Junge besorgte Frau mit gefalteten Händen vor der Stirn. Von ihren Händen hängt eine OP-Maske herab.© Boris Jovanovic / iStock / Getty Images Plus
Die Corona-Pandemie schlägt uns weiterhin stärker auf die Psyche als die Kriege in der Ukraine und Gaza.

Krisenmanagement

CORONA WIRKT STÄRKER AUF PSYCHE ALS KRIEGE

Auch wenn Gaza und Ukraine die Nachrichten bestimmen: Laut einem Experten für psychische Gesundheit schlägt uns weiterhin die Pandemie am stärksten auf die Psyche.

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Corona, Ukraine, Gaza – in den 2020er-Jahren folgt bislang Krise auf Krise auf Krise. Aus Sicht eines Experten für psychische Gesundheit schlagen sich aber zumindest die kriegerischen Auseinandersetzung wohl nicht kollektiv auf die Psyche hierzulande nieder.

Vielmehr sind weiterhin die Folgen von Pandemie und Lockdowns spürbar: Der Bedarf an psychotherapeutischen Hilfen sei angestiegen, was aber in erster Linie auf die Coronamaßnahmen zurückzuführen sei.

Furchtbar, aber nachvollziehbar

„Der soziale Entzug hat besonders bei Kindern entsprechende Spuren hinterlassen", sagte Gerd Höhner, Psychologe, Psychotherapeut und Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Gaza-Krise und einem Anstieg der Nachfrage sei dagegen nicht bekannt – „würde ich auch bezweifeln“, sagte der Psychologe.

Im Gegensatz zu Corona seien Kriege in Gaza oder der Ukraine in gewisser Weise „nachvollziehbar“, erklärte Höhner. „Wir sehen Dinge, die zwar fürchterlich sind, die uns aber nicht fremd sind“, sagte er.

Bei Corona sei der „Feind“ den Menschen aber völlig fremd gewesen: „Er war uns nicht bekannt. Er war vor allen Dingen unsichtbar.“ Dazu komme ein weiterer Unterschied zwischen Pandemie und Kriegen: Corona sei überall gewesen, niemand habe sich distanzieren können.

Unangreifbarkeit des Feindes

Die Kriege seien dagegen zwar nicht weit weg, aber doch entfernt. Deshalb sei bei den Kriegen allgemein die psychische Belastung geringer – abgesehen von denjenigen Menschen, die in ihrem Umfeld direkt davon betroffen seien.

„Wir haben alle die Tendenz, die Probleme eher zu relativieren und in gewisser Weise uns auch selber ein Stück weit von den Dingen zu distanzieren“, sagte Höhner. Es erschrecke einen manchmal, dass man bei manchen Ereignissen kein richtiges Mitgefühl habe. „Aber das ist eine gesunde Reaktion. Man kann nicht auf alle Dinge, die schwierig sind, mit höchster Betroffenheit reagieren“, sagte er.

Was die Pandemie mit Kindern macht

Neben der „Unangreifbarkeit des Feindes“ habe bei der Corona-Pandemie vor allem Kinder der Entzug sozialer Interaktion belastet. „Der Mensch ist ein Wesen, das ohne soziale Interaktion nicht leben kann“, sagte Höhner. „Es gibt eine Menge Kinder, die einen Knacks davongetragen haben und dieser Knacks geht nicht einfach weg, bloß weil die jetzt wieder zum Kindergeburtstag können oder ins Kino.“

Es gebe bei Kindern nach wie vor eine erhöhte Rate von Angststörungen oder behandlungsbedürftigen depressiven Verstimmungen. Auch bei Erwachsenen sei die Rate der Menschen, die erschöpft, hilflos und traurig seien, gestiegen.

Das psychotherapeutische Behandlungsangebot hinke aber schon seit Einführung des Berufs des Psychotherapeuten Ende der 1990er-Jahre weit der Nachfrage hinterher. In NRW sei man „über den Daumen gepeilt“ mit einem Minus von 40 Prozent beim Angebot gestartet. Dieses Minus schleppe man seit mehr als 20 Jahren mit sich herum – „ und dann kam Corona drauf“, sagte Höhner.

Quelle: dpa

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