Organentwicklung
GESCHLECHTSUNTERSCHIEDE WERDEN ERST SPÄT SICHTBAR
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Die Entwicklung der Geschlechtsunterschiede ist von Tierart zu Tierart verschieden und wird von ganz unterschiedlichen Genen reguliert. Meist treten sie mit der Geschlechtsreife zutage. Der sogenannte Geschlechtsdimorphismus kommt aber nicht nur bei Tieren vor.
Für uns Menschen ist er ebenfalls von Bedeutung, denn auch die inneren Organe bei Männern und Frauen unterscheiden sich in mehreren Punkten. Das ist unter anderem wichtig, wenn es um medizinische Behandlungen geht.
Die Gendermedizin beschäftigt sich mit diesen Geschlechtsunterschieden. Aktuelle Untersuchungen an verschiedenen Tierarten könnten helfen, die Auswirkungen besser zu verstehen.
Organe aus Sicht der Gendermedizin
Wie sich Geschlechtsunterschiede bei der Organentwicklung zeigen, hat ein Team um Leticia RodrĂguez-Montes von der Universität Heidelberg gemeinsam mit Margarida Cardoso Moreira vom Francis-Crick-Institut in London untersucht. Dabei konzentrierten die Gendermedizin-Forschenden sich auf Geschlechtsunterschiede bei Menschen, aber auch bei Mäusen, Ratten, Kaninchen, Opossums und HĂĽhnern.
Im Fokus befanden sich das Gehirn, insbesondere das Kleinhirn, das Herz, die Leber und die Nieren. Bei Tieren untersuchte das Team Organproben vom Beginn der Organentwicklung im Mutterleib bis zum Erwachsenenalter, bei Menschen Proben verschiedener Embryonalstadien bis zur Geburt. Dabei fanden sie Ăśberraschendes heraus.
Frauenkörper in der Medizin:
Geschlechtsunterschiede zeigen sich spät
Bei allen untersuchten Säugetieren traten die Geschlechtsunterschiede erst mit der Geschlechtsreife schlagartig zutage. Alle genetischen Programme, die für Geschlechtsunterschiede verantwortlich sind, werden erst spät durch die Wirkung der Sexualhormone eingeschaltet. Das war unerwartet, denn man hatte eine allmähliche Entwicklung der Geschlechtsunterschiede erwartet.
Bei Hühnern allerdings verläuft die Entwicklung anders: Zwei Drittel der geschlechtsdimorphen Gene werden bei ihnen zu Beginn der Organentwicklung aktiviert, der Rest erst mit der Geschlechtsreife. Und noch etwas erstaunte die Forschenden.
Je nach Tierart waren die Geschlechtsunterschiede unterschiedlich ausgeprägt. Bei Kaninchen fanden sich die größten Geschlechtsunterschiede im Herzen, bei Ratten und Mäusen in den Nieren. Opossums unterschieden sich am stärksten in der Leber und Hühner im Gehirn. Die Unterschiede betreffen zwar jeweils die gleichen Zellarten, kommen aber durch unterschiedliche Gene zustande. Daraus schließen die Forschenden, dass die Evolution schnell und artspezifisch verlaufen ist.
Nur auf den Geschlechtschromosomen X und Y finden sich Gene, die über alle Tierarten geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen. Wahrscheinlich sind sie grundlegende genetische Auslöser für die Entwicklung der Geschlechtsunterschiede an den Organen.
Unterschiede in der Organentwicklung haben Bedeutung fĂĽr die Gendermedizin
Die Unterschiede in der Organentwicklung könnten auch für Menschen wichtig sein. Die neuen Ergebnisse helfen, die Geschlechtsunterschiede besser zu verstehen und bei medizinischen Behandlungen stärker zu berücksichtigen.
Bei Männern wissen wir, dass ihre Leber Gifte und Medikamente schneller abbauen kann als die von Frauen. Da klinische Studien häufiger bei Männern durchgeführt werden, können diese Geschlechtsunterschiede für Frauen zum Problem werden. Aber das ist noch lange nicht alles.
Die Unterschiede in der Organentwicklung und die Geschlechtsunterschiede generell will die Gendermedizin besser berĂĽcksichtigen. Die aktuellen Untersuchungen haben Auswirkungen darauf, wie wir Tiermodelle nutzen, um Geschlechtsunterschiede bei Menschen besser zu verstehen.
Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/wie-sich-geschlechtsunterschiede-zwischen-organen-entwickeln/
Leticia RodrĂguez-Montes et al.: “Sex-biased gene expression across mammalian organ development and evolution”, Science, 3. November 2023. DOI:10.1126/science.adf1046