: Eine Frau rauft sich die Haare und verzieht das Gesicht zu einer fletschenden, verzweifelten Grimasse.© microgen/iStock/Getty Images Plus
Borderline: wenn GefĂĽhle immer intensiv sind, raus mĂĽssen und man nicht weiĂź, wie man sich selbst regulieren kann.

Aus der Psychologie

BORDERLINE: WENN EMOTIONEN ESKALIEREN

Zwischen impulsivem Verhalten und intensiven Gefühlen verlieren Betroffene oft den Halt. Welche Rolle Skills in der Behandlung von Borderline spielen – und warum (Selbst-) Verständnis der erste Schritt zur Heilung ist.

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Die Borderline-Persönlichkeitsstörung, kurz Borderline, heißt genau genommen „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ“ oder kurz BPS. Die World Health Organization (WHO) unterscheidet zwei Borderline-Typen: den impulsiven Typ, der vorwiegend durch Schwierigkeiten mit der Emotions- und Impulskontrolle und konfliktbereites Verhalten gekennzeichnet ist. Und den Borderline-Typ, der zusätzlich mit innerer Leere, einem verzerrten Selbstbild und selbstzerstörerischem Verhalten zu kämpfen hat.

Borderline bedeutet wörtlich ĂĽbersetzt Grenzlinie. Der Begriff steht fĂĽr die veraltete Ansicht, dass die Persönlichkeitsstörung sowohl zu neurotischen als auch psychotischen Störungen zugeordnet werden könnte. In den 1930er-Jahren galten Neurosen als analysierbar und damit behandelbar, Psychosen nicht – und Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung als Grenzfall dazwischen. Heute sehen wir Borderline als Störung des Selbstbilds.

Borderline und das Verhalten Betroffener

Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben Emotionen und Impulse intensiv. Das zeigt sich auch in ihrem Verhalten sich selbst und anderen gegenĂĽber. Aber wie genau zeigt sich Borderline?

Von außen erkennbar sind das intensive Erleben von Emotionen und die starken Impulse natürlich nicht. Bemerkbar machen sie sich aber durch die fehlende Fähigkeit, sie zu regulieren. Wut oder Verzweiflung ebben bei gesunden Menschen nach einer gewissen Zeit wieder ab. Sie haben gelernt, mit sich selbst umzugehen. Aber Borderline-Betroffene werden von ihren Emotionen überwältigt und erkennen in dem Moment kein Aus. Auch das Verhalten können sie nicht regulieren, sodass sie sowohl impulsiv handeln als auch reagieren. Zur Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung gehören unter anderem:

  • Krasse Emotionen: Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung verspĂĽren keine innere Ruhe, da ihre Emotionen ständig schwanken und sie sie intensiv erleben. Verhältnismäßig kleine Vorkommnisse fĂĽhren zu heftigen Freuden-, aber auch WutausbrĂĽchen oder Heulkrämpfen der Verzweiflung. Unter Stress fĂĽhlen sie sich gleichzeitig innerlich leer oder taub bis hin zur Dissoziation.
  • Impulsives Verhalten: Entsprechend ihrer schnellen und groĂźen Emotionen haben Menschen mit Borderline auch heftige Impulse. Das zeigt sich im Verhalten: von Essanfällen oder Substanzmissbrauch bis zu selbstverletzendem Verhalten durch die Borderline, um sich von den Emotionen und der Ăśberforderung abzulenken. Oder, um sich im GefĂĽhl der Leere selbst spĂĽren zu können. Das sensible Verhalten wird von der AuĂźenwelt teilweise als streitlustig und unberechenbar interpretiert. Die Suizidalität Borderline-Betroffener darf auf gar keinen Fall unterschätzt werden, denn als Auswirkung des impulsiven Verhaltens ist das Risiko erhöht.
  • Instabile Beziehungen: Borderline-Betroffene fĂĽhren instabile Beziehungen. Dabei idealisieren sie Personen zunächst, entwickeln vielleicht sogar eine Abhängigkeit, um sie im nächsten Moment wieder abzuwerten. Etwa, weil sie Angst vor Verletzungen oder ZurĂĽckweisung haben und diesen Emotionen unterbewusst vorbeugen. Dieser Prozess wechselt sich immer wieder ab. AuĂźerdem leiden Borderline-Betroffene unter einer extremen Angst, verlassen zu werden. Teilweise trennen sie sich selbst von der Person, weil die Angst verlassen zu werden nicht mehr auszuhalten ist.
  • (Selbst-) Wahrnehmung: Ihr eigenes Verhalten und das, was ihr Umfeld ihnen daraufhin zurĂĽckspiegelt, fĂĽhrt bei Betroffenen der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu einem instabilen Selbstbild mit geringem Selbstwert. Sie leiden selbst unter ihren EmotionssprĂĽngen und ihrer Impulsivität, wollen sich meist gar nicht so verhalten. Paranoia steigt unter Stress, sodass sie beispielsweise die GefĂĽhle und Aufrichtigkeit naher Personen hinterfragen. Kleinigkeiten können sie tief verletzen. Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben generell Schwierigkeiten damit, die Emotionen und das Verhalten des GegenĂĽbers nicht auf sich zu beziehen.

