Frau steht in einem Raum, vor ihr ein großer, grüner Blumenstock. Sie macht Atemübungen.© Drazen Zigic / iStock / Getty Images Plus
Unser Atemrhythmus kann unser Gehirn beeinflussen. Wenn wir beispielsweise bewusst langsam und tief einatmen, können wir unser vegetatives Nervensystem zur Ruhe bringen und das Stresslevel senken.

Identität

WAS UNS DER ATEMRHYTHMUS ALLES VERRÄT

Unsere Atmung ist so einzigartig wie unser Fingerabdruck. In aktuellen Untersuchungen konnten Wissenschaftler Menschen nicht nur anhand ihres Atemrhythmus voneinander unterscheiden, sondern auch Aussagen zu ihrer körperlichen und geistigen Verfassung treffen.

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Der Atmungsvorgang ist komplex, lebensnotwendig und verläuft glücklicherweise unbewusst. Unser Gehirn koordiniert ohne willentliches Zutun jedes Ein- und Ausatmen. Gleichzeitig kann unser Atemrhythmus aber auch unser Gehirn beeinflussen. Wenn wir beispielsweise bewusst langsam und tief einatmen, können wir unser vegetatives Nervensystem zur Ruhe bringen und das Stresslevel senken.

Bei so einer wechselseitigen Einflussnahme stellten sich Timna Soroka vom Weizmann Institute of Science in Israel und ihr Team die Frage, ob der Atemrhythmus ebenso individuell wie unser Gehirn ist und entwickelten einen Apparat, der den Nasenluftstrom von knapp 100 Testpersonen einen Tag lang kontinuierlich verfolgte und zwar nach Nasenloch getrennt. Optisch erinnert das Gerät an eine Sauerstoffbrille. Unter Einsatz künstlicher Intelligenz analysierte die Gruppe verschiedene Atemrhythmus Muster und gelangte zu einem überraschenden Ergebnis.

So zeigt der Atemrhythmus Gesundheitszustand an

„Ich dachte, es wäre wirklich schwierig, jemanden zu identifizieren, weil jeder andere Dinge tut, wie Laufen, Lernen oder Ausruhen“, sagt Soroka. „Aber es stellte sich heraus, dass die Atemmuster bemerkenswert unterschiedlich waren.“ Die Forschenden entdeckten nicht nur Parallelen im Atemrhythmus der Testpersonen, sondern konnten die aufgezeichneten Nasen-Luftströme ähnlich eines Fingerabdrucks verwenden. So gelang ihnen eine Identifizierung der Proband*innen anhand ihres Atemrhythmus mit einer Genauigkeit von fast 97 Prozent. Das entspricht der biometrischen Personenerkennung via Spracherkennung – vielleicht entsperren Sie Ihr Handy also bald per Atmung?

Doch auch wenn das reine Zukunftsmusik ist, konnten die Forschenden schon heute eine weitere bemerkenswerte Entdeckung machen: Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen Atemrhythmus und Gesundheitszustand, genauer gesagt zwischen der individuellen Atmung und Merkmalen wie Body-Mass-Index, dem Schlaf-Wach-Zyklus oder auch der mentalen Verfassung. So zeigten beispielsweise Teilnehmende mit Ängsten einen bestimmten Atemrhythmus beim Einschlafen. Langzeitüberwachungen der nasalen Luftströme könnten demnach künftig Aufschluss über den geistigen wie körperlichen Zustand eines Menschen bringen. „Wir kommen zu dem Schluss, dass langfristige Muster des Nasenluftstroms die Treiber der Atmung im Gehirn widerspiegeln, da sie individuell einzigartig sind und erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit, Emotionen und Wahrnehmung haben“, so das Team.

Bald Atemübungen in der Psychotherapie?

„Wir gehen intuitiv davon aus, dass Depressionen oder Ängste die Art und Weise verändern, wie wir atmen“, sagt Seniorautor Noam Sobel vom Weizmann Institute of Science. „Aber es könnte auch umgekehrt sein. Vielleicht macht uns die Art und Weise, wie wir atmen, ängstlich oder depressiv.“ Sollten weitere Untersuchungen die Annahme untermauern, könnte die Analyse des Atemrhythmus nicht nur in der Diagnose, sondern auch in der Therapie unterstützen. Das Team sieht beispielsweise die Möglichkeit einer Atemtherapie bei Angststörungen.

Als nächstes wollen sie allerdings das Gerät optimieren, es alltagstauglicher gestalten und auch komfortabler, um den nächtlichen Atemrhythmus zu überwachen ohne die Mundatmung außer Acht zu lassen. Folgestudien sollen dann die weitere klinische Anwendbarkeit überprüfen.

Quellen:
Atemrhythmus verrät Identität und Gesundheitszustand - wissenschaft.de
Timna Soroka (Weizmann Institute of Science) et al.; Current Biology, doi:10.1016/j.cub.2025.05.008

 

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