Darmwand.© wildpixel / iStock / Getty Images

Krankheiten im Kindesalter

OFTMALS NICHT EINDEUTIG

Wenn man von Zöliakie hört, denkt man zuerst an Darmprobleme – doch die Krankheit kann sich auch völlig anders äußern. Mitunter dauert es deshalb so lange, bis die Diagnose gestellt wird.

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Die Zöliakie ist mit einer Prävalenz von 1:100 bis 1:500 häufiger als früher gedacht. Oft erkranken bereits Kinder, aber die Krankheit kann auch erst im Erwachsenenalter auftreten. Weil die Symptome und Beschwerden sehr verschieden ausfallen können und ein Teil der Betroffenen sogar symptomfrei ist, ist die Zöliakie oft nur schwer zu fassen. Bis zur Diagnose vergehen durchschnittlich vier Jahre.

Entzündung im Darm Bei der Zöliakie handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die neben dem Dünndarm auch zahlreiche weitere Organsysteme betreffen kann und die durch glutenhaltige Nahrungsmittel ausgelöst wird. Gemäß aktuellem Wissensstand werden Glutenpeptide wie Gliadin bei der Verdauung im Zwölffingerdarm nicht vollständig abgebaut und gelangen über das Darmepithel auf die andere Seite der Epithelzellschicht. Dort ist im Bereich der Basalmembran das Enzym Gewebetransglutaminase (häufig abgekürzt als TG2 oder tTG) vorhanden, welches Komplexe mit den Glutenpeptiden bildet und deren Glutaminreste deamidiert.

Nun kommt das Immunsystem ins Spiel: Insbesondere die deamidierten Glutenpeptide werden mit hoher Affinität von den MHC-Molekülen HLA-DQ2 und HLA-DQ8 auf den antigenpräsentierenden Zellen gebunden und den T-Zellen präsentiert. Diese lösen eine Entzündungsreaktion aus, bei der Autoantikörper gegen die Gewebetransglutaminase gebildet werden und das Darmepithel angegriffen wird.

Die Folgen: Die Schleimhautzotten im Dünndarm bilden sich zurück und die Oberfläche der Darmschleimhaut verkleinert sich. Außerdem bilden sich Ansammlungen von Lymphozyten innerhalb der Schleimhaut. Dadurch können weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufgenommen werden, was längerfristig zu Nährstoffmangelsyndromen führen kann, die wiederum zahlreiche unterschiedliche Beschwerden verursachen können.

Vielfältige Symptome Basierend auf dieser Pathophysiologie – und vermutlich weiteren noch unbekannten Faktoren – ergibt sich ein breites Spektrum an möglichen Erscheinungsbildern:

  • Klassische Zöliakie: Die Symptome umfassen chronische Durchfälle, voluminöse übelriechende Stühle sowie Gewichtsverlust und Gedeihstörung bei Kindern. Krankheitsbeginn ist meist im ersten bis dritten Lebensjahr. Nur etwa 10 bis 20 Prozent aller Betroffenen weisen eine klassische Zöliakie auf.
  • Symptomatische Zöliakie (früher auch als atypische Zöliakie bezeichnet): Betroffene haben unspezifische gastrointestinale Beschwerden, wie beispielsweise Blähungen, Verstopfung, Bauchschmerzen. Es können aber auch Beschwerden auftreten, die mit dem Darm auf den ersten Blick nichts zu tun haben, darunter Schlafstörungen, Leistungsminderung, Depressionen. Infolge der verminderten Nährstoffaufnahme kann sich ein Mangel an Eisen, Eiweißen, Vitaminen oder Spurenelementen mit entsprechenden Folgen entwickeln.
  • Subklinische Zöliakie (früher: silente oder asymptomatische Zöliakie): Eine subklinische Zöliakie liegt vor, wenn sich zwar die typischen Autoantikörper gegen die Gewebetransglutaminase und Veränderungen der Dünndarmschleimhaut nachweisen lassen, aber Betroffene keine Symptome aufweisen. Auffällige Laborbefunde oder auch eine verminderte Knochendichte sind jedoch möglich.
  • Potenzielle Zöliakie: Bei dieser Form schließlich lassen sich zwar Autoantikörper, aber keine oder nur sehr geringfügige Veränderungen des Dünndarmepithels nachweisen.