Selbst erleben Borderline-Betroffene ihr Empfinden und Verhalten – vor einer Therapie – nicht als Zeichen einer Erkrankung, sondern als sich selbst zugehörig. Das führt oft zu Verzweiflung oder im schlimmsten Fall zu Selbsthass. Ohne Erklärung oder Diagnose reagiert auch das Umfeld entsprechend verständnislos und verletzend.

Daraus ergibt sich für Betroffene ein Teufelskreis, der sich schwer auf die Psyche legt. Eine Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung, etwa durch das Erlernen von Skills, ist von höchster Bedeutung, um Verständnis sich selbst gegenüber und im engen Sozialkreis zu entwickeln.

Borderline bei Männern und Frauen

Sowohl Männer als auch Frauen sind von der Borderline-Persönlichkeitsstörung gleichermaĂźen betroffen, wobei man Unterschiede im Verhalten und der Komorbidität feststellte. Das impulsive Verhalten sowie die Intensität der Emotionsempfindung unter Borderline sind bei beiden Geschlechtern gleich. Aggressionen und zerstörerische Impulse richten Männer jedoch eher nach auĂźen statt wie Frauen gegen sich selbst.

AuĂźerdem ist bei männlichen Borderline-Betroffenen der Substanzmissbrauch erhöht. Sie ziehen seltener eine Behandlung in Betracht, sodass sie seltener Besserung erfahren. Bei Frauen ist die Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen erhöht. So kommt oft begleitend zu Ess- und Angststörungen oder Depressionen

Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Wie so oft bei psychischen Störungen kommen bei den Ursachen genetische und psychosoziale Komponenten zusammen. Als Ursachen bekannt sind:

  • Genetische Faktoren: Menschen mit Verwandten, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt sind, haben ein erhöhtes Risiko, diese selbst zu entwickeln.
  • Biologische Faktoren: Neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass Betroffene Abweichungen im limbischen System, beispielsweise der Amygdala aufweisen, wo Emotionen und Impulse kontrolliert werden. Die Amygdala, das sogenannte GefĂĽhlszentrum, reagiert bei Betroffenen stärker. Bereiche des Stirnhirns, die Emotionen und Handlungen regulieren, reagieren hingegen schwächer.
  • Psychosoziale Faktoren: Trauma, Vernachlässigung im Kindesalter oder feindseliges Verhalten der Erziehungsberechtigten erschweren das Erlernen der Emotionskontrolle und erhöhen das Risiko fĂĽr eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Setzen die nahen Bezugspersonen Kinder immer wieder unter (heftigen) Stress oder verhalten sich traumatisierend, verhindern sie die Affektsteuerung.

Die Ursachen zu hinterfragen und soziale Faktoren aufzuarbeiten ist später auch in der Behandlung von Borderline entscheidend.

Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Vorab: Für Borderline gibt es keine spezifische medikamentöse Therapie. Arzneimittel werden gegebenenfalls für Komorbiditäten oder einzelne Symptome verordnet. Im Fokus steht bei der Borderline-Behandlung aber die Psychotherapie. Je eher Betroffene damit beginnen, desto häufiger hat die Therapie Erfolg.

Ziel der Behandlung ist es zum einen, dass Borderline-Betroffene ihre eigenen Emotionen und die ihres GegenĂĽbers verstehen. Zum Beispiel, dass der Partner kurz angebunden ist, weil er selbst gerade unter Stress steht – nicht, weil man etwas falsch gemacht hätte oder der Partner einen nicht mehr lieben wĂĽrde. Zum anderen erlernt man in der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit den starken GefĂĽhlen umzugehen und auf gesundem Weg die innere Unrast und die Impulse zu beruhigen.

DBT und Skills bei Borderline

Am besten untersucht, um Borderline zu behandeln, ist die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT). Sie nützt vor allem Betroffenen, die dazu neigen, sich selbst und/oder andere zu gefährden. DBT leitet zu Strategien an, Probleme und Emotionen zu verstehen, zu respektieren und schließlich zu lösen.

Ein wichtiger Eckpfeiler sind dabei sogenannte Skills, zu Deutsch „Fähigkeiten“. Die Betroffenen üben, ihre Emotionen, Zwischenmenschliches und Impulse achtsam wahrzunehmen, zu benennen und zu akzeptieren. Wichtig ist dabei das Anspannungslevel: Je nachdem, wie groß die Anspannung ist, wenden die Borderline-Betroffenen dazu passende Methoden an.

Welche Skills wem auf welchem Anspannungsniveau helfen, gilt es individuell herauszufinden. Das kann zum Beispiel Beruhigung durch den Lieblingsfilm sein, Ablenkung durch kleine Reize wie das Schnippen mit einem Gummiband oder auch größere Reize wie eine kalte Dusche. Bei einer Skills-Kette werden starke Emotionen und Impulse durch eine Abfolge von Skills auf immer kleinere Anspannungslevel umgeleitet, bis sie fĂĽr die Borderline-Betroffenen erträglich sind.

Vor oder nach einer DBT kommt fĂĽr viele Betroffene auch eine Traumatherapie zur Behandlung infrage. Die Erfolgsrate der Therapien bei Borderline ist hoch. Die Patient*innen lernen sich selbst kennen und entdecken in sich auch die positive Eigenschaft ihrer Erkrankung: Sie sind auch zu extremer Freude fähig. Sie sind sensible Menschen mit einem ausgeprägten EinfĂĽhlungsvermögen, die dem GegenĂĽber tiefes Verständnis entgegenbringen können.

Tipps fĂĽr den Umgang

Die Betroffenen selbst, aber auch ihre direkten Bezugspersonen können in einer Therapie Hilfestellungen fĂĽr ein funktionierendes und verständnisvolles Miteinander lernen. Durch das impulsive Verhalten sind eskalative Konflikte möglich, die mit Kommunikationsregeln eingegrenzt werden:

  • Ruhiges Ansprechen ohne Anschuldigungen (Kein „Du machst immer …“, „Du machst nie …“)
  • Akzeptanz des GegenĂĽbers, indem GefĂĽhle verstanden und erhört werden
  • Raum und Zeit fĂĽr Beruhigung einräumen
  • Abgrenzung zwischen GegenĂĽber und Borderline-Betroffenen: Bei unproduktiven Auseinandersetzungen mit Beleidigungen oder Suiziddrohungen beispielsweise kann man versuchen, den Konflikt in einer Therapiesitzung auszutragen.

Quellen:
Ulrich Voderholzer: „Therapie psychischer Erkrankungen – State of the Art 2022“, Urban & Fischer, 17. Auflage 2021.
Anne Kristin von Auer, Michael Kaess: „Borderline-Persönlichkeitsstörung“, Hogrefe Verlag, 1. Auflage 2023.
https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/43978-borderline-persoenlichkeitsstoerung.html
https://icd.who.int/browse10/2019/en#/F60-F69

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