Ein bereits abgegessener Apfel steht vor dem Spiegel. Das Spiegelbild zeigt einen vollen, runden Apfel.© xyom / iStock / Getty Images
Bei einer Essstörung ist meist auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers gestört.

Essstörungen

ANOREXIE, BULIMIE, BINGE EATING – EIN ÜBERBLICK

Auf sein Gewicht zu achten, darauf was man isst und wie viel man isst, das ist völlig in Ordnung und dient der Gesundheit. Wenn sich aber alles ums Essen oder ums Nichtessen dreht, ist das pathologisch. Kennen Sie die verschiedenen Essstörungen?

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Ein schlechtes Gewissen nach dem Essen, unkontrollierte Essattacken, absichtliches Erbrechen nach den Mahlzeiten, Speisen verweigern, Angst vor einer Gewichtszunahme, permanente Sorgen um das Körpergewicht sowie um die Nahrungsaufnahme? Dies können Hinweise auf eine Essstörung sein. Vertrauen Kundinnen oder Kunden Ihnen diese Gedanken im Beratungsgespräch an, sollte Sie sie dazu ermutigen, sich an einen Arzt oder Psychologen zu wenden.

In diesem Artikel schauen wir uns an, wer typischerweise von einer Essstörung betroffen ist, was die Ursachen sein können, welche verschiedenen Arten von Essstörungen es gibt und wie man sie therapiert.

Von der Diät in die Essstörung

Frauen sind fünfmal häufiger von Essstörungen betroffen als Männer, wie eine Studie der Universität Leipzig zeigen konnte. Personen mit Essstörungen führen zu viel oder zu wenig Kalorien zu sich und denken ständig über ihre Nahrungsaufnahme sowie über ihr Körpergewicht nach.

Die Erkrankung entwickelt sich oft durch den gesellschaftlichen Druck, der durch bestimmte Schönheitsideale entsteht. Darüber hinaus vermitteln Social-Media-Plattformen teilweise ein unrealistisches Körperideal (auch mit Hilfe von Filtern).

In vielen Fällen folgt die Essstörung auf eine Diät, der Übergang ist schleichend und wird daher oft erst sehr spät erkannt. Es gibt verschiedene Essstörungen, die bekanntesten sind

  • die Magersucht (Anorexia nervosa),
  • die Bulimie (Bulimia nervosa) sowie
  • Binge-Eating-Attacken (unkontrollierte Essanfälle).

Das Essverhalten sowie das Körpergewicht der betroffenen Personen weichen dabei von der Norm ab.

Anorexie

Magersucht-Betroffene hungern permanent aus Angst vor dem Dicksein. Insbesondere hochkalorische Lebensmittel wie Kuchen, Eis oder Süßigkeiten sind für sie tabu.

Optisch fallen Betroffene durch ihr ausgeprägtes Untergewicht auf, zudem weisen sie durch die Unterernährung und den dadurch bedingten Vitaminmangel oft eine blasse Haut und brüchige Nägel auf und sind sehr kälteempfindlich. Bei Frauen kann die Menstruation ausbleiben.

Bei Personen mit Anorexia nervosa ist das Körpergewicht meist um mindestens 15 Prozent vermindert und auch ihr Body-Mass-Index nimmt oft bedenkliche Werte von unter 17,5 an. Sie fürchten sich geradezu davor, an Körpergewicht zuzunehmen und verhindern dies, indem sie Nahrung verweigern.

Betroffene empfinden sich selbst, trotz ihres Untergewichts, als zu dick, und sind nicht mehr in der Lage, ihre äußere Erscheinung realistisch einzuschätzen. Nach dem Essen plagt sie ein schlechtes Gewissen, was dazu führen kann, dass sie

  • im Anschluss erbrechen (siehe unten: Bulimie),
  • Appetitzügler, Diuretika und/oder Abführmittel missbrauchen

oder die aufgenommenen Kalorien durch Sport wieder loswerden möchten.

Wie kommt es zur Magersucht?

Häufig entwickelt sich die Magersucht bereits im Teenageralter und ist unter anderem auf das kulturbedingte Ideal für weibliche Schlankheit zurückzuführen. Die Anorexia nervosa stellt für Jugendliche eine sehr gefährliche psychosomatische Erkrankung dar, denn sie nimmt auch langfristig Einfluss auf die Psyche sowie auf den Körper.

Oft sind Mädchen betroffen, die früh in die Pubertät kommen, mit ihrem Aussehen unglücklich sind und zudem in einem Umfeld aufwachsen, das großen Wert auf Schlankheit legt. Werden Betroffene auf die Essstörung angesprochen, leugnen sie die Problematik meist, was eine schlechte Voraussetzung für eine mögliche Therapie ist.

