Vater, Sohn und Mutter sitzen nebeneinander auf dem Sofa und schauen ernst.© Noel Hendrickson / iStock / Getty Images Plus
Wie viel Sorge tut einem Kind gut? Diese Frage verunsichert viele Eltern. Sie wollen ihrem Nachwuchs Freiraum geben, haben aber auch Angst vor Gefahren.

Erziehung

HELIKOPTERELTERN – ÜBERBESORGT ODER GERADE RICHTIG?

Vorsicht ist besser als Nachsicht - diese Redewendung beherzigen auch viele Eltern, wenn es um die Gesundheit ihrer Kinder geht. Manchmal nehmen die Sorgen aber Überhand.

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Im Internet, im Freundes- und Bekanntenkreis und in unzähligen Ratgeberbüchern wimmelt es nur so von Tipps und Warnungen rund um die Gesundheit von Kindern. Und natürlich wollen alle nur eines: Das Beste für die Kleinen. So viele Infos von allen Seiten können Eltern schon mal durcheinanderbringen: Manchmal schießen sie in Sachen Vorsicht über das Ziel hinaus. Und manchmal unterdrücken sie ihre Sorgen, um nicht als Helikoptereltern abgestempelt zu werden. Wie finden sie das richtige Maß zwischen Sorge und Lockerheit?

Für Mütter und Väter ist das oft schwer - gerade in diesen Zeiten, wo vor allem in sozialen Medien Tausende Ratschläge zu finden sind und jeder eine eigene Meinung zum Thema Erziehung und Fürsorge hat.

Das Problem mit dem Helikopter-Etikett

Er habe schon das Gefühl, dass die Unsicherheit bei Eltern größer geworden ist, sagt Hermann Josef Kahl vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Viele reden den Eltern rein, das kann schon verunsichern“, beobachtet der Mediziner. Etiketten wie „Helikoptereltern“ kommen erschwerend hinzu - so möchte niemand bezeichnet werden. „Der Begriff ist diskriminierend und gehört aus dem Sprachgebrauch verbannt“, meint Kahl.

Er schätzt, sagt der Kinder- und Jugendarzt, dass die Bezeichnung wohl auf weniger als ein Prozent der Eltern zutreffe, sich aber 40 bis 50 Prozent Gedanken darüber machen, dass sie ihr Kind überbehüten - und sich dann entgegen ihrem eigenen Gefühl zu wenig kümmern. Die Folgen können verheerend sein.

Verunsicherung durch Flut an Tipps

Silvia Höfer hat 40 Jahre lang als Hebamme gearbeitet und zuletzt gemeinsam mit ihrem Mann Thomas, der Toxikologe ist, das Buch „Ist das schädlich für mein Kind?“ geschrieben. Auch sie sagt, dass der Beratungsumfang zu Gesundheitsgefahren in den letzten Jahren zugenommen habe. Wundern tut sie sich darüber nicht.

„Soziale Medien, Warn-Apps, Ratschläge von Eltern und Großeltern - so viele Vorschläge. Da können Eltern nicht einschätzen, welche Dinge gut für ihre Kinder sind“, sagt Höfer.

Stillen und Schulweg - wo ist das Problem?

Sie erinnere sich an eine Frau, deren Familie der festen Überzeugung war: Ein Baby dürfe nicht über den sechsten Monat hinaus gestillt werden. „Sie hatte Angst, gegen die Familienhaltung zu verstoßen, und wollte dem vermeintlich vollkommenen Bild einer Mutter entsprechen.“ Das Ergebnis: Sie stillte ihr Kind nach dem sechsten Monat nur noch heimlich, weil sie spürte, dass es weiterhin Muttermilch und Nähe brauchte.

Auch in anderen Bereichen sind Eltern verunsichert. Wer sein Kind zur Schule begleitet, wird oft schief angeguckt. Mediziner Kahl hat dazu eine klare Meinung. „Fakt ist: Verkehr ist gefährlich“, sagt er. Es sei deshalb nicht verwerflich, sein Kind davor zu schützen, findet Kahl. Denn: „Der Schutz des Kindes steht im Vordergrund.“

Tatsächlich verkannte Risiken beachten

Die wahren Gefahren fürs Kind werden aus Sicht des Ehe- und Autorenpaars Höfer häufig verkannt. Thomas Höfer nennt an erster Stelle das Fallen vom Wickeltisch, etwas später werde das Ersticken vor allem an Nahrung zur größten Gefahr für Kleinkinder.

Ein weiteres unterschätztes Problem: „Die Lagerung von Putzmitteln, gerade von Flüssigwaschmitteltabs“, sagt Thomas Höfer. Wenn sie in Reichweite sind und Kinder sie in den Mund nehmen, kann das zu schweren Verätzungen führen.

Er sagt: „Wenn die Eltern diese Gefahren kennen, Warnhinweise ernst nehmen und sich entsprechend verhalten, haben sie schon sehr viel zum Schutz ihrer Kinder getan.“

Anzeichen für zu viel Angst

Woran können Eltern merken, ob sie noch elterliche Sorge oder schon übermäßige Angst empfinden? „Wenn man immer gestresst ist oder die Freude am Leben verloren geht, dann sollte man einen Gang zurückschalten“, rät Silvia Höfer.

Wenn es nicht mehr möglich ist, sich einfach Zeit für das Kind zu nehmen, und man zum Beispiel kein sicheres Bauchgefühl hat, was gut und was schlecht fürs Baby ist, seien das weitere Warnsignale, sagt die Autorin. Und auch wenn man wirklich Angst hat, die «falsche» Windel oder nicht den richtigen Kindersitz auszuwählen.

Thomas Höfer ergänzt: „Zu viel wird es, wenn man das Leben mit dem Baby nur noch unter dem Aspekt der Gefahrenerkennung betrachtet.“

Wirkung aufs Baby

Gerade bei Säuglingen kann sich das auswirken: Die Babys sind dann selber gestresst. „Säuglinge haben sehr feine Sensoren. Sie lesen am Gesichtsausdruck der Eltern und über Körperkontakt ab, ob sie in Sicherheit sind“, sagt er.

Wer merkt, dass Ängste und Sorgen um das Kind einen selbst zu fest im Griff haben, kann versuchen, gegenzusteuern. „Vielen Eltern helfen rationale Informationen“, so der Experte. Wer um die relevanten Gefahren wisse, werde in anderen Situationen oft entspannter.

Das richtige Maß gibt es nicht

Kinderarzt Kahl betont: „Wer sich um sein Kind kümmert und sorgt, macht alles richtig. Und wer will beurteilen, was zu viel ist?“ Er nehme die Sorgen der Eltern ernst und bespreche sie in Ruhe. „Wenn Eltern unsicher sind, sollten sie ihren Kinderarzt um Rat fragen.“ Wer sich mit seinem Kind beschäftige und respektvoll mit ihm umgehe, der könne eigentlich nichts verkehrt machen, sagt Kahl.

Silvia Höfer rät: „Eltern müssen lernen, ihre Kinder wirklich wahrzunehmen.“ Dazu gehöre, das Smartphone zur Seite zu legen. „Sie sollten sich eine halbe Stunde hinsetzen und ihr Kind anhimmeln, um zu begreifen, wie schön und perfekt es ist.“

Quelle: dpa

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