Cannabisknospe.© UrosPoteko / iStock / Getty Images Plus
Cannabiskonsum kann unter gewissen Umständen zu Psychosen führen.

Cannabis oder Opioide

STARKE SCHMERZEN BESTMÖGLICH BEHANDELN

Seit 2017 macht medizinisches Cannabis den Opioden Konkurrenz, wenn es darum geht, starke und stärkste Schmerzen zu behandeln. Wie unterscheiden die Analgetika sich – und wo liegen Gemeinsamkeiten?

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Opiate und Opioide wirken agonistisch an den Opioidrezeptoren, die sich überwiegend im Rückenmark und Gehirn befinden. In Stress- und Schmerzsituationen schüttet der Körper endogene Opioide wie Endorphine und Enkephaline aus, die diese Rezeptoren erregen. 

Je nachdem, um welchen Rezeptor-Subtyp es sich handelt, entsteht die typische Wirkung: Schmerzsignale werden unterdrückt, Ängste nehmen ab, Atmung und Verdauung verlangsamen sich, Übelkeit und Erbrechen lassen nach, der Blutdruck sinkt, die Konzentration lässt nach.

So wirken Cannabinoide

Cannabinoide, vor allem Cannabidiol (CBD) und Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), binden an Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems; THC mit höherer Affinität. Die Rezeptoren sitzen auch in diesem analgetischen System vor allem an Rückenmark und Gehirn und wie bei den Opioiden hängt die Wirkung von Lokalisation und Rezeptorsubtyp ab: Die Schmerzleitung wird unterbrochen und das Schmerzempfinden gedämpft, die Muskelspannung lässt nach, Wohlbefinden stellt sich ein. 

Cannabinoide interagieren außerdem mit zahlreichen weiteren Rezeptoren, beispielsweise dem Serotoninrezeptor 5-HT1A.

Opioide und Cannabinoide als Fertigarzneimittel

Sowohl die Cannabis- als auch die Opioidtherapie verfügen über mehrere Wirkstoffe in unterschiedlichen Darreichungsformen. Die Weltgesundheitsorganisation sieht für Schmerzen ein dreistufiges Therapieschema vor und teilt Schmerzen dafür in schwach, mittelstark und stark ein; entsprechend ordnet sie Opioide anhand ihrer Wirkstärke zu.

Schwächere Opioide wie Tilidin oder Tramadol kommen bei mittelstarken Schmerzen, stärkere Vertreter wie Morphin, Fentanyl oder Buprenorphin bei starken Schmerzen zum Einsatz. Die Anwendung erfolgt oral in fester oder flüssiger Form, als Nasenspray, als Pflaster oder als Injektion; entsprechend kurz oder lang ist die Wirkung.

Cannabinoide gibt es als Blüten zum Verdampfen und Inhalieren, als Spray für die Mundschleimhaut oder Tropfen. Es gibt also auch hier langwirksame Darreichungsformen für die Basistherapie und schnellanflutende für Schmerzspitzen. 

In Vollextrakten und Blüten spielt das Terpenprofil, also Art und Anteile weiterer Inhaltsstoffe des Cannabis, eine große Rolle für die Wirkung. Als Fertigarzneimittel stehen die pflanzliche Extraktmischung Nabiximols (THC und CBD), das teilsynthetische Dronabinol (THC) und das synthetische Nabilon (THC) zur Verfügung.

Was wirkt besser: Cannabis oder Opioide?

Für die Wirksamkeit von Opioiden gibt es keine aktuelle Übersicht. Die Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen“ aus dem Jahr 2020 ordnet aber je nach Indikation und Dauer des Schmerzes ein, ob es für die Wirkung von Opioidanalgetika studienbasierte Nachweise gibt. 

Zum Beispiel werden Opioide bei diabetischer Polyneuropathie, wenn die Schmerzen maximal drei Monate bestehen, stark empfohlen. Für eine Postzosterneuralgie, die drei Monate und länger andauert, fehlen hingegen Daten. Und bei Rückenmarksverletzungen, die maximal seit drei Monaten schmerzen, rät die Leitlinie von Opioiden ab. 

Je höher der Anteil psychischer Faktoren am Schmerzgeschehen ist, umso weniger wahrscheinlich helfen Opioide. Sind eindeutig Gewebe- oder Nervenschäden die Ursache des Schmerzes, wirken sie eher.

Wie gut ist Cannabis wirklich?

Seit Cannabis verordnet werden kann, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anonymisierte Daten gesammelt, im Juli erschien der Abschlussbericht. Darin heißt es unter anderem: „Während in 70 % der zu Cannabisextrakt, Dronabinol und Sativex® gemeldeten Fälle eine Besserung der Symptomatik übermittelt wurde, liegt der Anteil für die Cannabisblüten bei 91 %. In nahezu 70 % der erfassten Fälle wird eine Verbesserung der Lebensqualität berichtet, bei Verwendung von Cannabisblüten sind es fast 90 %. Bei Anorexie/Wasting sowie Übelkeit und Erbrechen fällt die Verbesserung mit 64 % etwas geringer aus, bei einer bestehenden Spastik kommt es bei mehr als 75 % der Patientinnen und Patienten zu einer Besserung.“

Suchtpotenzial berücksichtigen

Opioide und Cannabinoide können zu Abhängigkeit führen. In therapeutischen Dosen ist das Risiko gering, dennoch sollten beide Substanzen nicht abrupt abgesetzt, sondern ausgeschlichen werden. 

In den USA gibt es eine regelrechte Opioid-Epidemie, die Zahl der Drogentoten ist stark gestiegen. Dafür sehen Experten in Deutschland aber keine Anzeichen.

Im Verlauf einer Opioidtherapie kann sich eine Toleranz entwickeln, die zu Wirkeinbußen, in der Folge Dosisanpassungen und dadurch verstärkten Nebenwirkungen führt. Die Toleranzentwicklung gegenüber Cannabinoiden ist geringer.

Typische Nebenwirkungen von Opioiden sind:

  • Verstopfung,
  • Müdigkeit,
  • Schwindel,
  • Übelkeit und Erbrechen,
  • ein trockener Mund,
  • verringerte sexuelle Lust und
  • Störungen der Regelblutung.

Gefürchtet ist die Atemdepression, die bei Überdosierung tödlich verlaufen kann. Davor schützt das Antidot Naloxon.

Bei Cannabis kommt es charakteristischerweise zu Schläfrigkeit, Schwindel und einem trockenen Mund. Viele Anwender*innen berichten jedoch, schnell eine Toleranz gegen diese Nebenwirkungen zu entwickeln. Auch Übelkeit, Gewichtszunahme und Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Wahrnehmung sind möglich.

Manchmal kommt es zu einem ungewollten High; das kann Angst auslösen und Herzfrequenz und Blutdruck beeinflussen. Dann hilft es oft, wenn eine vertraute Person Gesellschaft leistet, bis der Betroffene sich beruhigen und entspannen kann. Insbesondere bei erblicher Veranlagung sind bei starker Überdosierung Psychosen möglich. 

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