Verschiedene Medikamente und Euro-Banknoten auf einem Tisch.© alfexe / iStock / Getty Images Plus
Während des ersten Lockdowns wurden einige Medikamente verstärkt gekauft.

Arzneimittel-Hype

HAMSTERKÄUFE IN DER APOTHEKE WÄHREND DES LOCKDOWNS

Erinnern Sie sich noch, wie der Paracetamol-Verkauf im letzten Jahr durch die Decke ging? Die Wissenschaftler des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) wollten nun genau wissen, welche Auswirkungen die erste Welle der Pandemie auf bestimmte Arzneimittel hatte, deren Verbrauch einen Hype erfuhr.

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Gerüchte, unbewiesene Fakten, aber auch eine handfeste Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation: Betroffen waren das Malaria- und Rheumamitttel Hydroxychloroquin, die Schmerzmittel Ibuprofen und Paracetamol sowie ACE-Hemmer. Hier gab es jeweils ein großes Echo in den Medien, obwohl es sich nur um erste Hypothesen handelte, von denen viele – wir wissen es nun – sich nicht bewahrheiteten.

Das DAPI wertete nun handfeste Daten aus. Dazu teilten die Forscher das erste Halbjahr 2020 in drei Abschnitte ein und verglichen diese mit den entsprechenden Vorjahreszeiträumen. Der erste Abschnitt betraf den Januar bis zur Woche vom 16. bis 22. März, als es zum ersten Lockdown kam. Der zweite Abschnitt umfasste den Lockdown bis zur Woche vom 13. bis 19. April, wonach es zu schrittweisen Lockerungen kam. Der dritte Abschnitt reichte vom 20. April bis Ende Juni. Die Arzneimittel im Einzelnen:

Hydroxychloroquin

Die Zahl der abgegebenen Packungen stieg in der Woche vom 16. bis 22. März 2020 um 110 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dann ging sie bis Mitte April wieder leicht zurück. Nachdem der Ex-USA-Präsident Donald Trump das Präparat als „Game Changer“ bezeichnet hatte, schnellten dort die Absatzzahlen für alle Packungsgrößen um 214 Prozent in die Höhe, die kleineren Packungen sogar um satte 1977 Prozent. Eine halbe Million Packungen mehr als sonst gingen dort über den HV-Tisch. Es traten sogar weltweit Lieferengpässe auf, was problematisch für Patienten mit Autoimmunerkrankungen ist, die auf das Präparat angewiesen sind.

Zeitweise hatte sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sogar für Restriktionen bei der Abgabe ausgesprochen, obwohl Deutschland noch glimpflich davonkam: Hier bewegten sich die Anzahl der Packungen im vierstelligen Bereich, in den USA im sechsstelligen.

Azithromycin

Für das anfangs als nutzbringend vermutete Antibiotikum Azithromycin, besonders in Verbindung mit Hydroxychloroquin, konnte dieser Effekt zumindest in Deutschland nicht beobachtet werden. Insgesamt gingen die Antibiotika-Verordnungen sogar zurück, durch den Lockdown gab es insgesamt weniger Infektionen.

Pneumokokken-Impfstoffe

Durch die Impfempfehlung des Bundesgesundheitsministeriums für alle ab 60 Jahren gab es ein Abgabeplus von 373 Prozent. Dann gab es bekanntermaßen ein Auf und Ab der Lieferengpässe; insgesamt blieben die Zahlen gegenüber zum Vorjahr deutlich im Plus.

Paracetamol

Im März und April 2020, wir wissen es alle, gab es einen regelrechten Ansturm auf Paracetamol, kaum konnten die Regale so schnell wieder aufgefüllt werden wie Packungen verkauft wurden. Der Absatz stieg im März 2020 um 111 Prozent. Mehr als acht Millionen Packungen wanderten über den Tisch. Im April sanken die Zahlen dann wieder. Das deutet auf eine Bevorratung hin, ähnlich wie beim Klopapier.

Ibuprofen

Vor allem durch OTC-Verkäufe stieg hier der Absatz im März 2020 um 31 Prozent auf 4,66 Millionen Packungen. Im April sanken die Verkaufszahlen dann wieder um 36 Prozent. Hier seien wohl zwei Effekte zusammengekommen, vermuten die DAPI-Forscher. Zum einen hätten die Menschen ein Fieber- und Schmerzmittel einfach im Haus haben wollen, zum anderen sollte es bevorzugt Paracetamol sein, weil es anfangs Spekulationen zu negativen Effekten von Ibuprofen bei COVID-19 gab und zeitweise sogar die Weltgesundheitsorganisation stattdessen den Gebrauch von Paracetamol empfahl. Im Nachgang kam es monatelang zu Paracetamol-Lieferengpässen.

ACE-Hemmer und Sartane

Die Anwender ließen sich wohl nicht besonders beeindrucken von der Spekulation, dass ACE-Hemmer und Sartane das Risiko für eine COVID-19-Erkrankung erhöhen könnten, weil der ACE2-Rezeptor hochreguliert werden würde. Die Angst war ja dann auch unbegründet: Die dauerhafte Einnahme der Blutdrucksenker war nämlich eher nützlich als schädlich.

„Grundsätzlich“, so sagt Professor Dr. Martin Schulz vom DAPI, „belegen unsere Daten, was Apothekerinnen und Apotheker beobachten konnten: Die Öffentlichkeit war angesichts des drohenden Lockdowns besorgt und wollte sich bevorraten. Das ist bei sehr häufig verordneten Arzneistoffen wie Statinen und ACE-Hemmern, die in großen Mengen verfügbar sind, weniger dramatisch als bei speziellen wie Hydroxychloroquin.“ Doch auch bei einem Kassenschlager wie Paracetamol sehe man, dass der Markt eine doppelt so hohe Nachfrage wie gewöhnlich einfach nicht verkrafte.

Schulz‘ Fazit: Die Behörden müssten drohende Lieferengpässe früher erkennen und gegensteuern, durch Restriktionen und klare Hinweise auf eine indikationsgerechte Verordnung beispielsweise. Insbesondere sei eine Aufklärung der Gesundheitsberufe und der Bevölkerung vonnöten. Grundsätzlich, so forderte Schulz, müsse die Arzneimittelversorgung besser gegen Lieferengpässe gewappnet sein.

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

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