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Psychologie in der Apotheke

EMPATHIE

Die meisten Menschen können aus eigener Erfahrung im Umgang mit anderen bestätigen, dass es eine große Bandbreite in der Ausprägung des individuellen Einfühlungsvermögens gibt – von ausgesprochen sensibel bis gefühlskalt.

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Zu bemerken, ob jemand traurig, fröhlich, verärgert oder ängstlich ist, stellt eine wichtige Ressource dar. Um die Gefühle anderer Personen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, benötigt man ein gewisses Maß an Empathie. Empathische Individuen gelten als fair und hilfsbereit, denn wer mit anderen mitfühlen könne, sei bereit dazu, seinen Mitmenschen in der Not beizustehen.

Definition Als Empathie bezeichnet man eine auf andere Personen gerichtete emotionale Reaktion, die Mitgefühl, Mitleid, Besorgnis, Wärme oder Fürsorglichkeit beinhalten. Ein kognitiver Faktor, der das Auftreten von Empathie begünstigen kann, ist die Übernahme der Perspektive der Notleidenden, wodurch sich der potenzielle Helfer in die Lage der hilfebedürftigen Individuen versetzt. Zudem wird die Hilfe wahrscheinlicher, wenn eine Beziehung wie Freundschaft, Vertrautheit, Verwandtschaft oder wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen ihnen besteht. Die Fähigkeit, die Emotionen sei- ner Mitmenschen zu erkennen, bezeichnet man auch als kognitive Empathie, während sich die affektive Empathie durch entsprechende, angemessene Verhaltensweisen kennzeichnet. Um die empathischen Fähigkeiten eines Individuums zu ermitteln, hat sich ein Test etabliert, der den Empathie-Quotienten (EQ), welcher beide Aspekte der Empathie umfasst, misst.

Genetischer Einfluss Generell gelten Frauen als etwas empathischer als Männer, außerdem zeigen Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen eine geringere kognitive Empathie. Wissenschaftler der University of Cambridge, der Universität Paris Diderot und des Instituts Pasteur untersuchten im Rahmen einer genetischen Studie die Bedeutung des Erbguts für den EQ. Die Datenauswertungen deuteten darauf hin, dass etwa zehn Prozent der empathischen Fähigkeiten eines Individuums genetisch bedingt sind. Die Analyse bestätigte auch den Zusammenhang von geringem Einfühlungsvermögen und Autismus-Spektrum-​Störungen, der sich im Erbgut wiederspiegelt.

Ist Helfen egoistisch? Altruismus stellt eine Form des Hilfeverhaltens dar, deren primäres Ziel darin besteht, das Wohlergehen einer anderen Person zu verbessern oder zu schützen. Ein möglicher persönlicher Nutzen, der dabei für den Helfer entsteht (zum Beispiel soziale Anerkennung), ist nur ein Nebenergebnis des Verhaltens und nicht beabsichtigt. Man differenziert zwischen dem altruistisch motivierten und dem egoistisch motivierten Helfen: Zahlreiche sozialpsychologische Überlegungen gehen davon aus, dass Menschen anderen dann helfen, wenn der Nutzen des Hilfeverhaltens die wahrgenommenen Kosten übertrifft. In nahezu jeder Kultur existiert eine Norm, die das sogenannte Prinzip der Wechselseitigkeit beinhaltet. Dieses besagt, dass Menschen denen helfen und diejenigen schützen, die ihnen geholfen haben. Helfen ist somit eine Form des sozialen Austauschs, bei dem Individuen eigene Ressourcen investieren, um einen Gegenwert zu erhalten.

Ein weiterer eigennütziger Motivationsaspekt hängt mit den negativen Gefühlen zusammen, die Personen empfinden, wenn sie andere leiden sehen. Laut dem Negative-State-Relief-Modell aus der Sozialpsychologie möchten Menschen durch das Helfen die eigenen, unangenehmen Emotionen reduzieren. Wer sich beispielsweise bei dem Anblick eines Obdachlosen abwendet, kennt das Phänomen: Das moralisch fragwürdige Handeln geschieht, um das Mitfühlen nicht ertragen zu müssen. Helfen ist also in vielen Fällen egoistisch motiviert, allerdings gibt es auch Belege für altruistisch motivierte Formen. Nordamerikanische Wissenschaftler haben kürzlich herausgefunden, dass Menschen Empathie mit Fremden meiden, weil es ermüdend und kognitiv auslaugend sein kann. Dies bezieht sich nicht nur auf negative Gefühle, sondern genauso auf positive Emotionen. Die Forscher stellten außerdem in ihrer Studie fest, dass Empathie in der Regel ausbleibt, wenn sie keine Belohnung verspricht.

Die Bedeutung des Bindungshormons Das Hormon Oxytocin sowie die Empathie spielen eine wichtige Rolle, wenn es um Großzügigkeit gegenüber anderer Menschen geht – dies erklärten Wissenschaftler der Universität zu Lübeck und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie testeten die Großzügigkeit ihrer Probanden gegenüber mehr oder weniger nahe stehenden Personen (Partner, Elternteil, Kollegen, Freunde, Nachbarn oder Fremde). Vorab wurde die individuelle Empathiefähigkeit der Versuchsperson gemessen, außerdem erhielt die Hälfte der Probanden ein Placebo, während der anderen Hälfte Oxytocin verabreicht wurde. Menschen unter Oxytocin-Einfluss verhielten sich gegenüber sozial engeren Personen großzügiger als die Probanden der Placebogruppe. Oxytocin ist auch als Bindungshormon bekannt, stärkt soziale Beziehungen und macht Menschen empathisch. Darüber hinaus ist es beim Geburtsvorgang sowie beim Geschlechtsakt von Bedeutung.

Empathie ist erlernbar Narzissten beschäftigen sich nahezu nur mit sich selbst, interessieren sich kaum für andere und denken keineswegs darüber nach, was andere von ihnen halten. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis britischer Wissenschaftler um Erica Hepper von der Universität Surrey aus dem Jahr 2014, dass sogar Narzissten sich in andere Menschen hineinversetzen können, wenn man es ihnen nahelegt. Die niederländischen Neurowissenschaftler Christian Keysers und Valeria Gazzola zeigten, dass auch Psychopathen zu Empathie fähig sind. Ihre Hirnareale, in denen Mitgefühl entsteht, befinden sich nahezu im Ruhezustand, können jedoch durch Aufforderung („Versuchen Sie zu fühlen, wie es dem anderen geht.“) aktiviert werden.

Kritik am Mitgefühl Empathie wird nicht immer positiv bewertet: Der Psychologe Paul Bloom von der Yale University in New Haven (USA) ist beispielsweise der Meinung, dass das Mitgefühl blind dafür macht, wo Hilfsbereitschaft am meisten angemessen wäre. Einzelschicksale rufen meist ein hohes Maß an Empathie hervor, obwohl Phänomene wie etwa der Klimawandel mit deutlich höheren Kosten verbunden seien.

Theory of Mind Empathie ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit, die Perspektive anderer Personen einzunehmen. Das sogenannte Mentalisieren beschreibt die Fähigkeit, das Verhalten anderer Menschen in Bezug auf ihre Emotionen, Grundhaltungen und Absichten zu verstehen. Der gedankliche Perspektivwechsel lässt sich auch neurophysiologisch von der Empathie unterscheiden: Beim Empfinden von Empathie sind die Inselrinde sowie der vordere zinguläre Kortex aktiviert, während beim Mentalisieren der präfrontale Kortex beteiligt ist.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 106.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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