Magersucht entsteht oft in der Jugend und ist unter anderem auf das kulturbedingte Ideal weiblicher Schlankheit zurückzuführen.

Im schlimmsten Fall können sich Magersüchtige zu Tode hungern. Bei einer lebensbedrohlichen Unterernährung ist die Einweisung in ein Krankenhaus unumgänglich. Dort erhalten Betroffene eine parenterale Ernährung oder bekommen hochkalorische Nahrung über eine Magensonde zugeführt.

Aufgrund der vielfältigen Symptomatik ist zur Behandlung der Anorexia nervosa ein multimodales Behandlungskonzept erforderlich, bestehend aus einer Psychotherapie, einer Ernährungstherapie sowie unter Umständen einer unterstützenden medikamentösen Therapie. Auch eine zusätzliche Familientherapie hat sich als erfolgreich bewährt. Betroffene lernen im Rahmen der Therapie auch, dass ihre Rückfallgefahr ein Leben lang bestehen bleibt.

Ess-Brech-Sucht

Auch bei der Bulimie (Bulimia nervosa) dreht sich alles nur ums Essen und um die Kalorienaufnahme. Betroffene leiden ebenfalls unter der Angst, dick zu werden. Sie verzichten jedoch nicht aufs Essen, sondern nehmen oft innerhalb kurzer Zeit große Nahrungsmengen zu sich, die sie jedoch im Anschluss absichtlich wieder erbrechen.

Betroffene greifen nach den Essattacken auch hier zu anderen gegensteuernden Maßnahmen, etwa Medikamenten wie Abführmittel oder Diuretika, übertriebenen Sporteinheiten oder anschließenden Hungerperioden.

Bulimie-Patienten versuchen zunächst alles, um ihre Essstörung zu verbergen. Sie sind im Gegensatz zu Betroffenen mit Anorexie zwar sehr schlank, aber oft nicht untergewichtig. Stattdessen fallen sie durch schlechte Zähne auf, die durch das ständige Erbrechen entstehen. Denn bei einer Ess-Brech-Sucht entstehen durch den Kontakt mit der Magensäure mitunter Zahnfleischentzündungen oder Zahnwurzel-Abszesse.

Nach den Essanfällen haben Patienten oft Schuldgefühle, sind niedergeschlagen und wünschen sich sogar Hilfe, in diesen Fällen besteht eine gute Voraussetzung für eine Therapie. Obwohl es sich bei der Bulimie um eine chronische Erkrankung handelt, endet diese in der Regel nicht tödlich.

Die Abgrenzung der Bulimie zur Magersucht und der verschiedenen Essstörungen untereinander generell kann manchmal schwierig sein. Denn sie weisen fließende Übergänge auf.

Auch die Ess-Brech-Sucht beginnt oft im späten Jugend- und jungen Erwachsenenalter und betrifft überwiegend Frauen. Die Behandlung setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, dazu gehören die Psychotherapie, die Teilnahme an Selbsthilfegruppen sowie eine Ernährungsberatung. Auch eine Medikation ist möglich, beispielsweise mit Anxiolytika, Appetitzüglern und Antidepressiva.

Was ist Binge Eating?

Typisch für Binge-Eating-Attacken ist, dass Betroffene die Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme verlieren und während des Anfalls nicht mehr aufhören können zu essen, und zwar unabhängig davon, ob ein Hungergefühl vorliegt oder nicht.

Bei dem Krankheitsbild handelt es sich um regelmäßig auftretende Essanfälle. Anschließendes Erbrechen, exzessive Sporteinheiten oder der Einsatz von Medikamenten bleiben bei dieser Störung aus.

Im Rahmen einer Binge-Eating-Attacke verzehren Patienten große Nahrungsmengen, dabei ist ihnen bewusst, dass ihnen das übertriebene Essen nicht guttut. Die Betroffenen erleben während einer solchen Attacke ein Gefühl des Kontrollverlusts. Im Anschluss an die Attacke sind sie häufig von Schuldgefühlen geplagt, zusätzlich können eine innere Leere sowie Selbstekel auftreten.

Oft werden die unkontrollierten Essattacken im Zusammenhang mit emotionalen Ereignissen wie Wut, Trauer oder Angst, hervorgerufen. Das Essen soll dabei helfen, unangenehme Empfindungen zu unterdrücken und so die Emotionen zu regulieren.

Essstörungen behandeln

Es ist schwer, Kunden mit Essstörungen zu unterstützen, da sie sich ihre Erkrankung oft selbst nicht eingestehen. Während Magersüchtige noch schlanker werden möchten, behaupten Bulimiker nicht selten, sich unter Kontrolle zu haben. Grundsätzlich gilt jedoch: Je eher die Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose auf eine vollständige Heilung.

