Symbolbild Tabuthemen© wildpixel / iStock / Getty Images

Tabuthemen

WORÜBER KUNDEN UNGERN SPRECHEN

Ob Mundgeruch, Hämorrhoidalleiden, Verstopfung, Kopfschuppen, Fußpilz oder Schweißfüße. Eines haben diese Themen alle gemeinsam. Sie zählen immer noch zu den sogenannten Tabuthemen in unserer Gesellschaft.

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Ein „Tabu“ beschreibt ein Verhalten oder eine Handlung, die durch Sitte oder Gesetz verboten ist. Ist es also den Kunden verboten in der Apotheke über bestimmte Krankheiten oder Symptome zu berichten, diese zu benennen oder nach Behandlungsmöglichkeiten zu fragen? Nein, natürlich nicht! Aber viele Menschen können oder wollen über bestimmte Dinge nicht sprechen. Sie fürchten durch ihre Mitmenschen stigmatisiert oder gar ausgegrenzt zu werden. Wer spricht auch schon gerne über Erkrankungen, die einem Unbeteiligten suggerieren könnten, unhygienisch zu leben oder eine übertragbare Krankheit zu haben.

Offene Gesellschaft? Auch wenn wir dank Social Media bereits bestens über die intimsten Geheimnisse unserer Mitmenschen informiert zu sein scheinen, drucksen Kunden mit einem hochroten Gesicht in der Apotheke herum oder schauen sich verstohlen um, wenn es an das Beschreiben bestimmter Beschwerden geht. Sie winken das Apothekenpersonal zu sich heran, möchten mit Ihnen lieber im Beratungsraum sprechen oder senken die Stimme beim Vortragen bestimmter Symptome.

Um sich der unangenehmen Situation schnell zu entziehen, kommen viele Betroffene häufig direkt mit einem Wunsch nach einem bestimmten Arzneimittel in die Apotheke und hoffen somit den Beratungsfragen schnellstmöglich zu entkommen. Das ist nicht ungefährlich. Denn ist das gewünschte Arzneimittel überhaupt das Passende für die Situation des Betroffenen? Steht der Erkrankte überhaupt selbst in der Apotheke oder bringt der Kunde das Arzneimittel nur für jemand anderen mit? Ist die Grenze der Selbstmedikation bereits überschritten oder sollte sich die betroffene Person erst einmal ärztlich untersuchen lassen? Auf all diese Fragen brauchen Sie für Ihre Beratung eine Antwort.

Niedrige Anlaufschwelle Anders als beim Arzt muss man in der Apotheke keinen Termin vereinbaren und kann kurzentschlossen eintreten und sein Problem vorbringen. Deshalb sind Apotheken oft die ersten Anlaufstellen, wenn jemand schnelle Hilfe sucht. So kommt es im Beratungsalltag sehr häufig vor, dass wir genau die oben beschriebenen Situationen erleben. Dem Wunsch des Kunden, ein bestimmtes Präparat direkt erwerben zu wollen und ohne eine Beratung die Apotheke wieder zu verlassen, sollten Sie allerdings nicht nachgeben.

Es gilt hier, die Eigendiagnose des Kunden kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, ob die Grenze der Selbstmedikation hier noch nicht überschritten ist. Gerade wenn es einem Kunden nicht leicht fällt, seine Beschwerden zu schildern, sollten Sie ihm hier offen zur Seite stehen. Unterstützen Sie ihn mit leitliniengerechtem und evidenzbasiertem Wissen, ohne ihn bloßzustellen oder zu stigmatisieren. Eine fundierte und fachgerechte Beratung hilft vielen Betroffenen weiter, die richtigen Behandlungsmöglichkeiten zu wählen und die Beschwerden schnellstmöglich loszuwerden. Bereiten Sie sich auf Gespräche zu Tabuthemen vor.

Mit einem gut strukturierten Beratungsgespräch, das sich an der Leitlinie zur Information und Beratung in der Selbstmedikation orientiert, gehen Sie auf alle wichtigen Beratungsaspekte ein. Sie finden die Leitlinie auf der Homepage der ABDA. Beachten Sie im Gespräch, dass der Kunde aktiv in das Gespräch eingebunden wird, sodass Sie in der Beratung auf seine individuellen Bedürfnisse eingehen können. In den nächsten Heften finden Sie in der Rubrik „Tabuthemen“ Informationen zur Beratung bei Schweißfüßen und Fußpilz, Aphten und Mundgeruch, Hämorrhoidalleiden, Obstipation und Kopfschuppen.

Die drei Säulen der Beratung

(Auszug aus der ABDA-Leitlinie zur Beratung in der Selbstmedikation). Der Kunde betritt mit einer Eigendiagnose beziehungsweise dem Wunsch nach einem Fertigarzneimittel die Apotheke.

Fragen
+ Für wen ist das Arzneimittel?
+ Sollen Säuglinge/Kinder/Erwachsene das Arzneimittel einnehmen?
+ Liegen Begleitumstände wie eine Schwangerschaft oder eine Stillzeit vor? + Werden andere Arzneimittel eingenommen?
+ Welche Beschwerden liegen wie lange vor?
+ Wie häufig treten die Beschwerden auf?
+ Wann treten die Beschwerden auf?
+ Wurden die Beschwerden mit einem Arzt besprochen?
+ Liegen bereits Erfahrungen mit dem Arzneimittel vor?
+ Müssen andere Erkrankungen oder Arzneimittel in der zeitgleichen Anwendung berücksichtigt werden?

Entscheiden
+ Abgabe des Arzneimittels in angemessener Menge?
+ Grenze der Selbstmedikation überschritten?
+ Empfehlung des Arztbesuches?
+ Auswahl/Beurteilung der Eignung des Arzneistoffs und des Fertigarzneimittels

Informieren
+ Informationen über das Arzneimittel (wie zum Beispiel Einnahmehinweise, Dauer der Anwendung, Dosierung)
+ Unterstützende Maßnahmen empfehlen
+ Abgabe des Arzneimittels an den Kunden
+ Möglichkeit der Hinterlegung in der Kundenkartei, wenn der Kunde dieses wünscht

Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 70.

Daniel Finke, Apotheker

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