Schlossmauer© jikgoe / iStock / Getty Images

Schmöker des Monats

DAS WINDSOR-KOMPLOTT

Ich muss zugeben, es versetzte mich in Erstaunen – die Queen ermittelt! Klammheimlich, am MI6 vorbei, löste sie den Mord an einem russischen Pianisten, der unglücklicherweise in Windsor Castle ums Leben kam.

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Wie das so ist mit all den lästigen Essenseinladungen am Abend, ständig ist was los in so einem Schloss und wenn man die Gastgeberin ist, muss man sich ja wohl auch blicken lassen. Wie gut, dass das Personal einem alles abnimmt, so braucht man sich nur an den gedeckten Tisch zu setzen und kann die Gäste in Ruhe betrachten.

Und sie tanzen einen Tango Dieser russische Star-Pianist, der hatte es der Queen damals angetan. Er war so jung und unbekümmert und hinterher erwies es sich, dass er auch verdammt gut tanzen konnte. Sogar mit ihr, der Queen. Tango! Natürlich nicht mehr so stürmisch, sie wurde ja in wenigen Wochen 90, aber der Sage nach verzauberte er noch einige andere Damen, nachdem die Königin schon im Bett war. Und irgendwann, zwischen Tango Argentino und einer stibitzten Flasche Champagner in den Gemächern der Damen unter der dritten Turmspitze von rechts, da war er dann gestorben, der Pianist. Er hing mit dem Hals am Griff einer Schranktür. Um den Hals war ein violetter Morgenmantel-Gürtel geschlungen, und er hatte sich wohl – hmmm, wie sagt man es einem gekrönten Haupt? – inmitten autoerotischer Spielchen aus Versehen erhängt. Inspektor Humpreys und auch der Kommunikationschef der Queen, Sir Simon, erröten bei Schilderung der Sachlage mehr als einmal.

Hart im Nehmen und blitzgescheit Tja, aber da täuschen sie sich in der Chefin (wie die Queen, außer von Prinz Philip, der damals noch am Leben war, genannt wird). Gibt nämlich nichts, was sie nicht schon erlebt beziehungsweise von dem sie nicht schon gehört hätte. Hart im Nehmen ist die alte Dame, sie tut immer nur so hoheitsvoll. In Wirklichkeit arbeitet hinter der vom Alter zerfurchten, ansonsten bemerkenswert glatten Stirn ein blitzgescheiter Verstand.

Die Queen weiß auch sofort, wen sie losschicken kann. Einmischen darf sie sich ja nicht, aber die Theorie des Inspektors, dass Präsident Putin und seine Schergen hinter dem Mord (denn es ist einer!) stecken, glaubt sie einfach nicht. Und so setzt sie Rozie in Marsch, die neue Stellvertreterin von Sir Simon. Rozie ist schwarz, jung, kommt aus kleinen Verhältnissen, liebt Pferde und ist im Nahkampf ausgebildet. Perfekt!

Nur Pferde machen sie glücklich Und so schlägt sich die beherzte Nigerianerin mit einem ergrauten Politik-Professor, zwielichtigen russischen Oligarchen und deren Ehefrauen, einer Star-Architektin und zahlreichen Vertretern der Wirtschafts-Diplomatie herum, derweil die Queen freundlich lächelnd die offiziellen Termine wahrnimmt, von denen ihr nur einer Spaß macht: die mehrtägige Horse Show, auf der es vor Pferden und sportlichen Veranstaltungen nur so wimmelt. In Strickjacke, mit Gummistiefeln, Tweedrock und Barbourjacke mischt sie sich unters Volk und ist so richtig glücklich. Man gönnt es ihr, denn immer katzbuckeln ja alle vor ihr, außer Prinz Philip, her husband, der sagt immer was er denkt, macht aber auch nur, was er will.

