Drei winzige Baby-Figuren in Reagenzgläsern© Moussa81/ iStock / Getty Images Plus
Können wir uns unser Wunschkind im Reagenzglas designen - kerngesund, intelligent und hübsch? Oder wo liegen die Grenzen?

Genforschung

DESIGNERBABYS – ZUKUNFTSHOFFNUNG ODER HORRORVISION?

Die Genforschung schreitet kontinuierlich fort. Gentherapie ist längst kein Wunschdenken mehr, sondern wird längst eingesetzt. Und es leben bereits Kinder, die vor ihrer Geburt mit der Genschere behandelt wurden. Doch wo liegt die Grenze? Was „darf“ die Forschung?

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Für ihr ungeborenes Kind wollen Eltern nur das Beste: Es soll gesund zur Welt kommen und gesund durchs Leben gehen. Aber was, wenn Untersuchungen schon vor der Geburt zeigen, dass das Kind an schweren Erbkrankheiten leiden wird? Können und dürfen wir Ungeborene genetisch behandeln?

Diagnose- und Therapieoptionen stoßen nicht nur an technische, sondern auch an moralische Grenzen. Werfen wir einen Blick in die Laborgläser der Genetiker.

Diagnostik schon vor der Geburt

Schon lange gibt es Möglichkeiten, bestimmte Erbkrankheiten oder Chromosomenfehler bereits vor der Geburt beim Ungeborenen festzustellen. Bei dieser Pränataldiagnostik kann durch die Untersuchung des Fruchtwassers unter anderem das Down-Syndrom zu einem Zeitpunkt erkannt werden, an dem ein Schwangerschaftsabbruch rechtlich noch möglich wäre.

Weiter besteht bei künstlicher Befruchtung die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik. Hier wird aus mehreren im Reagenzglas erzeugten Embryonen gezielt ausgewählt, welche davon in die Gebärmutter der Mutter eingesetzt werden, nachdem vorher das Genom der Embryonen auf Defekte untersucht wurde.

Präimplantationsdiagnostik muss in Deutschland grundsätzlich von einer Ethikkommission genehmigt werden und unterliegt strengen Auflagen durch das Embryonenschutzgesetz. Nur bei besonders schweren genetische Erkrankungen der Eltern, die für das Kind eine verringerte Lebenserwartung bedeuten, darf eine solche Untersuchung stattfinden. Andere europäische Länder regeln Präimplantationsdiagnostik deutlich lockerer. Pränataldiagnostik dagegen ist auch in Deutschland bereits an der Tagesordnung.

Obwohl es sich um Diagnostik und nicht um eine Genmanipulation handelt, scheiden sich bereits hier die Geister. Ethiker und Theologen fürchten, mit solchen Möglichkeiten den Weg zum „perfekten“ Wunschkind zu ebnen und in unpassender Weise Macht über Leben und Tod auszuüben. Denn wer soll entscheiden, welches Leben lebenswert ist und welches nicht? Letztlich steht es den Eltern frei, die Untersuchungen durchführen zu lassen.

„Designerbaby“: Wir wissen, dass wir nichts wissen

Das klassische „Designerbaby“ mit passender Augenfarbe, kerngesund, möglichst schlau und muskulös: Das wird es nicht so bald geben. Denn obwohl die Forschung schier unglaubliche Fortschritte macht; ganz so einfach ist das alles nicht.

Das menschliche Genom ist unglaublich komplex. Bis heute weiß man trotz intensiver Bemühungen nicht, welche Gene genau für welche Merkmale verantwortlich sind. Britische Forscher haben 2020 herausgefunden, dass ungefähr 60 Gene allein die Augenfarbe mitbestimmen. Wie genau, ist bisher nicht bekannt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Eltern in naher Zukunft das Aussehen ihres Kindes vorbestimmen werden.

Ebenfalls in Großbritannien untersuchte ein Forscherteam die Zusammenhänge zwischen dem Genom eines Menschen und seinen schulischen Leistungen. Die Ergebnisse waren eindeutig: bis zu 500 Gene könnten einen Einfluss auf die Intelligenz haben. Selbst die größten Optimisten unter den Genforschern glauben nicht daran, durch gezielte Manipulation Einfluss nehmen zu können.

Auch die erschreckende Vision Wladimir Putins von Soldaten, die ohne Schmerz, Angst, Mitleid und Reue kämpfen können, ist zum Glück nur ein Absatz in einer seiner Reden.

Anders sieht die Lage allerdings bei Erkrankungen aus, bei denen die auslösenden Gene genau bekannt sind.

Der Tabubruch

Im Jahr 2018 schockierte die Geburt der Zwillinge Lulu und Nana in China die Welt. Sie sind das Ergebnis eines genetischen Experiments, das weltweit scharf verurteilt wird. Der Genforscher He Jiankui forschte im Jahr 2017 an hunderten menschlicher Embryonen mit der Genschere CRISPR/Cas. Schon dabei verstieß er selbst im in dieser Hinsicht sehr liberalen China gegen geltendes Recht.

Entgegen jeder Vorschrift setzte er dann zwei der genetisch veränderten Embryonen einer Frau ein, die im November 2018 die Zwillinge bekam. Diesen Kindern, so die Idee, sollte ein Angriffspunkt für HIV aus dem Genom entfernt werden, um sie gegen das Virus immun zu machen.

Wie sich später herausstellte, gelang das Experiment nicht. Die Zwillinge weisen beide nicht die gewünschte, sondern eine unbekannte Veränderung des entsprechenden Gens auf. Welche Folgen das für die heute Vierjährigen hat? Keiner weiß es genau. Der Vorfall zeigt: Selbst wenn man ganz genau weiß, an welcher Stelle das Erbgut verändert werden soll, kann das Ergebnis unerwartet ausfallen.