Gelegentlich bitten verzweifelte Angehörige in der Apotheke um Rat, denn sie stoßen bei den Betroffenen selbst auf taube Ohren und wissen sich nicht weiter zu helfen. Sie können Betroffene oder deren Angehörige in erster Linie über die unterschiedlichen Therapieangebote informieren.

Therapiemöglichkeiten

Bei jeder Form der Essstörung reichen die Therapiemöglichkeiten von ambulanten Psychotherapien über (Tages-)Kliniken und Selbsthilfegruppen bis hin zu therapeutischen Wohngruppen. Das Ernährungsverhalten wird im Rahmen der Behandlung neu erlernt, sodass sich Betroffene an feste Esszeiten gewöhnen. Nach einem Klinikaufenthalt sollten die Patienten über einen gewissen Zeitraum weiterhin therapeutisch begleitet werden.

Es ist wichtig, im Gespräch mit essgestörten Personen Begriffe wie „Klinik“ oder „Psychiatrie“ zu vermeiden, da dies die Menschen abschreckt und sie sich möglicherweise weiter zurückziehen würden. Stattdessen sollten Sie verdeutlichen, dass vielen mit einer ambulanten Verhaltenstherapie bereits geholfen werden kann.

Das Apothekenpersonal hat auch die Verantwortung, auf einen Verdacht des Laxanzien-Missbrauchs angemessen zu reagieren. Wünschen Kunden mit Essstörungen eine größere Menge an Abführmitteln, sollten Sie die Abgabe verweigern. Dabei ist es bedeutsam, die Beratung mit Feingefühl durchzuführen und dem Kunden möglichst die Eigenverantwortung an seiner Gesundheit aufzuzeigen.

Unbekanntere Essstörungen

Es gibt weitere Essstörungen, die weniger bekannt sind als die drei bereits beschriebenen.

Krankhafte Gesundesser: Orthorexie

Im Jahr 1997 führte der US-amerikanische Arzt Steven Bratman die Bezeichnung Orthorexia nervosa ein. Darunter versteht man eine extreme Form des gesundheitsbewussten Essverhaltens. Betroffene versuchen ihre Nahrungsaufnahme immer weiter zu optimieren, bis sie beispielsweise nur noch Gemüse aus eigenem Anbau verzehren oder ausschließlich Speisen zu sich nehmen, die frei von chemischen Zusatzstoffen sind.

Sie haben Angst, durch ungesunde Nahrungsmittel krank zu werden. Weitere Motive sind der Wunsch, nachhaltig zu leben, oder vorausgegangene Lebensmittelskandale, die Betroffene geprägt haben.

Im Gegensatz zu speziellen Ernährungsformen, wie dem Clean Eating, dem Low-Carb-Prinzip oder der veganen Ernährung, besitzt die Orthorexie einen zwanghaften Charakter, während Anhänger der anderen Ernährungsformen auch mit Genuss essen können.

Betroffene verbringen sehr viel Zeit damit, geeignete Lebensmittel auszuwählen, die nach ihren selbst aufgestellten Regeln in ihren strengen Speiseplan passen. Sie haben eine eigene Vorstellung davon entwickelt, was als gesund oder ungesund gilt; allgemeine Empfehlungen sind für sie uninteressant. Nicht nur das Planen der Mahlzeiten beansprucht bei Personen mit Orthorexie viel Zeit, sie halten sich auch ungewöhnlich lange in der Küche auf, um das Essen zuzubereiten. In extremen Fällen kommt es nach dem Kochen sogar dazu, dass sie die Speisen nicht essen, da sie befürchten, beim Kochen Fehler gemacht zu haben.

Die Essstörung führt oft zu einem unerwünschten Gewichtsverlust und zu Mangelzuständen, wenn Betroffene häufig das Essen vermeiden. Stark Betroffene kritisieren sogar andere für ihr Essverhalten, sodass es zu Konflikten kommen kann.

Häufig steht die Orthorexie mit Essstörungen wie Bulimie oder Anorexia nervosa im Zusammenhang oder stellt einen Risikofaktor dafür dar. Das auffällige Essverhalten ist allerdings nicht als eigenes Krankheitsbild anerkannt und taucht somit weder im ICD noch im DSM-V, den Klassifikationssystemen für psychische Störungen, auf.

