Auswahl Betäubungsmittel wie Pillen, Spritze mit Heroin, Kokain, Cannabisblätter auf einem Holztisch © Yana Tatevosian / iStock / Getty Images Plus
Ergebnis des jüngsten EU-Drogenberichts: Die Verfügbarkeit und der Konsum von Drogen sind in der EU nach wie vor hoch.

Wie geht Gesundheit auf Europäisch?

EUROPA SAGT DROGEN DEN KAMPF AN

Aus der Drogenbeobachtungsstelle wird eine unabhängige Agentur. Keine Minute zu früh, denn der gerade veröffentlichte EU-Drogenbericht zeichnet ein verheerendes Bild: Drogenkonsum und -verfügbarkeit steigen. Besonders gefährlich: neue synthetische Substanzen.

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Eigentlich ist es eine Erfolgsmeldung: In den Staaten der Europäischen Union wurden 2021 so viele illegale Drogen beschlagnahmt wie noch nie zuvor. Eigentlich. Denn die Erfolge von Zoll und Polizei haben eine sehr dunkle Seite: Die Rekordmengen an Heroin, Kokain oder Cannabis (Fertig- und Vorprodukte), die die Behörden sicherstellen konnten, sind ein untrüglicher Indikator dafür, dass Konsum und Verfügbarkeit illegaler Drogen in der EU weiter zunehmen. Das zeigt der EU-Drogenbericht 2023, der Mitte Juni veröffentlicht wurde.

Er zeigt auch, dass die Palette psychoaktiver Substanzen, die in der EU konsumiert werden, immer breiter wird. Sie reicht von Opioiden und Stimulanzien über neue Cannabisprodukte bis hin zu dissoziativen Drogen wie etwa Ketamin. Allein 2022 wurden dem Frühwarnsystem der EU (EWS) 41 neue Substanzen gemeldet. Darunter auch HHC (Hexahydrocannabinol), das erste halbsynthetische Cannabinoid, das in der EU festgestellt wurde – und zwar gleich in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten. In einigen EU-Ländern wird es als „legale“ Alternative zu Cannabis verkauft.  

Viele Substanzen – wenig Information

Insgesamt beobachten die Experten der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA inzwischen 930 neue Drogen. Für wachsende Gesundheitsrisiken sorgen dabei vor allem drei Faktoren:

  • Zum einen die Vielfalt an illegal gehandelten synthetischen Substanzen. Neben Amphetamin, dem bislang häufigsten synthetischen Stimulans in Europa, gehören dazu inzwischen auch Methamphetamin oder synthetische Cathinone. Die Konsumenten wissen meist wenig über die Stoffe, die sie zu sich nehmen – weder über die Zusammensetzung noch über die Wirkung.

Beispiel Ketamin: Das Narkose- und Schmerzmittel sei inzwischen auch als Freizeitdroge etabliert, meldet der EU-Bericht. Es werde häufig geschnupft, mitunter auch in Drogenmischungen beigemischt, zum Beispiel in MDMA-Pulvern und -Tabletten (Methylendioxymethylamphetamin). Wird Ketamin über längere Zeiträume konsumiert, können gesundheitliche Probleme wie etwa Blasenschäden auftreten. Ein weiteres Beispiel ist Lachgas (Distickstoffoxid), das in einigen Teilen Europas ebenfalls zunehmend in der Freizeit konsumiert wird. Die Risiken reichen von Vergiftungen und Verbrennungen über Lungenverletzungen bis hin zu Nervenschäden (bei längerem Gebrauch). Dass Verkauf und Verwendung von Lachgas in jedem EU-Land anders geregelt sei, verschärfe das Problem, argumentiert der Bericht. Deshalb müsse die Substanz stärker im Fokus von Informations- und Präventionsangeboten stehen.

