Ein kleines Mädchen sitzt am Tisch und hat einen Teller mit Gemüse vor sich. Das Mädchen hält sich die Augen zu.© gpointstudio/iStock/Getty Images Plus
Gerade bei Kindern zwischen 3 und 6 ist schwer zu unterscheiden, ob sie entwicklungsbedingt mäkelig sind oder eine Essstörung haben.

Essverhalten

ARFID – KEIN MÄKELN, SONDERN EINE ESSSTÖRUNG

Es gibt Dinge, die essen viele Menschen nicht gerne. Etwa Sardinen, Koriander oder rote Beete. Wer aber vieles ablehnt, was auf dem Teller landet, gilt schnell als mäkelig oder verwöhnt. Doch hinter vermeidenden Essstrategien kann auch die Krankheit ARFID stecken.

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Vermeidende, restriktive Essstörung oder kurz ARFID (Avoidant or Restrictive Food Intake Disorder) beschreibt ein spezielles Essverhalten, bei dem Betroffene bestimmte Lebensmittel oder Lebensmittelgruppen meiden. Grund hierfĂĽr sind keine Allergien, Unverträglichkeiten oder Probleme mit dem Körpergewicht oder dessen Wahrnehmung.

Vielmehr lehnen Menschen mit dieser Essstörung die Lebensmittel einfach ab, ekeln sich vor dem Geruch, der Konsistenz, dem Aussehen, beklagen einen schlechten Geschmack oder haben schlicht keinen Hunger oder Appetit.

In den USA ist die Essstörung ARFID bereits in den Diagnosekatalog ICD-11 aufgenommen worden, in der deutschen Version rechnet man mit einer entsprechenden Anpassung.

Wie sich Geschmäcker unterscheiden

Dabei hat jede*r seine eigenen Essvorlieben: Den einen kann man mit Rosenkohl jagen, eine andere fragt sich, wie man in so etwas Seifiges wie Koriander beißen kann. Geschmack ist individuell. Mittlerweise weiß man, dass verschiedenen Faktoren wie Veranlagung, Erziehung, das soziale Umfeld oder Emotionen („Zimt erinnert mich an meine Oma“) bei der Geschmacksbildung eine Rolle spielen.

Und dann gibt es noch die entwicklungsbedingte Mäkeligkeit im Alter von drei bis sechs Jahren, in denen Kinder plötzlich nur noch wenige Lebensmittel essen möchten. Wo ist nun die Abgrenzung zu einer Essstörung wie ARFID und welche Symptome zeigt ARFID?

Abgrenzung zu anderen Essstörungen

Wie stark die Essstörung ARFID und ihre Symptome ausgeprägt ist, variiert. Manche Betroffene essen nur einige Lebensmittel nicht, andere meiden ganze Lebensmittelgruppen wie beispielsweise Fleisch, essen aber vielfältig Obst und Gemüse. Bei manchen beinhaltet die Liste der sogenannten Safe Foods, also der Lebensmittel, die gegessen werden, kaum mehr als zehn (oder weniger) Dinge.

Bei diesen extremen ARFID-Symptomen kann es leicht zu einer qualitativen Mangelernährung, also Untergewicht, kommen. Außerdem zu einer quantitativen Mangelernährung, also einer unzureichenden Versorgung mit Nährstoffen.

Bei etwa zwei bis fünf Prozent aller „Rosinenpicker“ zwischen 14 und 17 Jahren liegt eine ARFID vor.

Auffällig ist jedoch, dass sich die ausgewählten „Safe Foods“ der Betroffenen häufig ĂĽberschneiden: kohlenhydratreiche oder geschmacklich neutrale Lebensmittel wie helle Brötchen, Toast, Nudeln, Pommes, Reis, Weizengebäck, SĂĽĂźigkeiten. Schnell werden Betroffene – vor allem Kinder und Jugendliche – daher als „picky“ oder absichtlich wählerisch abgetan.

Symptome einer ARFID

Dabei ist es nicht nur fĂĽr Eltern oder Familienmitglieder schwierig zu unterscheiden, ob eine Essstörung wie ARFID vorliegt oder eine vorĂĽbergehende Mäkel-Phase. Auch fĂĽr (Kinder-) Ă„rzt*innen oder Therapeut*innen ist es mit den variierenden ARFID-Symptomen herausfordernd, eine Diagnose zu stellen.

