Eine Person im weißen Schutzanzug steht vor einem See und gießt eine Wasserprobe aus einem Reagenzglas in ein Becherglas.© Smederevac / iStock / Getty Images Plus
Wasserproben in der Nähe von zehn Antibiotikaherstellern zeigen: Die Arzneimittel gelangen in die Umwelt.

Grenzwerte überschritten

HERSTELLER MITVERANTWORTLICH FÜR ANTIBIOTIKA-RESISTENZEN

Antibiotikaresistenzen kosten jährlich 1,3 Millionen Menschen das Leben, Tendenz steigend. Es besteht dringend Handlungsbedarf, doch viele Hersteller machen das Problem eher schlimmer. Das ist das Ergebnis eines Pilotprojektes der AOK-Gemeinschaft.

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An zehn Produktionsstandorten rund um den Globus finden sich teils erschreckend hohe Konzentrationen an Antibiotika in der Umgebung, so Vertreter der AOK Baden-Württemberg und des IWW Rheinisch-Westfälischen Zentrums für Wasserforschung.

Das Problem: Auch Antibiotika in der Umwelt können zu Resistenzen führen. Das Pilotprojekt soll nun fortgeführt werden, um weitere Produktionsstätten zu untersuchen.

Große Mengen Antibiotika in der Umwelt

Dr. Tim aus der Beek, der beim IWW Rheinisch-Westfälischen Zentrum für Wasserforschung arbeitet, hat acht Fabriken in Indien, eine in Spanien und eine in Italien besucht und geprüft, wie viel der dort hergestellten Antibiotika in die Umwelt gelangt. Er fand Erschreckendes heraus: Teilweise wurden die Grenzwerte, etwa bei Ciprofloxacin, um 11 000 (!) Prozent überschritten. Das seien riesige Konzentrationen, „die man fast schon in Tablettenform fassen kann“, so der Forscher. In all den Jahren seiner Tätigkeit habe er derart hohe Werte noch nicht gesehen.

Und es kommt noch schlimmer. Nicht einmal die Hälfte der Produktionsstätten schafft es, die Grenzwerte einzuhalten. Damit ist die Konzentration an Antibiotikum gemeint, bei der keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Sie wurden vom Umweltbundesamt errechnet.

Überschreitungen führen zu mehr Resistenzen gegen den Wirkstoff, was langfristig einen Wirkverlust des betreffenden Antibiotikums bedeutet. Damit steht für lebensbedrohliche Infektionen dann unter Umständen kein wirksames Antibiotikum zur Verfügung.

Erschreckende Messwerte auch in Europa

Das gilt auch, wenn die Herstellung der Substanzen zum Großteil am anderen Ende der Welt stattfindet. Studien zeigten, so Dr. Tim aus der Beek, dass 70 Prozent der Asienreisenden während ihres Aufenthaltes Resistenzen entwickeln.

Das Problem bezieht sich den Zahlen zufolge auch nicht nur auf die indischen Produktionsstätten. Auch in der Kläranlage eines europäischen Betriebes fanden die Forscher neun verschiedene Antibiotika. Aus der Beek und sein Team haben Satellitenbilder ausgewertet und Wasseraufbereitung, Abwasserrohre und Regenüberläufe überprüft. Außerdem entnahmen sie Proben aus nahegelegenen Gewässern.

AOK enttäuscht von Herstellern

Hintergrund des Projektes war eine Ausschreibung der AOK-Gemeinschaft im Jahr 2020 für insgesamt fünf Antibiotika. Erstmals konnten die Hersteller Boni verdienen, wenn sie neben den üblichen Ausschreibungsbedingungen (vor allem Preis und technische Standards) eine kürzere Lieferkette nachweisen konnten oder bestimmte Umweltstandards erfüllten.

Vier pharmazeutische Unternehmen klagten gegen die neuen Bedingungen. Ein Gericht urteilte dazu: nach geltendem EU-Vergaberecht darf eine kürzere Lieferkette nicht belohnt werden, Umweltauflagen aber schon.

Schon damals zeigte sich AOK-Vorstandschef Johannes Bauernfeind enttäuscht von der Haltung der Hersteller: „Wir müssen konstatieren, dass es Teilen der pharmazeutischen Industrie durchaus lieber ist, einfach als günstigster Anbieter das Rennen zu machen, auch wenn Interessenverbände der Hersteller regelmäßig etwas anderes behaupten.“

EU muss handeln

Bauernfeind forderte politisches Handeln auf EU-Ebene in Form verbindlicher Umweltkriterien und einheitlicher Kontrollsysteme. „Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass auf der europäischen Ebene Umweltkriterien in die Arzneimittelproduktion, aber auch in die gesamte Versorgungskette von Arzneimitteln Eingang findet.“

Das Pilotprojekt soll nun mit 21 weiteren Produktionsstätten fortgesetzt werden, unter anderem in China. Bauernfeind hofft, dass es bei einigen Herstellern ein Umdenken herbeigeführt hat. Auf einer Pressekonferenz zum Thema in Berlin sagte er: „Ich glaube, dass dem ein oder anderen Produzenten nicht so richtig bewusst war, dass das Einleiten von Abwässern in die Umwelt dazu führt, dass er mittelfristig das Produkt nicht mehr verkaufen kann, weil es nicht mehr wirkt.“

Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/11/10/pilotprojekt-zeigt-viele-antibiotika-hersteller-befeuern-resistenzen
https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/06_2022.html
https://europa.eu/youreurope/business/selling-in-eu/public-contracts/public-tendering-rules/index_de.htm
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/09/14/aok-setzt-bei-antibiotika-auf-diversitaet
https://aok-bw-presse.de/ressorts/lesen/gerichtsentscheidung-zu-generika-ausschreibungen-aok-darf-robuste-lieferketten-nicht-als-ausschreib.html 

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