  • Als zweiten wesentlichen Risikofaktor identifiziert der Bericht die Darreichungsform der Drogen: Psychoaktiven Substanzen würden meist in Form von ähnlich aussehenden Pulvern oder Pillen verkauft. Das lasse darauf schließen, dass die Konsumenten oft gar nicht wissen, was sie einnehmen.
  • Verschärft werde dieses Problem durch Risikofaktor Nummer 3: Die verwendeten Substanzen seien immer reiner und damit potenter, vor allem bei den synthetischen Drogen. Das erhöhe einerseits deren Wirksamkeit – und damit auch das Risiko von Vergiftung und Tod der Nutzer. Zum anderen reichen bereits geringe Mengen der Grundsubstanzen, um sehr viele Einzeldosen herzustellen. Das führe dazu, dass immer mehr verkaufsfertige Drogen direkt in Europa hergestellt würden. Zudem mache es die Stoffe wirtschaftlich lukrativ, vor allem für organisierte kriminelle Banden.

Gefahr für Gesundheit und Gesellschaft

Neben den Gesundheitsrisiken des zunehmenden Drogenkonsums sieht Ylva Johannson, EU-Kommissarin für Inneres, die organisierte Drogenkriminalität als zweite große Gefahr für die Gesellschaft: „Es ist Zeit, dass wir realisieren, dass die Bedrohung durch organisiertes Verbrechen ebenso groß ist, wie die Bedrohung durch Terrorismus“, sagte sie während der Pressekonferenz zur Vorstellung des Drogenberichts.

Aus dem Drogenbericht:
Cannabis bleibt häufigste illegale Droge in der EU

Das zeigen die 2021 in der EU beschlagnahmten Mengen an Cannabisharz (816 Tonnen) und Cannabiskraut (256 Tonnen) – der höchste Stand seit zehn Jahren. Nationalen Befragungen zufolge haben im gleichen Jahr mehr als 22 Millionen erwachsene Europäer (15-64 Jahre) Cannabis konsumiert; 3,7 Millionen täglich oder fast täglich. Die größte Konsumentengruppe (2,1 Millionen) sind Männer zwischen 15 und 34 Jahren.
Gleichzeitig hat sich die Cannabispolitik in Europa verändert: Sie bezieht sich nicht mehr ausschließlich auf illegales Cannabis. Kontrolliert und reguliert werden auch Cannabis und Cannabinoide für therapeutische Zwecke, für Kosmetik und Lebensmittel oder für den Freizeitkonsum. Für letzteren planen fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Tschechien) und die Schweizneue Regulierungskonzepte oder haben diese bereits eingeführt.

Haupteinfallstor für illegal importierte Drogen seien die europäischen Seehäfen, so Johannson. Die Substanzen kämen oft zusammen mit legaler Fracht im gleichen Container an. Kontrollieren könne man von den rund 100 Millionen Containern, die jährlich in EU-Häfen umgeschlagen werden, nur 10 bis 15 Prozent.

Drogenhändler infiltrierten die Lieferketten, beuteten Menschen aus, kauften Informanten und Mörder und belasteten die Gemeinwesen aller EU-Mitgliedstaaten durch Korruption und Gewalt, sagt die Innenkommissarin. Sie will künftig stärker mit Drittländern zusammenarbeiten, um den Drogenhandel weltweit zu bekämpfen. Sie führt deshalb unter anderem Gespräche mit den USA sowie mit Kolumbien und Ecuador. Bilaterale Kooperationsvereinbarungen der EU mit internationalen Partnern sollen für höhere Sicherheitsstandards in den Häfen aller beteiligten Länder sorgen sowie den Informationsaustausch und die Kooperation der Behörden (vor allem Zoll und Polizei) verbessern.

