Ein Haufen weißer, blauer und beiger Tabletten und Kapseln© AlexRaths/iStock/Getty Images Plus
Viel zu viel: Die Zahl der Antibiotika-Verordnungen steigt in Deutschland wieder.

Resistenzen

ANTIBIOTIKAVERBRAUCH IN DEUTSCHLAND IST ZU HOCH

Antibiotika werden in Deutschland viel zu oft verordnet. Jeder Zweite bekam sie 2023 verschrieben, zeigt jetzt eine Statistik. Damit liegt der Antibiotikaverbrauch in Deutschland sogar wieder über dem Niveau vor der Pandemie. Experten warnen vor ernsten Folgen.

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Das wirtschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat Zahlen darüber vorgelegt, wie viele Packungen Antibiotika im Jahr 2023 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegeben wurden. Die Zahlen sind erschreckend hoch, sogar höher als vor der Pandemie. Und noch etwas bereitet Experten Sorge.

Antibiotika werden, so die Meinung des WIdO, viel zu oft verordnet. Aber es ist auch ein Problem, welche Antibiotika genau das sind.

Antibiotikaverbrauch in Deutschland generell zu hoch

Im Jahr 2023 wurden zu Lasten der GKV 36,1 Millionen Packungen Antibiotika abgegeben. Das macht 323,7 Millionen Tagesdosen in ganz Deutschland. Rechnerisch kommen also auf 1000 Versicherte 486 Verordnungen, das ist fast jeder Zweite. Das Problem: Oft wird vor einer Verordnung von Antibiotika gar nicht geprüft, ob tatsächlich ein bakterieller Infekt vorliegt.

Regional gibt es beim Antibiotikaverbrauch 2023 in Deutschland große Unterschiede. So kommen in Hamburg 328 Verordnungen auf 1000 Versicherte, während es im Saarland 539 waren. Eine Erklärung dafür liefert das WIdO in seiner Studie nicht.

Während der Pandemie sank die Zahl der über die GKV abgerechneten Antibiotika, gegenüber dem Jahr 2022 stieg die Menge aber um 16,8 Prozent an. Damit liegt der Antibiotikaverbrauch in Deutschland sogar über dem Niveau von 2019, dem Jahr, in dem die Pandemie ihren Ursprung hatte.

Viele Antibiotika, viele Resistenzen

Das Problem an dem hohen Antibiotikaverbrauch, nicht nur in Deutschland, ist die Gefahr der Resistenzbildung. Jeder Einsatz von Antibiotika steigert das Risiko, dass Bakterienstämme Resistenzen gegen die Wirkstoffe ausbilden. Auch kleine Mengen reichen dafür. Das führt dann zu Unwirksamkeit ganzer Wirkstoffklassen, weil die Zentralstrukturen oft sehr ähnlich und Teil der Wirkung sind.

Ein Beispiel ist der Beta-Lactam-Ring der Penicilline und Cephalosporine. Gegen diese Antibiotika beruhen Resistenzen darauf, dass die Bakterien den Beta-Lactam-Ring spalten können und so die Wirkung der Antibiotika aufheben. Der besondere Trick bei Resistenzen ist, dass die Gene dafür unter Bakterien ausgetauscht werden können. Ein Bakterienstamm muss also selbst gar keinen Kontakt mit dem betreffenden Antibiotikum gehabt haben.

Gegen Bakterienstämme, die gegen einzelne oder sogar mehrere Antibiotika Resistenzen gebildet haben, setzt man sogenannte Reserveantibiotika ein. Doch auch diese werden, so das WIdO, viel zu oft verordnet und verlieren so ebenfalls an Wirkung.

Rund 43 Prozent aller 2023 verordneten Antibiotika waren Reserveantibiotika. Damit sind Antibiotika gemeint, gegen die kaum oder wenig Resistenzen bestehen. Sie sollen nur dann eingesetzt werden, wenn ein Erreger nachgewiesen wurde, der gegen mehrere standardmäßig eingesetzte Antibiotika resistent ist. So will man verhindern, dass auch diese Substanzen an Wirkung verlieren.

Vor allem die Fluorchinolon-Antibiotika wie Ciprofloxacin, Ofloxacin und Moxifloxacin sind nicht für unkomplizierte Infekte zugelassen, werden aber oftmals dafür verordnet. Das führt bereits dazu, dass sich auch gegen diese Antibiotika zunehmend Resistenzen entwickeln. Bei lebensgefährlichen Infektionen mit multiresistenten Erregern bleiben immer weniger Behandlungsoptionen.

Bei lebensgefährlichen Infektionen mit multiresistenten Erregern bleiben immer weniger Behandlungsoptionen.

Antibiotikaverbrauch soll nicht nur in Deutschland sinken

Eigentlich soll der Antibiotikaverbrauch nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union bis 2030 sinken. Nur Finnland hat es aber 2023 geschafft, die gesetzten Ziele (knapp) einzuhalten: Finnland hat seinen Antibiotikaverbrauch um 12 Prozent gesenkt. Deutschland hat für den EU-Vergleich keine Zahlen geliefert, steht aber mit seinem Antibiotikaverbrauch insgesamt ganz gut da. Im Gegensatz dazu stieg der Verbrauch von Antibiotika in Bulgarien um satte 27 Prozent gegenüber dem Jahr 2022.

Auch in der Tierhaltung werden weniger Antibiotika eingesetzt. Eine Gesetzesänderung ließ den Antibiotikaverbrauch für die Tierhaltung in Deutschland um 2,1 Prozent sinken. Wenn man aber weiß, dass dieser Wert elf Tonnen entspricht, ist jedem klar, wie hoch der Antibiotikaverbrauch auch hier noch ist.

Nicht nur Deutschland droht ein ernstes Problem, denn auch Spuren von Antibiotika im Essen oder in der Umwelt bringen weitere resistente Bakterien hervor.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/zu-viele-antibiotikaverordnungen-153323/
https://www.wido.de/forschung-projekte/arzneimittel/arzneimittelverbrauch/
https://www.aerzteblatt.de/news/antimikrobielle-resistenzen-erhebliche-unterschiede-hinsichtlich-der-2030er-ziele-in-europa-82f3f977-0b84-4377-829d-83e7a15fd302
https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/ESAC-Net_report-2023.pdf 

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