GLP-1-Rezeptoragonisten
DIABETESMEDIKAMENT VERÄNDERT KAUFVERHALTEN
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Amerikanische Diabetes-Patienten, die mit GLP-1-Agonisten behandelt werden, geben im Schnitt 51 Dollar weniger für Essen und Getränke aus. Und das pro Woche. Dass GLP-1-Agonisten den Appetit bremsen und dadurch die Kalorienzufuhr pro Tag senken können, ist bekannt. Das ist mit ein Grund, weshalb Inkretinmimetika immer häufiger auch in Deutschland verschrieben werden. Der Metformin-Goldstandard beginnt zu wackeln.
Forschende des Cornell SC Johnson College of Business gehen mit ihrer aktuellen Publikation noch einen Schritt weiter: Sie untersuchten das Konsumverhalten von Haushalten, in denen mindestens eine Person mit GLP-1-Agonisten behandelt werden. Sie konnten mit ihrer Umfrage nicht nur bestätigen, dass diese Haushalte insgesamt weniger Geld für Essen und Trinken ausgaben, sondern, dass sich sogar ihr Kaufverhalten änderte. Es landeten weniger ungesunde Lebensmittel wie Chips oder Süßigkeiten im Einkaufswagen.
Die Studie der Cornell SC Johnson College of Business im Überblick
Insgesamt beziehen sich die Ergebnisse auf Daten von 22 712 Studienteilnehmenden, die GLP-1-Agonisten einnahmen. Die Ergebnisse setzen sich zusammen aus einer vierteljährigen GLP-1-Umfrage, in der folgendes abgefragt wurde:
• Verwendeter Wirkstoff,
• Zeitpunkt der Einnahme,
• Gründe der Einnahme (Diabetesmanagement oder Gewichtsverlust).
Und den Daten eines Marktforschungsunternehmens, das Informationen zu Einkäufen (Datum, Uhrzeit, Händler, Kanal, Ausgaben, Menge) und demografische Informationen bereitstellte.
So beeinflussen Antidiabetika die Lebensmittelindustrie
Laut der Studie kauften die Personen, die GLP-1-Agonisten einnehmen oder mit einer solchen Person zusammenlebten weniger häufig hochkalorische, stark verarbeitete Lebensmittel wie Chips, aber auch süße Backwaren oder zuckerhaltige Getränke. Zwar griffen sie stattdessen nicht signifikant häufiger zu gesunden Vollkornprodukten, doch gaben sie moderat mehr Geld für frische Produkte und Joghurt aus. Insgesamt wurde das Kaufverhalten verändert und weniger ungesunde Lebensmittel eingekauft.
Wissens-Auffrischung zu GLP-1-Rezeptoragonisten
Glucagon-like peptide 1 (GLP-1-)Rezeptoragonisten verstärken die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1. Da es sich dabei um ein sogenanntes Inkretin handelt, nennt man die Wirkstoffklasse auch Inkretinmimetika. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetikes wird das Hormon, das die Insulinfreisetzung stimuliert, häufig vermindert ausgeschüttet. GLP-1-Agonisten verbessern die Insulinsensitivität, können so eine vorliegende Insulinresistenz verbessern und da sie glucoseabhängig wirken, treten bei einer Monotherapie keine Hypoglykämien auf. Zusätzlich verzögern sie die Magenentleerung, verhindern Heißhungerattacken und bremsen die Glucagonfreisetzung (Gegenspieler zu Insulin).
Kurzwirksame Wirkstoffe: Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid, Semaglutid
Langwirksame Wirkstoffe: Albiglutid, Dulaglutid, Exenatid, Semaglutid
GLP-1-Analoga mischen also nicht nur die Medizin- oder Pharmabranche, sondern auch andere Wirtschaftszweige auf. Wie reagiert nun die Lebensmittelindustrie darauf? Offenbar ist der Trend bei den Konzernen bereits angekommen. Wer sich mit einem Absatzverlust nicht arrangieren kann, muss etwas an seiner Strategie ändern. Das Unternehmen, das unter anderem Mars-Riegel herstellt, kaufte kürzlich einen Hersteller von Keto- und Paleo-Lebensmitteln auf, die zusätzlich damit werben, milch-, gluten- und sojafreie Produkte herzustellen. Und da so ein Marsriegel an der Kasse auf knapp 500 Kilokalorien kommt, geht der Trend wohl bald auch zu kleineren Einheiten solcher „On-The-Go“-Produkte.
Nestlé kaufte direkt eine ganze Produktlinie Tiefkühlkost, die speziell auf die Bedürfnisse und damit das Kaufverhalten von Menschen mit GLP-1-Agonisten Medikation zugeschnitten sein soll. Während andere Hersteller ihre Produkte zwar behalten, aber manche Aspekte künftig wohl in den Hintergrund stellen und andere, „positive“ Eigenschaften betonen möchten. Conagra Brands (Produzent u.a. von Fertiggerichten, Gewürzen, Saucen und Snacks) möchte den Proteingehalt seiner Speisen hervorheben, da der Proteinbedarf bei GLP-1-Einnahme erhöht sein kann. Auch Campbell Soup und Danone möchten ihre Lebensmittel mit „leicht verdaulich“ oder „hoher Proteingehalt“ bewerben.
Zittern die Lebensmittelriesen zurecht? Können GLP-1-Agonisten die Gesundheit der Bevölkerung verbessern oder finden die Konzerne einfach neue kluge Marketingstrategien, um uns auch künftig kleine Kalorienbomben als nahrhaft und vitaminreich zu verkaufen? Das wird die Zukunft zeigen, doch dass ein Diabetespräparat derartige Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zeigen kann, ist ein interessanter Aspekt, den weitere Studien hoffentlich im Auge behalten.
Quellen:
https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/glp-1-rezeptoragonisten-inkretinmimetika
Wie Inkretinmimetika die Lebensmittelbranche verändern The No-Hunger Games: How GLP-1 Medication Adoption is Changing Consumer Food Purchases by Sylvia Hristakeva, Jura Liaukonyte, Leo Feler :: SSRN
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