Aus dem Drogenbericht:
Kokain: beschlagnahmte Mengen erreichen Rekordniveau

Kokain wird in Europa meist als Pulver angeboten, mitunter auch als Crack, eine freie Form der Droge, die geraucht werden kann. Es kommt überwiegend aus Südamerika und gelangt in großen Mengen über die Seehäfen nach Europa. 2021 konnten Polizei und Zollbehörden die Rekordmenge von 303 Tonnen Kokain sicherstellen – gut drei Viertel davon in den Häfen Belgiens (96 Tonnen), der Niederlande (72 Tonnen) und Spaniens (49 Tonnen).
Nach EU-Drogenbericht haben 2021 etwa 1,3 Prozent der europäischen Erwachsenen Kokain konsumiert (3,7 Millionen Menschen zwischen 15 und 64 Jahren). Es ist damit die zweithäufigste illegale Droge in der EU – aber die häufigste Substanz für akute Vergiftungen: fast ein Drittel der drogeninduzierten Notaufnahmen in Krankenhäusern hingen mit Kokain zusammen.

Gegenmaßnahmen: Strafverfolgung und Gesundheit

Bei der internationalen Zusammenarbeit soll auch die neue Drogenagentur eine zentrale Rolle spielen. Formal wird die heutige Beobachtungsstelle EMCDDA zwar erst ab dem 1. Juli 2024 den Agenturstatus haben. Allerdings geht ihr Direktor Alexis Goosdeel davon aus, dass sein Haus bereits das Mandat für die Aushandlung der Vereinbarungen mit Drittstaaten erhält. Die sollen nämlich schon bis Ende 2023 unterschriftsreif sein. Zudem habe auch Chile Interesse an einer solchen Vereinbarung bekundet, so Goosdeel.

Die neue EU-Drogenagentur
Ab Juli 2024 wird die heutige EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) zur EU-Drogenagentur (EUDA). Sie erhält ein umfassenderes Mandat, das es ihr ermöglicht, eine stärkere Rolle bei der Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen im Zusammenhang mit illegalen Drogen zu spielen. Die Agentur wird auch künftig vor allem Daten erheben, analysieren und weitergeben. Das neue Mandat umfasst zudem eine Reihe weiterer Aufgaben:
+
Ausarbeiten von Bedrohungsanalysen und Prognosen zu neuen Entwicklungen bei illegalen Drogen und deren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit. Damit soll die EU besser auf neue Bedrohungen reagieren können.
+ Abgabe von Warnungen für den Fall, dass besonders gefährliche Stoffe auf den Markt gelangen
+ Erfassen, beobachten und bekämpfen des Mischkonsums (Konsum von anderen legalen oder illegalen Substanzen zusammen mit Drogen, der immer häufiger wird)
+ Aufbau eines Netzes kriminaltechnischer und toxikologischer Laboratorien. Das Netz soll den Austausch forensischer und toxikologischer Informationen fördern und die Ausbildung von kriminaltechnischen Sachverständigen für Drogenfragen unterstützen.
+ Entwicklung von Präventions- und Sensibilisierungskampagnen. Die Agentur soll zudem die Mitgliedstaaten bei der Vorbereitung nationaler Kampagnen unterstützen.
+ Zusammenarbeit mit nationalen Kontaktstellen, die der Agentur relevante Daten über die nationale Drogensituation bereitstellen
+ Entwicklung faktengestützter Interventionen und Bereitstellung von Forschungsergebnissen im Bereich Gesundheit und in Bezug auf Drogenmärkte und Drogenangebot, um die Problematik umfassender anzugehen
+ Stärkere internationale Rolle der Agentur, damit sie in vollem Umfang mit Drittstaaten und sonstigen Einrichtungen zusammenarbeiten kann

Neben der Unterstützung bei internationalen Kooperationen sieht Direktor Goosdeel aber den Arbeitsschwerpunkt der EMCDDA (und der künftigen Agentur EUDA) weiterhin innerhalb der EU. Unter anderem gelte es, die Gegenmaßnahmen in Strafverfolgung und Gesundheitsvorsorge besser zu koordinieren. Goosdeel plädiert insbesondere dafür, die Überwachung und Bewertung illegaler Substanzen zu intensivieren und deren Auswirkungen auf öffentliche Gesundheit und Sicherheit besser zu erforschen.

