Aus einer Vial wird eine Spritze aufgezogen, darüber steht Omicron© DOERS / iStock / Getty Images Plus
Wem nützen die neuen Omikron-Impfstoffe wirklich etwas?

Angepasste Impfstoffe

OMIKRON-BOOSTER NICHT FÜR ALLE SINNVOLL

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat nun grünes Licht für zwei angepasste Omikron-Impfstoffe gegeben – damit kann demnächst mit dem lang ersehnten zweiten Booster gestartet werden. Doch ein „Quantensprung“ ist dies nicht.

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Die EMA-Entscheidung betrifft Anträge von BioNTech/Pfizer und des US-Unternehmens Moderna auf Zulassung von sogenannten bivalenten mRNA-Impfstoffen, die vor dem ursprünglichen SARS-CoV-2 und vor der Omikron-Sublinie BA.1 Schutz bieten sollen. Die EU-Kommission muss nun noch formal über die Zulassung entscheiden. Verwendet werden könnten die beiden Vakzine zur Auffrischimpfung für Menschen ab zwölf Jahren.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach begrüßte das grüne Licht der EMA für die neuen Impfstoffe als „Quantensprung im Kampf gegen die Pandemie“. Ab der nächsten Woche könnten Impfungen mit den neuen Impfstoffen beginnen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag. „Jetzt ist der optimale Zeitpunkt, Impflücken für den Herbst zu schließen“.

Expert*innen sind weniger euphorisch

Die EU-Zulassung der beiden angepassten Corona-Impfstoffe kommt aus Sicht des Münchner Infektiologen Clemens Wendtner zu spät. Er verwies in der „Augsburger Allgemeinen“ darauf, dass die Omikron-Sublinie BA.1, gegen die die neuen Mittel besonders gut schützen sollen, in Deutschland keine Rolle mehr spielt: „Man erkennt da mit bloßem Auge, dass der neue Impfstoff zu spät kommt“. So langsam sickere bei vielen durch, dass der Impfstoff nicht vollumfänglich das halte, was suggeriert werde, ergänzte Wendtner. Zwar wirkten die Präparate in gewissem Maße auch gegen die aktuell vorherrschenden Sublinien BA.4 und BA.5– das habe das bisherige Präparat aber auch schon getan.

„Es gibt den Schutz vor schwerer Krankheit und vor Tod, das ist das Wichtigste“, sagte Karl Lauterbach in der ARD.

Angesichts der neuen angepassten Omikron-Impfstoffe dämpft der Virologe Hendrik Streeck die Erwartungen. „Der Booster sorgt noch einmal für etwas gesteigerte Antikörperspiegel im Blut von Geimpften. Wie gut er vor einer Infektion schützt, wurde nicht getestet“, sagte der Wissenschaftler, der Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung ist, der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Man müsse davon ausgehen, dass der Effekt ausfalle wie beim bisherigen Booster, also mit einem Schutz vor Ansteckung für einen ungefähren Zeitraum von drei Monaten. „Ein Schutz vor Ansteckung für einen längeren Zeitraum ist nicht bewiesen und auch nicht wahrscheinlich“, sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn. Trotz allem sei auch hier ein guter Schutz vor schwerer Erkrankung wie bei den vorherigen Impfstoffen gegeben.

Für wen ist der Booster sinnvoll?

„Man muss ganz deutlich sagen: Die Verwendung des angepassten Impfstoffs ist nicht bei allen Menschen nötig“, sagte Streeck. Eine zweite Auffrischimpfung mit dem neuen Präparat mache Sinn für die Gruppen, denen die Ständige Impfkommission (STIKO) dies auch jetzt schon empfiehlt, also bestimmten Gruppen mit einem Risiko für schwere Verläufe - wie Menschen ab 60 Jahren.

„Es ist nicht der Fall, dass sich jeder junge, fitte, geimpfte Mensch nun schnellstmöglich eine Dosis davon geben lassen muss – insbesondere dann nicht, wenn man im Sommer eine Corona-Infektion durchgemacht hat. Meist waren das bereits Ansteckungen mit der Sublinie BA.5, was als Ersatz für den Booster gesehen werden kann“. Er riet davon ab, sich nach einer Infektion gleich wieder impfen zu lassen.

Ab wann kommen die Impfstoffe konkret?
Das Bundesgesundheitsministerium erwartet in den nächsten beiden Wochen rund 14 Millionen Dosen der zwei Präparate. Arztpraxen können den neuen Impfstoff laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung bis kommenden Dienstag anfordern. Erste Dosen könnten dann voraussichtlich noch am Donnerstag oder Freitag kommen. Die reguläre Belieferung soll am 12. September erfolgen.

Streeck betonte, er wünsche sich eine klare Kommunikation der Politik, für wen eine vierte Impfung mit dem angepassten Impfstoff überhaupt notwendig ist. Dass es dazu bisher keine Stellungnahme der STIKO gebe finde er vertretbar. „Angesichts der vorliegenden Daten sehe ich keinen ganz akuten Handlungsbedarf. Denn man darf sich von dem angepassten Impfstoff nun nicht zu viel versprechen und denken, dass das jetzt der Gamechanger in der Pandemie wäre“.

Sinnvoll vielleicht nicht, aber auch nicht verboten

An Omikron angepasste Corona-Impfstoffe sind auch Medizinern zufolge für eine große Zahl an Menschen in Deutschland sinnvoll, einen bevölkerungsweiten Einsatz halten sie aber nicht für nötig. Leif Sander, Impfstoff-Experte der Berliner Charité und Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, bemerkte gegenüber der dpa: Wer im Sommer eine Durchbruchsinfektion hatte, brauche zunächst keinen zusätzlichen Booster und sollte mindestens drei Monate abwarten.

Wegen der unzähligen verschiedenen Konstellationen von bisherigen Impfungen und Infektionen wird es aus Sicht des Charité-Forschers immer schwieriger werden, einzelne Impfentscheidungen durch eine generelle STIKO-Empfehlung abzudecken. „Das heißt: Es kann viele individuelle Gründe geben, dass jemand, der nominell nicht unter die STIKO-Empfehlung fällt, sich doch für eine vierte Impfung entscheidet – und das kann man auch machen“.

Quelle: dpa

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