper selbst produziert. Gemeint sind also im engeren Sinne Estrogene wie Estron, Estriol, Estradiol und das im Körper der Frau vorkommende Gestagen Progesteron. Nicht aber die in den Anfängen der Hormonersatztherapie vor allem in den USA eingesetzten konjugierten Stutenestrogene (CEE = conjugated equine estrogens), einem Wirkstoffgemisch, das aus dem Urin trächtiger Stuten gewonnen oder synthetisch hergestellt wird.

Kann der Körper die Hormone in den Wechseljahren nicht mehr selbst oder nicht mehr in ausreichenden Mengen herstellen, können sie im Rahmen der Hormonersatztherapie von außen zugeführt werden. Die zugeführten Substanzen (z. B. Estradiol zur transdermalen Applikation) sind dann die gleichen Moleküle wie die menschlichen, haben die gleiche Wirkung am Rezeptor und natürlich auch die gleichen Nebenwirkungen wie die Originale, sind also bioidentisch. Sie werden aber synthetisch hergestellt, entweder partial- oder totalsynthetisch. Bei Partialsynthesen verwenden die Hersteller in der Regel in der Natur vorkommende Ausgangssubstanzen, beispielsweise aus Soja oder der Yamswurzel. Die Yamswurzel enthält den pflanzlichen Inhaltsstoff Diosgenin, der chemisch in andere Steroide umgewandelt wird.

Der menschliche Körper ist zu diesem Umbau nicht selbst in der Lage, da ihm die entsprechenden Enzyme fehlen. Die strukturelle Gemeinsamkeit aller Steroide – und damit auch dieser „natürlichen“ Ausgangssubstanzen – ist das Cyclopentanoperhydrophenanthren-System, das letztendlich dem Steroidgrundgerüst entspricht und durch gezielte chemische Synthesen, die oft in sehr vielen Stufen verlaufen, in die einzelnen Hormone umgewandelt wird. Neben der partialsynthetischen Herstellung werden aufgrund beschränkter natürlicher Ressourcen auch totalsynthetische Ansätze entwickelt, bei denen das Steroidgerüst zunächst aus einzelnen Bausteinen zusammengesetzt werden muss.

Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Frauengesundheit der PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 8.

Dr. Susanne Poth, Apothekerin/Redaktion

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