Die Symptome einer ARFID variieren ebenso, häufig zeigt sich das Vermeidungsverhalten so:

  • Angst davor, bestimmte Nahrungsmittel zu essen
  • EkelgefĂĽhl beim Riechen oder BerĂĽhren der Lebensmittel
  • Unkontrollierbarer WĂĽrg- oder Brechreiz, teilweise bereits beim Geruch
  • Erbrechen nach dem Schlucken
  • Trockenes WĂĽrgen nach dem Schlucken
  • GefĂĽhl, sich sehr ĂĽberwinden zu mĂĽssen, ein unbekanntes Nahrungsmittel zu probieren

ARFID: Mögliche Ursachen

Bislang existieren nur Theorien darüber, warum die Essstörung ARFID auftritt. Auch inwieweit genetische und biologische Faktoren eine Rolle spielen. Einige hiervon sind:

  • Trauma in der Kindheit: Jeden Morgen schleimiger Haferbrei, an einem StĂĽck trockenem Brot verschluckt oder der Zwang, aufessen zu mĂĽssen: All dies kann zu Trauma fĂĽhren, das eine Essstörung begĂĽnstigt.
  • Echte Phobie: Konkrete Ă„ngste entstehen plötzlich ohne erkennbaren Zusammenhang und können sich in Angst oder Ekel vor Essen äuĂźern.
  • Falscher Ekel: Das Ekel-GefĂĽhl ist ĂĽberlebenswichtig – so verzehren wir nichts Giftiges. Bei manchen Menschen kann das Ekel-GefĂĽhl jedoch entgleisen und sich auf eigentlich harmlose Lebensmittel ausweiten.
  • ARFID durch Medikamente oder Krankheit: Bestimmte Medikamente oder Krankheitsbilder (z. B. Schlaganfall, Long-COVID, aber auch hormonelle Störungen) können den Geschmackssinn derart beeinflussen, dass eine Essstörung wie ARFID auftreten kann.

Laut einer aktuellen Studie aus Leipzig berichten auch Menschen mit Adipositas von Symptomen der Krankheit ARFID.

Therapieansätze

In der Regel beginnen Betroffene eine kognitive Verhaltenstherapie. Da nur wenige Psychotherapeut*innen ĂĽber die Essstörung ARFID ausreichend informiert sind, es derzeit in Deutschland keine abrechenfähige Diagnose gibt und etablierte Verfahren fehlen, variiert der Inhalt der Therapie.

Therapeut*innen können versuchen, die Symptome einer ARFID analog einer Phobie oder Angststörung zu therapieren (und auch so mit der GKV abrechnen). Eltern betroffener Kinder berichten auch über gute Erfolge durch Ergotherapie oder Logotherapie. Ein britischer, auf ARFID spezialisierter Arzt schwört auf Verhaltenstherapie plus Hypnose.

Eine Ernährungsberatung ist in jedem Fall hilfreich. Zum einen herrscht meistens schon ein ĂĽbles Klima am Essenstisch und das Thema ist emotional aufgeladen – hier unterstĂĽtzt bei einer Essstörung der Blick von auĂźen. Zum anderen liefert die Expert*innenmeinung konkrete Tipps, um langsam den Ekel vor Lebensmitteln abzubauen.

Was auf keinen Fall bei ARFID hilft, ist Druck auszuüben, betroffene Kinder hungern zu lassen und mangelndes Verständnis sowie übergriffige Kommentare („Jetzt stell dich nicht so an“, „Das schmeckt sooo lecker, probier doch wenigstens mal, sonst kannst du ja gar nicht wissen, ob du es magst“).

Essstörung ARFID und die Psyche
Die Datenlage ist dĂĽnn; die Ursachen, warum ARFID auftritt, noch nicht geklärt. Doch scheinen Betroffene auffällig sensibel auf Geruch oder Geschmack, also sensorische Reize, zu reagieren; sind häufig ängstlich oder gewissenhaft. Menschen mit psychischen Erkrankungen wie einer Depression oder neuropsychologischen Krankheiten wie ADHS oder Menschen im Autismus-Spektrum berichten von Symptomen einer ARFID. 

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