Der Wissenschaftler wurde für sein Fehlverhalten zwar verurteilt und musste drei Jahre ins Gefängnis. Doch es gibt immer wieder Berichte über weitere genetische Experimente.

Gentherapie gegen Erbkrankheiten und Krebs

Veränderungen an menschlichen Keimbahnzellen, also an Spermien, Eizellen oder Embryonen, sind höchst umstritten. Nicht ohne Grund, denn sie sind irreversibel und werden auch an die nachfolgenden Generationen vererbt.

Mit den modernen Methoden kann man theoretisch jeden Gendefekt korrigieren, indem man mittels CRISPR/Cas das entsprechende Stück heraustrennt und eine korrigierte Version einsetzt. In der Behandlung bestimmter Erbkrankheiten oder in der Krebstherapie setzen Mediziner mittlerweile auf die genetische Veränderung vorher entnommener Blutzellen des Menschen. Die krankhaft veränderten Zellen werden außerhalb des Körpers genetisch „geheilt“ und dem Patienten wieder zugeführt.

Allerdings wird diese Therapie nur an den körpereigenen Zellen der entsprechenden Person durchgeführt und betrifft nicht die Erbsubstanz in den Keimzellen.

Die CRISPR/Cas-Methode
Die sogenannte Genschere ist eigentlich ein Molekülkomplex. Ihr Name CRISPR/Cas ist eine Abkürzung für die an ihr beteiligten Eiweiße. Der Molekülkomplex kann an einer bestimmten Stelle der DNA binden, trennt den Strang durch Enzyme durch und setzt ein vorher ausgewähltes Stück ein.
Theoretisch ist die Methode sehr genau. Praktisch finden Schätzungen zufolge bei 10-20 Prozent der Fälle Fehler statt und die DNA wird an der falschen Stelle geschnitten. Außerdem haben neue Forschungsarbeiten gezeigt, dass auch manchmal der falsche DNA-Strang durchtrennt wurde oder an der Schnittstelle Umbauten stattfanden, mit denen man nicht gerechnet hatte.
Bei Pflanzen und Tieren wird die Methode vielfach eingesetzt. Auch Zellen, die nicht zur Keimbahn gehören, werden bereits mit CRISPR/Cas behandelt.

Unterschiedliche Ansichten

Was in der Gentechnik erlaubt ist und was nicht, ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Die meisten europäischen Länder erlauben keinen Eingriff in die menschliche Keimbahn, es gibt aber auch hier große Unterschiede.

Das deutsche Embryonenschutzgesetz setzt wenige Tage alte Embryonen rechtlich mit einem geborenen Baby gleich. Auch Stammzellen dürfen nur aus dem Ausland unter strengen Regeln importiert und nicht in Deutschland hergestellt werden. Zunehmend wird diese Regelung von führenden Wissenschaftlern in Frage gestellt, denn viele Forschungsfragen lassen sich nur an Embryonen oder embryonalen Stammzellen beantworten.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften plädieren in einer Stellungnahme für die Neuregelung der Embryonenforschung in Deutschland. Sie fordern für betroffene Paare die Möglichkeit, bei künstlichen Befruchtungen überzählige Embryonen für die Forschung spenden zu dürfen. Auch der Deutsche Ethikrat schließt eine Veränderung von menschlichen Keimbahnzellen nicht mehr kategorisch aus.

International gibt es große Unterschiede in den rechtlichen Regelungen. In den USA hat jeder Bundesstaat andere Vorschriften, allerdings ist eine staatliche Förderung der Embryonenforschung im ganzen Land verboten. China dagegen führt staatliche Forschungsprogramme durch. In Großbritannien werden Forschungslizenzen für einzelne Projekte nach strenger Prüfung durch den Staat vergeben.

Die UNESCO erklärte 1997 das menschliche Erbgut zum schützenswerten Erbe der Menschheit. Das hat rechtlich allerdings keinerlei Bedeutung. Die Auffassungen davon, was moralisch akzeptabel ist und was nicht, gehen weltweit stark auseinander. Eine einheitliche rechtliche Regelung dazu dürfte nahezu ausgeschlossen sein.

Leben der Zukunft?

Die Geburt von Lulu und Nana hat möglicherweise bereits dazu geführt, dass sich Ansichten langsam lockern. Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates schreibt dem Geburtsdatum der Zwillinge historische Bedeutung zu: Es gebe den Menschen nun als genetisch veränderten Organismus.

Eine internationale Expertenkommission aus hochrangigen Wissenschaftlern lehnt DNA-Veränderungen an menschlichen Embryonen klar ab. Die Methoden seien längst nicht ausgereift genug, so das 2020 veröffentlichte Gutachten. Es gehe hier nicht nur um mögliche, noch unbekannte Schäden für die Gesundheit der gentechnisch veränderten Menschen, sondern auch um moralische Grundsätze.

Ob sich alle Forscher weltweit daran orientieren, ist fraglich. In Russland beispielsweise forscht ein Team bereits mit einem ähnlichen Ansatz wie He Jiankui an einer genetisch bedingten Taubheit. Zwar verspricht der Leiter des Projektes, keine veränderten Embryonen einer Frau einzusetzen, aber eine Garantie ist das nicht.

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/designerbabys-aus-dem-labor/
https://www.spektrum.de/news/gentechnik-die-crispr-kinder/1965646
https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-eingriffe-in-die-menschliche-keimbahn.pdf
https://www.leopoldina.org/themen/embryonenforschung/standards-und-praxis/

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