Arzneimittel in Schwangerschaft & Stillzeit
PTA-Fortbildung

Unbedenklich?

Die Antwort ist ein eindeutiges „JEIN“! Aussagen und Empfehlungen zu Arzneimitteln während Schwangerschaft und Stillzeit sind oftmals nicht eindeutig. Hier eine Momentaufnahme – Stand 2020.

19 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Juli 2020

Der Weg von einer befruchteten Eizelle zum gesunden Neugeborenen ist ein kleines Wunder. Diese Entwicklung soll möglichst ohne Störungen ablaufen. Welche Arzneistoffe, die Sie in der Selbstmedikation abgeben, sind zum heutigen Kenntnisstand während Schwangerschaft und Stillzeit erlaubt, welche kontraindiziert? Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, werden hier die verschiedenen Aufgaben der Plazenta (Mutterkuchen) in der Schwangerschaft beleuchtet und die einzelnen embryonalen beziehungsweise fetalen Entwicklungsstadien genauer angeschaut.

Im Fokus stehen einerseits Arzneistoffe mit teratogener, also fruchtschädigender und zu Missbildung am Ungeborenen führenden Wirkung. Andererseits werden solche Arzneistoffe betrachtet, die während der Stillperiode die Zusammensetzung der Muttermilch verändern, mit welchem Ausmaß diese in die Muttermilch übertreten sowie deren Auswirkungen auf das gestillte Kind. Eines vorweg: Es muss fast immer davon ausgegangen werden, dass Arzneistoffe, die von der Mutter eingenommen werden, auch auf den kindlichen Organismus übergehen.

Risikobeurteilung 1957 kam die Substanz Thalidomid (Contergan®) auf den Markt. Sie war rezeptfrei als Schlaf- und Beruhigungsmittel auch für den Einsatz bei Schwangeren zugelassen. Aufgrund der damals nicht bekannten teratogenen Wirkung kam es bei etwa 10 000 ungeborenen Kindern zu Gliedmaßenmissbildungen oder sogar zum Tod kurz nach der Geburt. Was man damals nicht wusste: Thalidomid blockiert ein Enzym, das im Entwicklungsstadium des Embryos für die Ausgestaltung der Extremitäten notwendig ist. 1961 wurde das Mittel vom Markt genommen. Nach dem Contergan®-​Skandal begann man mit systematischen reproduktionstoxikologischen Untersuchungen bei der Entwicklung neuer Arzneimittel.

Embryonaltoxikologische Forschungen sind aus ethischen Gründen auf Tierversuche beschränkt, sodass sich Empfehlungen für den Menschen auf eine oftmals sehr dürftige Datenlage stützen. Leichter ist es mit Aussagen zum Übertritt von Substanzen in die Muttermilch, da hier die Konzentrationsbestimmung von Substanzen unabhängig zum eigentlichen Stillen möglich ist. Zusammengetragen und ausgewertet befasst sich die Reproduktionstoxikologie mit Auswirkungen von potenziell schädigenden Faktoren auf die Fruchtbarkeit der Eltern sowie die Entwicklung des Kindes während Schwangerschaft und Stillzeit.

Das T-Rezept Auf dem T-Rezept werden ausschließlich die teratogenen Wirkstoffe Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid verordnet. Thalidomid ist heute selbstverständlich nicht mehr als Schlafmittel zugelassen, es hat sich jedoch, wie die beiden verwandten Substanzen, zur Behandlung von Lepra und dem multiplen Myelom, einer schweren Blutkrebsform, bewährt. Bei der Verordnung und Abgabe sind besondere Vorschriften zu beachten. So muss der Arzt beispielsweise auf dem Rezept bestätigen, dass alle Sicherheitsvorkehrungen bezüglich einer Schwangerschaftsverhütung eingehalten wurden. T-Rezepte sind zweiteilig, der Durchschlag muss ans BfArM geschickt werden. Das Rezept darf nur sechs Tage plus Ausstellungsdatum beliefert werden. Eine Comedikation ist nicht erlaubt.

Retinoide, wie Isotretinoin, Alitretinoin und Acitretin, die bei schwerer Akne verordnet werden, werden auf einem normalen rosa Rezept oder Privatrezept verschrieben, obwohl die Vitamin-A-Säure-Derivate ebenfalls stark teratogen wirken. Zu beachten ist trotzdem einiges: Während es für Männer keine Einschränkungen gibt, muss der Arzt bei Frauen im gebärfähigen Alter zunächst eine Schwangerschaft ausschließen und sichergehen, dass die Frau verhütet. Das Arzneimittel darf dann für einen maximalen Therapiebedarf von 30 Tagen verordnet werden. Gegebenenfalls müssen Sie vor der Abgabe nachfragen, wie viele Tabletten pro Tag eingenommen werden, um die Einnahmedauer zu berechnen. Das Rezept muss außerdem innerhalb von sieben Tagen beliefert werden.

