Auf einer Stehparty haben sich viele Grüppchen gebildet und alle reden durcheinander.© Rawpixel/iStock/Getty Images Plus
Klingt absurd: Aufmerksam lauschen können wir am besten, wenn um uns herum weitere Gespräche geführt werden.

Neurowissenschaften

AKTIVES ZUHÖREN – SO FUNKTIONIERT`S

Adventssamstag in einer Apotheke: Der Raum steht voller Menschen, manche telefonieren oder verschicken Sprachnachrichten, einige unterhalten sich – und ganz vorne stehen Sie mit einer Kundin oder einem Kunden. Ist aktives Zuhören nun schwierig oder ganz einfach, was denken Sie?

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Das Problem kennt die Wissenschaft bereits, es wird das Cocktailparty-Problem genannt. Sich in einem Raum voller Menschen, die sich ebenfalls unterhalten, mit voller Aufmerksamkeit seinem GegenĂĽber zuzuwenden und aktives Zuhören anzuwenden, kann eine groĂźe Herausforderung sein.

Auch wenn keine tiefsinnigen Gespräche auf Partys gefĂĽhrt werden, unterhält man sich auch nicht gerne mit jemandem, der nicht aufmerksam zuhört. Da der Mensch schon immer ein soziales Wesen war, muss es möglich sein, sich nicht nur innerhalb einer groĂźen Gruppe Gehör zu verschaffen. Auch aktives Zuhören sollte rein evolutionär betrachtet doch möglich sein. Und ja: Unser Gehirn kann das, aber anders, als man zuerst vermuten mag.

Aufmerksam zuhören durch Ignorieren

Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und der Universität Leipzig untersuchten in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik und der Universität Lübeck, was im Gehirn beim aktiven Zuhören passiert. Dazu lasen sie den Teilnehmenden zwei Sätze gleichzeitig vor, aber nur einem sollten die Proband*innen ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Den anderen sollten sie ignorieren.

Während des aktiven Zuhörens zeichnete das Team die Hirnströme der Teilnehmenden auf. Dieses EEG-Muster analysierten sie auf das Zusammenspiel sprachlicher und akustischer Muster. Also wie gut zum einen die Stimme wahrgenommen wurde und zum anderen der sprachliche Inhalt. Diese Analyse ergab:

  • Unser Gehirn versteht das Gesagte am besten, wenn es sich auf eine*n Zielsprecher*in konzentriert, der Person also aufmerksam zuhört.
  • Das Gesagte wird umso besser inhaltlich verstanden, je eher das Gehirn das Ignorierte akustisch wahrnimmt.
  • In Schwierigkeiten kommt unser Verstand dann, wenn das aufmerksame Zuhören misslingt und dem ignorierten Satz inhaltlich folgt.

Die letzte Erkenntnis mag nicht sonderlich erstaunen. Denn wer kann schon zwei unterschiedlichen Aussagen inhaltlich folgen (oder haben Sie am HV-Tisch schon einmal erfolgreich die BedĂĽrfnisse eines Kunden erfasst und gleichzeitig einem Hörbuch Aufmerksamkeit schenken können?).

Dass dem Gehirn aktives Zuhören jedoch dann am besten gelingt, wenn es gleichzeitig ignorierte Wortlaute hört, aber nicht inhaltlich versteht, überrascht.

Aufmerksamkeit ganz unachtsam

Eigentlich wollen sich alle mehr in Achtsamkeit ĂĽben, das soll entschleunigen und den Fokus auf die wirklich relevanten Dinge lenken. Doch auf einer Party fahren Sie am besten, wenn sie unachtsam sind – dann gelingt wahre Aufmerksamkeit.

Unser Gehirn filtert also sprachliche Reize nicht komplett heraus oder wandelt sie in Hintergrundrauschen um. Vielmehr nimmt es weiterhin alle Gespräche um Sie herum wahr – ohne das Gesprochene inhaltlich zu verstehen –, damit Sie Ihr Gegenüber mit aktivem Zuhören eine Freude machen können. Genial, oder?

Und vielleicht auch gar nicht so unnĂĽtz. Denn wenn Sie nichts mehr um sich herum mitbekommen, total auf Ihre*n Kund*in fokussiert sind, plötzlich hochschrecken und die Apotheke steht leer, hat auch keiner etwas davon.

Quelle: Max-Planck-Institut fĂĽr Kognitions- und Neurowissenschaften

×