Bloß kein Getue Der neunzigste Geburtstag der Königin („sie hatte darum gebeten, so wenig Gewese wie nur möglich darum zu machen“) muss noch absolviert werden. Die Obamas kommen auch, und das freut die Queen, denn Michelle, die First Lady, ist ihr sehr sympathisch. Während die beiden Männer in Philips umgebauten Land Rover vorne fachsimpeln (der Prinz fährt selbst), unterhält man sich auf der Rückbank bestens: Es ist doch schön, denkt die Queen, dass auch mal eine andere Frau andauernd fotografiert wird.

Währenddessen laufen die Undercover-Ermittlungen natürlich weiter. Obama, der Pfiffikus, bekommt Wind davon. „Wie ich gehört habe, gab es ein kleines Problem mit einem jungen Russen?“ - „Der Sicherheitsdienst scheint alles unter Kontrolle zu haben. Sie glauben wohl, dass es der Butler war.“ – „Der war es am Ende immer…“ Als die Queen schließlich alle Informationen beisammen hat (es war natürlich NICHT Präsident Putin und auch nicht der Butler) spielt sie dem Inspektor ihr Wissen zu, der glaubt, alles ganz allein herausbekommen zu haben und ihr, stolz auf seinen eigenen Scharfsinn, die Ergebnisse präsentiert – derweil die Queen mit ihrer Rozie zufriedene Blicke tauscht.

Alles Lüge Schade, dass nichts von dem stimmt, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Die Queen ermittelt nämlich gar nicht. Das gibt sogar die Autorin zu, die ihr diesen Krimi auf den Leib geschrieben hat: Sie möchte doch betonen, dass dies ein Roman ist. S. J. Bennett hat bisher Jugendbücher geschrieben, einige davon sogar preisgekrönt, und da sie in London lebt, verfolgt sie das Leben und Treiben im britischen Königshaus sehr gespannt. Und so kam ihr der Plan in den Sinn, eine neue Krimireihe zu erfinden, mit der Königin als Protagonistin.

Der zweite, mit dem Titel „Die unhöfliche Tote“ kommt dieser Tage heraus. Auch hier wird wieder Rozie eine tragende Rolle spielen mitsamt der Corgis, die den Leuten immer wieder zwischen die Beine laufen und sie zum Fallen bringen und die so gern Tea Biscuits klauen. Alle werden die Queen (wieder einmal) für eine etwas beschränkte ältere Dame halten, was ja nur von Vorteil bei der Verbrechensaufklärung ist, wenn einen die Leute unterschätzen…

Bitte sofort anfangen zu schmökern „Während alle auf die Queen schauen, kann sie Dinge erkennen, die andere nicht sehen“, meint die Erfinderin dieses typisch englischen Cozy-Krimis, der sich so hervorragend zum Schmökern an kalten Novembernachmittagen eignet. „Trotzdem muss sie beim Ermitteln erfinderisch sein, denn sie darf sich niemals einmischen – ein Widerspruch zu all ihrem Reichtum und ihren Privilegien.“ Ach, es ist köstlich, wie Bennett die Geschichten und Anekdoten rund um das Königshaus in ihrem Roman verarbeitet.

Zum Beispiel, dass die Queen sich wünscht, dass Prinz Harry bald die richtige Frau findet. Wie sie dem kleinen George zum Geburtstag gratuliert. Und wie sie ihre Enkelin Louise bewundert ob ihres Pferde-Fachverstandes (im wirklichen Leben hat Prinz Philip ihr, der Tochter seines jüngsten Sohnes Edward, alle seine Kutschen vermacht). Da bleibt nur zu hoffen, dass im nächsten Krimi Philip noch lebt, Harry und Meghan noch keine Netflix-Serie gedreht haben und Prinz Andrew keine Post von der Staatsanwaltschaft erhielt. Ich bin so gespannt, ich kann es gar nicht abwarten…

Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 ab Seite 140.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

S.J. Bennett Das Windsor Komplott – Die Queen ermittelt
Gebundene Ausgabe Knaur Verlag, 320 Seiten, 18 Euro ISBN: 978-3-426-22740-4

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