Das Wort ALS in bunten Holzbuchstaben© chrupka / iStock / Getty Images Plus
Bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) kommt es im Laufe der Erkrankung zu einem Muskelschwund und einer Funktionseinschränkung der Willkürmotorik.

Locked-in-Syndrom

KOMMUNIKATION OHNE EINEN EINZIGEN MUSKEL

Ein Hoffnungsschimmer für Betroffene mit fortschreitender amyotropher Lateralsklerose (ALS): Forscher*innen entwickelten kürzlich ein elektrodenbasiertes System, mit dessen Hilfe eine Kommunikation mit der Außenwelt wieder möglich wird.

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Neben einigen Organen benötigt der Mensch über 100 Muskeln zum Sprechen. Bereits einzelne Funktionsstörungen können die verbale Kommunikation erheblich einschränken. Eine extreme Situation stellt hierbei das Locked-in-Syndrom dar: völlige Bewegungsunfähigkeit bei gleichzeitig vollem Bewusstsein – kein Blinzeln, kein Zucken und keine Laute sind mehr möglich.

So ergeht es zahlreichen Patient*innen mit schnell fortschreitender ALS teilweise jahrelang. Der wohl populärste ALS-Patient – Stephen Hawking – konnte sich mit Hilfe einer Hirn-Computer-Schnittstelle (Brain Computer Interface, BCI) und minimaler Gesichtsmuskelbewegungen mitteilen. Mit Locked-in-Syndrom ist selbst das nicht mehr möglich – aber vielleicht bald.

Elektroden im Gehirn machen`s möglich

Ein Team um Ujwal Chaudhary von der ALS Voice gGmbH in Mössingen im Landkreis Tübingen hat ein neuartiges System entwickelt, das ohne die kleinste Muskelbewegung auskommt. Der Anlass: die engagierte Familie eines 37-jährigen ALS-Patienten. Nachdem der Patient mit 30 an einer rasch fortschreitenden Form der ALS erkrankte und demnach schnell bettlägerig und nicht mehr kommunikationsfähig war, wandte sich die Familie an Chadhary und sein Team mit der Bitte um Hilfe. 

Bisherige Hirn-Computer-Schnittstellen wurden mittels Elektroden auf der Kopfhaut genutzt, bei dem vollständig gelähmten Patienten kam dies allerdings nicht in Frage. Zu ungenau waren die Signale. Daher implantierte das Team die Elektroden direkt am motorischen Kortex. Sobald sich der Patient Bewegungen vorstellt, verändert sich dort die Hirnaktivität und kann abgeleitet werden. Diese bewusste Änderung der Hirnaktivität musste der Patient trainieren, wobei ihm ein akustisches Feedback-System half. Mittlerweile kann er mit Hilfe eines Computers auf Fragen mit „ja“ oder „nein“ antworten oder Wörter oder Sätze buchstabieren. Das dauert zwar eine Weile – für einen Buchstaben braucht der Patient etwa eine Minute – jedoch kann er nun wieder mit seiner Außenwelt „schreiben“. 
 

Verbesserte Patientenversorgung

Und das hat direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten. So kann er „mitteilen“, dass er ein befeuchtendes Augengel benötigt oder welche Musik er gerne hören möchte. Dazu kann er mit seiner Frau und seinem Sohn „sprechen“. Er macht auch Verbesserungsvorschläge für das System selbst. „Diese Studie hat auch gezeigt, dass das System unter Einbeziehung der Familie oder des Pflegepersonals im Prinzip auch zu Hause eingesetzt werden kann. Dies ist ein wichtiger Schritt für Menschen mit ALS, die außerhalb des Krankenhauses betreut werden“, sagt George Kouvas, ein Kollege vom Wyss Center in Genf. „Diese Technologie, die einem Patienten und seiner Familie in ihrer eigenen Umgebung zugutekommt, ist ein großartiges Beispiel dafür, wie technologische Fortschritte im BCI-Bereich umgesetzt werden können, um direkte Auswirkungen zu erzielen.“ Im nächsten Schritt möchte das Team die geschrieben Worte hörbar machen.

Quelle: www.wissenschaft.de
 

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