Plazenta Die Plazenta als Verbindung zwischen mütterlichem und kindlichem Blutkreislauf entsteht durch Einwachsen von embryonalem Gewebe in die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium). Die Plazenta ist eine Membran, die viele Poren besitzt und somit sowohl für lipophile als auch für hydrophile Verbindungen verhältnismäßig gut durchlässig ist. Sie dient als Nähr-, Ausscheidungs- und Stoffwechselorgan des Ungeborenen. Die Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff sowie der Abtransport von Stoffwechselendprodukten und Kohlendioxid erfolgen über sie. Möglich wird das durch unterschiedliche Transportmechanismen wie Diffusion, erleichterte Diffusion, aktiver Transport und Pinocytose. Eine echte Plazenta- Schranke ist das nicht, sodass das Durchwandern der Plazenta für viele körpereigene Substanzen und auch für Arzneistoffe möglich ist.

Außerdem unterstützt die Plazenta den mütterlichen Organismus bei der Biosynthese der wichtigsten Hormone. Als endokrine Drüse steht sie im Austausch mit mütterlicher Hypophyse und kindlicher Nebenniere. Die Bildung von HCG (Humanes Choriongonadotropin) erfolgt am Anfang der Schwangerschaft durch den Gelbkörper und wird im weiteren Verlauf von der Plazenta übernommen. Sie ist auch für die Bildung von HPL (Humanes Planzentalaktogen) verantwortlich. HPL stimuliert die Entwicklung der Brüste und bereitet diese für die Milchbildung vor. Damit das heranwachsende Kind im Mutterleib nicht aufgrund einer immunologischen Abwehrreaktion abgestoßen wird, entwickelt die Mutter quasi eine Toleranz zum Feten, die als lokale Immunsuppression bezeichnet werden kann.

Entwicklungsperioden Die Schwangerschaft wird in drei Zeitabschnitte, sogenannte Schwangerschaftsdrittel eingeteilt, wobei die Begriffe Trimester und Trimenon synonym verwendet werden. Das erste Trimenon erstreckt sich von der 1. bis zur 13. Schwangerschaftswoche (SSW), das zweite Trimenon von der 14. bis zur 26. SSW und das dritte Trimenon von der 27. bis zur Geburt, etwa um die 40. SSW. Die Blastogenese beschreibt die Entwicklungsphase während der ersten 15 Tage der Schwangerschaft. Sollte es in dieser Zeit zur Schädigung kommen, der sogenannten Blastopathie, entscheidet die Schwere der Schädigung über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft. In dieser Zeit führen schwere Schäden nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip in den meisten Fällen zum Tod des Embryos.

Geringe Schädigungen haben kaum Auswirkung, da noch keine Differenzierung der Zellen stattgefunden hat. Embryopathien finden zwischen dem 16. und 60. Tag der Schwangerschaft statt, der sogenannten Embryonalperiode, und gehören zu den schwersten Schäden an Ungeborenen. Die einzelnen Organe des Embryos können stark geschädigt werden, da ihre Ausdifferenzierung noch nicht abgeschlossen ist. Bei schwerster Schädigung kann dies eine Fehlgeburt erzwingen. Ab der 9. Schwangerschaftswoche beziehungsweise dem 61. Tag der Schwangerschaft bis zur Geburt wird von der Fetalperiode und nun nicht mehr vom Embryo, sondern vom Fetus gesprochen.

Schäden, die in diesem Entwicklungsstadium verursacht werden, bezeichnet man als Fetopathie. Gegenüber schädigenden Einflüssen und Substanzen ist das Ungeborene im zweiten und dritten Trimenon verglichen zum ersten Trimenon deutlich weniger empfindlich. Wichtig: Auf keinen Fall sollte eine schwangere Frau eigenmächtig eine notwendige bestehende Therapie absetzen. Das Ungeborene kann auch durch die dann unbehandelte Grunderkrankung (z. B. Epilepsie, Asthma, Schilddrüsenunterfunktion) Schaden nehmen. Hier ist ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt nötig.

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