Eine Frau liegt auf einem Sofa, spielt mit ihren Haaren und hat ein Bein über die Lehne gelegt. Um das Sofa sind Beistelltische, Lampen und ein Teppich angeordnet und das Sofa steht auf einem Holzboden; das Ganze befindet sich aber nicht in einem Zimmer, sondern im Wald.© Thomas Northcut/ iStock / Getty Images Plus
Tagträumen ist in der Leistungsgesellschaft verpönt, dabei ist es kreativ und sogar produktiv.

Default Mode Network

WAS IHR GEHIRN TREIBT, WENN SIE NICHTS TUN

Schließen Sie bitte für einen Moment die Augen und versuchen einmal, an nichts zu denken. Na? Geht nicht, oder? Irgendetwas geistert Ihnen immer durch den Kopf. Falls es Sie tröstet: Das ist ganz normal.

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Was da eben bei Ihnen passierte, nennen Neurologen Default Mode Network (DMN). Das ist ein Zustand des Gehirns, den es gern bei Untätigkeit einnimmt: nämlich die Vernetzung von bestimmten Arealen, die dann untereinander herumspinnen, sprich: freie Assoziationen knüpfen, ähnlich wie im Schlaf, ähnlich wie beim Träumen.

Zum Beispiel so: „Ich muss dringend noch ein Retourenpaket fertigmachen. Das gehört vor dem Urlaub noch in die Post, sonst muss ich die blöden Hosen bezahlen, die mir überhaupt nicht stehen in dieser Farbe. Unserer Nachbarin würde die Farbe wahrscheinlich gefallen. Muss mal fragen, wie es ihr geht, die war ja neulich beim Onkologen. Ach, zur Vorsorge müsste ich auch mal wieder, da kam letztens ein Brief vom Mammo-Screen …“

Ich denke, also bin ich

Unser Gehirn kann das nicht: nichts tun. Irgendwas ist immer los in unserem Kopf, es gibt keine Nulllinie, keinen Ruhestand, keine Pausenfunktion. Entweder es assoziiert. Oder es ist tot. Und: Unsere Gedanken gehen vor allem dann auf Wanderschaft, wenn es nichts Besseres zu tun gibt. Wenn wir keine Aufgabe erledigen, die besondere Aufmerksamkeit erfordert.

Forscher haben das sogenannte reizunabhängige Denken getestet, indem sie Versuche konstruierten, die die Probanden beinahe zu Tode langweilten (und sie dabei einem Hirnscan unterzogen): Die Teilnehmer sollten jede Zahl, die auf einem Bildschirm erschien, mit einem Tastendruck quittieren. Außer es war eine 3. „Woran denken Sie gerade?“, wurden die Probanden währenddessen immer wieder gefragt. Wie zu erwarten, unterliefen ihnen bei dem Reaktionstest deutlich mehr Patzer, wenn man sie soeben beim Tagträumen ertappt hatte.

Wer ein Problem ruhen lässt, findet besser Lösungen

Das Unbehagen, welches Tagträumen auslöst, rühre zumindest zum Teil daher, dass man es heutzutage allgemein für Zeitverschwendung hält, sagt der Neurowissenschaftler Jonathan Smallwood von der University of York in England. Nicht selten ärgern sich Tagträumer darüber, dass sie „schon wieder nichts Vernünftiges“ mit sich angefangen hätten.

Doch wer bewusst einer Tätigkeit nachgeht, bei der man seine Aufmerksamkeit schweifen lässt, der macht eigentlich genau das Gegenteil: Er wird kreativ. Er bewältigt Erinnerungen und Emotionen, da Gedanken hochkommen. Denn das Kontrollnetzwerk, das bei der Bearbeitung aktiv ist, wird dabei in seiner Aktivität reduziert. Bedeutet: Wer eine Problemstellung ruhen und die Gedanken einfach schweifen lässt, findet einfacher neue Lösungsansätze.

So gestalten Sie das Nichtstun richtig
+ Mindestens einmal am Tag reizfreie Zeiten oder Räume einplanen, z. B. im Zug, beim Spaziergang, beim Sport oder vor dem Schlafengehen
+ Kontrolle abgeben und Gedanken wandern lassen
+ Ideen und Gedanken reflektieren und festhalten, z. B. niederschreiben oder jemandem erzählen
+ Langfristig haltbare Routinen einrichten, z. B. dreimal pro Woche Radfahren zum mentalen Nichtstun

Joggen macht den Kopf frei

Förderlich ist es, wenn der Körper dabei nicht stillsteht. Bei Routinetätigkeiten wie zum Beispiel beim Joggen, Bügeln oder Duschen werden in unsrem Großhirn Areale frei, was uns erlaubt, gedanklich umherzuwandern. Kontrollmechanismen zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein weichen dabei auf, sodass neue Gedanken leichter entstehen können.

Das nennen die Wissenschaftler dann Inkubation: Egal, worin die Herausforderung besteht, wir müssen irgendwann einmal an den Punkt kommen, an dem wir von dem real gegebenen Gegenstand oder der jeweiligen Frage Abstand nehmen und die Sache in uns arbeiten lassen.

Dieses Loslösen vom konkret Wahrnehmbaren vollbringen wir offenbar genau dann, wenn wir tagträumen. Das ist auch der Grund, warum es sich trotz aller Nachteile, den ein flüchtiger Geist mit sich bringt, unterm Strich bewährt hat. Wir sind dann zwar kurzzeitig nicht mehr zum konzentrierten, exakten Arbeiten fähig, produzieren aber dringend benötigte neue Sichtweisen.

Psychologen schätzen, dass wir rund 50 Prozent unserer Wachzeit in einem Zustand des Träumens zubringen, in dem die Gedanken umherschweifen. Das bereitet kreativen Ideen den Boden und ermöglicht uns mentale Reisen.

Äußere Reize ausschalten!

Wichtig dabei ist aber: Reize wie Musik, das Handy oder andere Medien müssen dabei ausgeschaltet werden, empfiehlt der Neurowissenschaftler Henning Beck: „Wenn man immer Reizen ausgesetzt ist, verlernt man auf sich selbst zu hören."

Das „Geschehen lassen“ könne jedoch auch belastend sein, wenn negative Gedanken oder Gefühle hochkommen, so Beck. Das Default Mode Network ist nämlich auch fürs Grübeln zuständig. Bei Menschen, die ein belastendes Problem hätten oder zu depressiven Gedanken neigten, sei Ablenkung häufig besser als Nichtstun.

Quellen:
https://www.spektrum.de/news/das-gehirn-beim-tagtraeumen/1401860
https://www.instagram.com/p/CwLTafqLoa5/?img_index=1

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