Krankhafte Gelüste: Pica-Syndrom

Eine weitere, seltene Essstörung ist das Pica-Syndrom (lat.: Elster). Hier spielt nicht die Menge der aufgenommenen Nahrung eine Rolle, sondern die Art der verspeisten Substanzen. Betroffene essen Dinge, die keine Lebensmittel sind, wie etwa ungenießbare Gegenstände. Dazu zählen beispielsweise Steine, Sand, Lehm, Haare, Seife, Steine, Papier, Tapete, Erde, Asche, Staub, Abfall oder auch Exkremente.

Im DSM-V wird das Pica-Syndrom den Essstörungen zugeordnet. Danach kann es diagnostiziert werden, wenn

  • Substanzen ohne Nährwert über mindestens einen Monat konsumiert werden,
  • das Essverhalten nicht dem geistigen Entwicklungsstand und keiner kulturellen Norm entspricht und
  • die Störung so schwerwiegend ist, dass sie eine besondere Beachtung erfordert, zum Beispiel weil es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Vergiftungen oder Schädigungen des Verdauungstraktes) kommt.

Das Pica-Syndrom sollte möglichst rasch behandelt werden, denn je eher es erkannt wird, umso besser helfen psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen. Basiert die Störung auf einer Zwangserkrankung, Psychose oder Depression, verordnet der Arzt Neuroleptika oder Antidepressiva, die zusätzlich zur Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen können. Eine frühzeitige Therapie ist auch erforderlich, damit keine gesundheitlichen Schäden durch den Konsum der ungenießbaren Gegenstände entstehen.

Adipositas

Übergewicht ist zwar keine Essstörung, kann aber mit einer Essstörung einhergehen. Das erhöhte Körpergewicht ist allerdings auch noch auf andere Ursachen zurückzuführen. Das Fettgewebe im Körper einer übergewichtigen Person ist stark vermehrt, anhand des Body-Mass-Index lässt sich das Ausmaß abschätzen. Handelt es sich um ein sehr starkes Übergewicht, spricht man von einer Adipositas.

Die Erkrankung wird durch ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Energieverbrauch und Energiezufuhr (über die Nahrung) hervorgerufen. Hier gilt vor allem die Binge-Eating-Störung als Auslöser, da sie durch eine unkontrollierte Kalorienaufnahme im Rahmen der Essattacken charakterisiert ist. Betroffene mit dieser Essstörung nehmen unter Umständen innerhalb kürzester Zeit an Körpergewicht stark zu. Ursachen sind, wie bereits beschrieben, negative Emotionen wie Einsamkeit, Langeweile, Angst, Trauer oder Überforderung, die zu den Attacken führen. Adipositas und Essstörungen können somit in einem engen Zusammenhang stehen.

Problemphase Pubertät

Besonders Jugendliche sind gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln. Denn sie befinden sich in einer Umbruchphase, die ohnehin von Unsicherheiten und einem schwankenden Selbstwertgefühl geprägt sein kann. Gerade Mädchen sind in der Pubertät häufig unzufrieden mit ihrem Aussehen und möchten sich selbst optimieren. Manchmal reicht bereits eine unüberlegte Äußerung, wie etwa „Du solltest mal weniger essen und abnehmen.“, aus, um den Anstoß für eine Essstörung zu liefern.

Besonders Jugendliche sind gefährdet, da sie sich in einer Phase des schwankenden Selbstwertgefühls befinden.

Essstörungen vorbeugen

Eltern können einige Dinge tun, um Essstörungen bei ihren Kindern vorzubeugen.

  • Zum einen ist es wichtig, Übergewicht durch eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu vermeiden.
  • Zum anderen sollte von Diäten bei Jugendlichen abgesehen werden. Besser ist es, die Ernährung langfristig umzustellen, sodass Betroffene langsam und stetig Gewicht abbauen.
  • Junge Menschen sollten außerdem erlernen, kritisch mit den Medien umzugehen und vermeintlich makellose Schönheitsideale richtig einzuordnen. Auch hierbei können Eltern ihre Kinder durch Gespräche unterstützen.
  • Eltern sollten selbst eine gesunde Ernährung sowie ein gesundes Körpergefühl vorleben, beispielsweise durch körperliche Aktivität, indem sie selbst keine Diäten halten und indem sie nicht abfällig über mehrgewichtige Menschen sprechen.
  • Smalltalk über die Figur oder gar Kritik am Körpergewicht sollten Jugendlichen und Kindern gegenüber ausbleiben.
  • Als sinnvoll gilt auch, das Selbstbewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu stärken und ihnen zu vermitteln, dass Fehler zum Leben dazu gehören und niemand perfekt ist oder perfekt aussieht.

Besteht der Verdacht einer Essstörung, müssen Eltern mit viel Feingefühl vorgehen, das Gespräch mit ihrem Kind suchen und einen Kinderarzt konsultieren.

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