Trauerbegleitung
WENN TRAUER KRANK MACHT: SO REAGIERT DER KÖRPER AUF DEN VERLUST
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Trauerverarbeitung ist individuell, äußert sich bei jedem Menschen anders und lässt sich nicht in ein zeitliches Schema pressen. Auch körperliche Symptome der Trauer sind nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen nicht ungewöhnlich – von Rückenschmerzen über Migräne bis hin zu Verdauungsproblemen und Herzrasen. Wer durch Trauer krank wird, braucht oft gezielte Unterstützung.
„Menschen, die trauern, fühlen sich tatsächlich krank. Und häufig müssen wir sie beruhigen, dass die Symptome, die sie zeigen, ganz normal sind“, sagt Trauerbegleiterin Marei Rascher-Held: „Wenn meine Seele krank ist, dann kann ich nicht gut verdauen, dann schlägt mir etwas auf den Magen, oder ich beiße die Zähne zusammen, verkrampfe mich und habe Probleme mit der Schulter.“ Körperliche Symptome der Trauer sind also eine Stressreaktion.
Körperliche Symptome der Trauer verstehen
„Trauer selbst macht nicht krank“, sagt Trauerforscher Roland Kachler. „Sie ist eine ganz normale Reaktion unseres Bindungssystems.“ Aber wenn die Trauer nicht abklingt, kann sie chronifizieren. Und eine chronifizierte Trauer kann über vorhandene Prädispositionen auch Krankheitsprozesse auslösen.
Denn dann steht der Körper unter Dauerstress, das Immunsystem ist unterschwellig ständig aktiviert – obwohl es gleichzeitig geschwächt ist.
Krank durch Trauer: Silent Inflammation
Dauerstress und ein geschwächtes Immunsystem können stille Entzündungen („silent inflammation“) hervorrufen. Diese äußern sich durch Erschöpfung, Fatigue, Schmerzen an Muskeln und Gelenken sowie häufige Infekte. So gesehen kann man durch Trauer also doch krank werden.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede wurden festgestellt: Männer reagieren oft über Muskeln und Faszien, entwickeln Verspannungen, Verhärtungen oder Zähneknirschen. Frauen hingegen spüren die körperlichen Symmptome der Trauer eher als Herzschmerzen, Enge im Brustkorb oder Kraftlosigkeit.
Kachler, der gerade an einem Buch „Der Körper in der Trauer“ arbeitet, vermutet, dass Männer eher mit Kraft auf Trauer reagieren, wohingegen Frauen sich dem Schmerz eher stellen. Klar ist: Alle Geschlechter benötigen bei Problemen eine Trauerbegleitung.
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Frühzeitige Trauerbegleitung
Rascher-Held, Vorsitzende im Bundesverband Trauerbegleitung, weiß: Besonders nach einem unerwarteten Verlust – etwa durch Unfall, Suizid oder eine Gewalttat – zeigt Trauer sich über lange Zeit in Form von körperlichen Symptomen. Wenn keine Abschiednahme möglich war oder das soziale Netz fehlt, kann das die Trauer erschweren – und das Risiko erhöhen, durch die Trauer krank zu werden.
„Offiziell“ spricht man laut Trauerforscher Kachler nach einem halben Jahr von einer chronifizierten Trauer. Er appelliert jedoch, diesen Zeitpunkt auf eineinhalb oder zwei Jahre zu verlängernn: „Wenn der Schmerz dann immer noch im Vordergrund steht oder immer wieder ausgeblendet wird, zeigt sich dies oft auch auf körperlicher Ebene.“ Kachler rät:
„Es ist gut, sich ein Stück weit prophylaktisch begleiten zu lassen, damit die Trauer nicht im Körper stecken bleibt. Die Lösungsrichtung heißt: sie aus dem Körper ins Abfließen oder ins Laufen zu bringen“, rät Kachler.
Experten empfehlen, sich schon frühzeitig nach einem schweren Verlust vom Hausarzt durchchecken zu lassen und eine Trauerbegleitung aufzusuchen – etwa in Form eines Trauercafés, Einzelbegleitungen, Trauergruppen oder Beratungsstellen.
Trauer spüren und loslassen
Der Körper kann ein Ventil sein: Laufen, Weinen, Schreien – alles Wege, um die körperlichen Symptome der Trauer zu lösen. Männer bringt Bewegung häufig zur Konfrontation mit der Trauer.
„Es geht darum, beim schnellen Gehen oder Laufen die Trauer zu spüren, an den Tod des nahen Menschen zu denken und das Vermissen zu spüren.“ Manche laufen dann bis zur Erschöpfung – oder auch, bis sie endlich weinen können."
Frauen hilft es oft, den Schmerz über die Tränen ganz bewusst aus dem Körper fließen zu lassen, die Hand auf die schmerzhaften Körperstellen zu legen und nach außen zu atmen, um den Schmerz so zu lösen.
Marei Rascher-Held hat die Erfahrung gemacht, dass auch Achtsamkeitsübungen, Atemübungen und Imaginationsreisen helfen – ebenso wie Feldenkrais-Kurse, Yoga und körperliche Bewegung. „Der Fokus soll auf dem Körper liegen, dabei darf ich mich einfach mal leiten lassen durch Angebote, die mir hilfreich sind und zu Hause fortgeführt werden können.“
Manchmal sind die positiven Folgen schnell spürbar: Die Trauernden merken dann, dass die Anspannung sinkt, dass Kieferknochen und Nacken nicht mehr wehtun und sich der Hals etwas freier anfühlt.
Was hilft, wenn die Trauer chronifiziert?
Spätestens nach eineinhalb bis zwei Jahren sollten Betroffene mit anhaltenden Beschwerden eine Psychotherapie in Betracht ziehen. Denn wenn Trauer chronifiziert und krank macht, braucht es professionelle Hilfe. Dann wird an den Ursachen gearbeitet, warum der Trauerprozess blockiert ist. „Es kann zum Beispiel daran liegen, dass ich Schuldgefühle habe oder es ungelöste Konflikte in der Beziehung zum Verstorbenen gibt“, sagt Psychologe Kachler.
„Oder aber, dass ich den Schmerz und die Trauer abwehren muss, aus Angst, dass sie mich überflutet.“
Wer sich mit kompetenter Begleitung darauf einlässt, die Gründe für die Blockade aufzuarbeiten, hat jedoch gute Chancen, dass beide gesunden: Seele und Körper.
Quelle: dpa