Zudem müsse dringend in Prävention investiert werden. Das fordern auch die Autoren des EU-Drogenberichts. Sie unterstreichen insbesondere, dass Drogenkonsumenten mehr und besser informiert werden müssten: über die gesundheitlichen Schäden im Zusammenhang mit neuen Substanzen, über Drogenwechselwirkungen aber auch über die generelle Wirkung der hochpotenten Produkte. Dazu soll die neue Agentur unter anderem wirksame Risikokommunikations-Strategien entwickeln.

Für Alexis Goosdeel steht vor allem die Vorbereitung auf neue Herausforderungen im Fokus der neuen Agentur EUDA, denn Markt und Umfeld des Drogenkonsums in der EU verändern sich rasend schnell. Dazu will er vier Arbeitsbereiche intensivieren:

  • die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten (unter anderem durch eine neue Drogen-Profiling-Kapazität, die sammelt, verarbeitet und austauscht)
  • die Verbesserung des Frühwarnsystems für neue Substanzen
  • die Unterstützung konkreter Gegenmaßnahmen (zum Beispiel durch die Bewertung von Reaktionsmaßnahmen, Bedarf und verfügbaren Instrumenten) und
  • die Intensivierung der Forschung (insbesondere um fundierte Information für politische Entscheidungen zur Verfügung stellen zu können)

Aus dem Drogenbericht
Opioide: ein schnell wachsendes Problem in Europa
Heroinist das am häufigsten konsumierte illegale Opioid in Europa. Es stammt fast ausschließlich aus Afghanistan. Dort haben die Taliban im April 2022 zwar ein Verbot des Anbaus von Schlafmohn verkündet. Allerdings wisse niemand, ob dies dauerhaft sei und ob das Verbot nur für Opiate oder auch für andere Drogen gelte, so Alexis Goosdeel, Direktor der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA.
Dass Heroin in Europa breit verfügbar ist, zeigt die beschlagnahmte Menge: Sie hat sich von 2020 auf 2021 mehr als verdoppelt (auf 9,5 Tonnen in der EU). Allein in der Türkei wurden weitere 22,2 Tonnen sichergestellt.
Gleichzeitig kommen immer mehr synthetische Opioide auf den EU-Markt. Seit 2009 wurden dem EWS 74 neue, unkontrollierte synthetische Opioide gemeldet. Die meisten hochwirksame Benzimidazol-(Nitazen-)Opioide. Zunehmend auch Fentanyl-Derivate und Nitazene, die in Nordamerika bereits seit Jahren ein großes Problem sind.

Bleibt zu hoffen, dass die neue EU-Agentur dazu beitragen kann, dass Erfolgsmeldungen im Zusammenhang mit illegalen Drogen künftig keine oder zumindest eine weniger dunkle Seite haben.

Quellen (Auswahl):

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): European Drug Report 2023 – Trends and Developments (aktuell nur als Webapplikation in Englisch) https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023_en

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA), Pressemitteilung vom 16. Juni 2023: Europäischer Drogenbericht 2023: Die Highlights https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwib44elzMCAAxUU1AIHHW5oBTYQFnoECBMQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.emcdda.europa.eu%2Fsystem%2Ffiles%2Fdocuments%2F2023-06%2Fhighlights_edr2023_de_finalweb.pdf&usg=AOvVaw3dIZP-vxwML5HzcnRmFyU1&opi=89978449

Europäische Kommission (Vertretung in Deutschland), Pressemitteilung vom 16. Juni 2023: Europäischer Drogenbericht 2023: Breites Angebot und steigender Konsum sind Herausforderung für Gesundheitssystem: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/europaischer-drogenbericht-2023-breites-angebot-und-steigender-konsum-sind-herausforderung-fur-2023-06-16_de

Rat der EU, Pressemitteilung vom 28. März 2023: Drogenagentur der EU: Ratsvorsitz und Europäisches Parlament vereinbaren stärkere Rolle der Agentur https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/03/28/eu-drugs-agency-council-presidency-and-european-parliament-agree-to-strengthen-the-agency-s-role/

Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 12. Januar 2022: Wachsender illegaler Markt: Kommission schlägt stärkeres Mandat für EU-Agentur für Drogen vor https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_302

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