Aufgrund des vielfältigen Erscheinungsbildes sollte bei Kindern und Jugendlichen mit Beschwerden im Magen-Darm-Bereich, aber auch bei so vielfältigen Beschwerdebildern wie Gedeihstörungen, Gewichtsverlust, Kleinwuchs, verzögerter Pubertät, chronischer Müdigkeit, Knochenbrüchen ohne Trauma, erhöhten Leberwerten, wiederkehrenden Aphten im Mund, Zahnschmelzdefekten, Haarausfall oder chronischen Kopfschmerzen an eine Zöliakie als mögliche Ursache gedacht werden.

Diagnostik Bei Verdacht auf eine Zöliakie wird im Serum nach IgA-Antikörpern gegen die Gewebetransglutaminase gesucht. Wichtig: Die Glutenzufuhr darf vorher nicht reduziert oder gar eliminiert werden, denn dadurch sinken die Antikörperspiegel und eine sinnvolle Auswertung der Tests ist mehr möglich. Ist der IgA-Antikörper gegen die Gewebetransglutaminase erhöht, ist eine Dünndarmbiopsie mit Nachweis der Zöliakie-typischen Veränderungen notwendig, um die Diagnose zu sichern.

Falls der Spiegel der IgA-Antikörper gegen die Gewebetransglutaminase mehr als zehnfach erhöht ist und in einer zweiten unabhängigen Blutentnahme erhöhte Endomysium-IgA-Antikörper nachgewiesen werden, kann auf eine Dünndarmbiopsie verzichtet werden. In unklaren Fällen kann eine genetische Untersuchung hilfreich sein: Nur Menschen, die HLA-DQ2- oder HLA-DQ8-positiv sind, können an Zöliakie erkranken. Lassen sich diese Merkmale nicht nachweisen, ist eine Zöliakie ausgeschlossen. Zu Beginn der Diagnostik muss außerdem das Gesamt-IgA gemessen werden, um einen generellen IgA-Mangel auszuschließen.

In diesem Fall müsste für die Diagnostik auf IgG-Antikörper ausgewichen werden. Aufgrund der genetischen Komponente haben Kinder mit an Zöliakie erkrankten Eltern oder Geschwistern ein erhöhtes Risiko, ebenfalls an Zöliakie zu erkranken. Außerdem ist Zöliakie häufig mit weiteren Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Typ-1-Diabetes assoziiert. Schließlich besteht auch bei einem IgA-Mangel, Down- und anderen genetischen Syndromen ein erhöhtes Risiko für Zöliakie. Bei Kindern, auf die einer dieser Faktoren zutrifft, sollte daher verstärkt an eine Zöliakie gedacht und eine Diagnostik durchgeführt werden.

Verzicht auf Gluten Die Therapie der Zöliakie besteht im Verzicht auf Gluten-haltige Nahrungsmittel, also auf die Getreidesorten Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Einkorn, Emmer, Kamut und Grünkern sowie alle daraus hergestellten Produkte. Bei einem konsequenten Verzicht sinken die Antikörperspiegel gegen die Gewebetransglutaminase, die Entzündungsreaktion klingt ab und die Darmzotten erholen sich. Damit gehen auch die Symptome zurück.

Doch auch für Menschen, die bislang keine Symptome gespürt haben, ist der Verzicht auf Gluten wichtig, da sonst die Dünndarmentzündung weiter bestehen bleibt und sich Mangelerscheinungen mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen entwickeln können. Auch Fruchtbarkeitsstörungen, psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen sowie eine autoimmune Hauterkrankung können in Zusammenhang mit einer nicht behandelten Zöliakie auftreten. Schließlich senkt eine frühzeitige glutenfreie Ernährung bei Betroffenen das Risiko für ein sogenanntes Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 98.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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