Arzneimittel in Schwangerschaft & Stillzeit
PTA-Fortbildung

Unbedenklich?

Die Antwort ist ein eindeutiges „JEIN“! Aussagen und Empfehlungen zu Arzneimitteln während Schwangerschaft und Stillzeit sind oftmals nicht eindeutig. Hier eine Momentaufnahme – Stand 2020.

19 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Juli 2020

Selbstmedikation und Phytotherapie Scheinbar sind Schwangere und Stillende hiermit alleine gelassen. Hersteller verweisen in Fachinformationen und Beipackzettel auf fehlende klinische Erfahrungen oder den Mangel an aussagekräftigen Studien. Vor einer möglichen Behandlung steht immer die Nutzen-Risiko-Abwägung für Mutter und Kind. Hier einige typische Selbstmedikationsthemen in der Schwangerschaft und der Stillzeit:

Allergie Heuschnupfen oder andere allergische Erkrankungen können auch während Schwangerschaft und Stillzeit auftreten. Eine bereits laufende Hyposensibilisierung, beispielsweise gegen Insektengift oder Heuschnupfen, kann in der Schwangerschaft ohne Steigerung der Dosis fortgeführt werden. In der Selbstmedikation ist die Behandlung der Allergie äußerst eingeschränkt. Cromoglicinsäure ist ein Mastzellenstabilisator. In den Mastzellen wird Histamin gespeichert. Bei einer allergischen Reaktion kommt es zur überschießenden Freisetzung von Histamin, das als entzündungsvermittelnder Botenstoff eine wichtige Rolle bei der Entstehung allergischer Symptome spielt.

Cromoglicinsäure blockiert Chlorid-Kanäle, unterbindet, dass aktivierende Chlorid-Ionen in die Zelle einströmen und unterdrückt dadurch die Ausschüttung von Histamin. Bei prophylaktischer Anwendung vermag sie Sofort- und Spätreaktion der Allergie zu verhindern. Cromoglicinhaltige Augentropfen wie auch Nasensprays können in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden. Da geringe Mengen des Wirkstoffes in die Muttermilch übergehen, gilt dies auch für die Stillzeit. H1-​Antihistaminika blockieren als kompetitive Antagonisten die Histamin-Rezeptoren und reduzieren somit die durch Histamin ausgelösten allergischen Symptome.

Wirkstoffe wie Cetirizin und Loratadin gehören zu den H1-Antihistaminika der zweiten Generation, die oral verabreicht werden. Loratadin ist heute das bestuntersuchte Antihistaminikum. Zahlreiche Studien führten zu evidenzbasierten Therapieempfehlungen für den Einsatz von Loratadin sowie Cetirizin in Schwangerschaft und Stillzeit. Dimetindenmaleat darf als Gel topisch, jedoch nicht großflächig auf die Haut aufgetragen werden, insbesondere nicht auf verletzte oder entzündete Haut. Dies gilt auch während der Stillzeit, in der zusätzlich das Gel insbesondere nicht an der Brustwarze angewendet werden darf. Eine orale Therapie mit Dimetindenmaleat kann in der Schwangerschaft nur nach ärztlicher Rücksprache und nach Abwägung des Nutzen-Risiko- Verhältnisses erfolgen. Gleiches gilt für die Stillzeit, da Dimetinden in die Muttermilch übergeht.

Spezifische Stoffeigenschaften eines Arzneistoffes, wie Molekülgröße, Hydrophilie bzw. Lipophilie oder der Ionisierungsgrad beeinflussen den Übertritt in die Muttermilch. © LightFieldStudios / iStock / Getty Images

Blähungen Bei Blähungen befindet sich zu viel Luft im Darm. Der Bauch ist gebläht und vorgewölbt. Zum Einsatz kommen hier Carminativa, die spasmolytisch wirken und den Abgang von Darmgasen erleichtern sollen. Als klassische Entschäumer sind sie oberflächenaktiv und können so die Oberflächenspannung zwischen Gas und Darmschleimhaut verringern. Zusätzlich reizen sie die Darmschleimhaut leicht, was zur Durchblutungsförderung im Verdauungstrakt führt und die Gase können so besser resorbiert werden.

Fenchel (Foeniculi fructus), Anis (Anisi fructus) und Kümmel (Carvi fructus) sind als Tee besonders wirksam. Vor der Verwendung sollten die Früchte frisch angestoßen werden. Dann mit kochendem Wasser übergießen und in einem abgedeckten Gefäß fünf bis zehn Minuten ziehen lassen. Als Kautabletten oder als Suspension stehen die Entschäumer Dimeticon und Simeticon zur Verfügung. Sie verlassen den Verdauungstrakt nicht, sondern werden wieder komplett ausgeschieden. Daher dürfen sie während Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden.

Diarrhoe Bei Durchfall kommt es zu einer gehäuften Entleerung wässriger oder breiiger Stühle und verminderter Stuhlkonsistenz. Die Ursachen können verschieden sein, sollten aber bei längerem Andauern unbedingt ärztlich abgeklärt werden. Aufgrund von Wasser- und Elektrolytverlusten kann es zu Übelkeit, Schwindel, Herzrhythmusstörungen und Bewusstlosigkeit kommen. Als erste Maßnahme gilt hier die orale Rehydratationstherapie, kurz ORT, die vordergründig dem Ausgleich der Wasser- und Elektrolytverluste dient. Hierbei werden Elektrolytkombinationen mit Glucose zusammengefügt, da vor allem die Aufnahme von Natrium-Ionen zusammen mit Glucose im Co-Transport erfolgt.

Die verschiedenen Elektrolyt/ Glucose-Mischungen, die als fertige Pulvermischungen zum Auflösen zur Verfügung stehen, entsprechen teilweise der WHO-Empfehlung, nach der man im Notfall auch selbst eine Mischung herstellen kann: Einem Liter Wasser werden 13,5 g Glucose, 2,9 g Natriumcitrat, 2,6 g Natriumchlorid und 1,5 g Kaliumchlorid zugesetzt. Bei Durchfall ist während Schwangerschaft und Stillzeit auch der Einsatz von Quellstoffen möglich. Sie binden überschüssige Mengen Flüssigkeit im Darm und dicken den Darminhalt dadurch ein.

Beispielsweise können Flohsamenschalen oder Apfelpulver als natürlicher Pektinlieferant verwendet werden. Auch der Einsatz von medizinischer Kohle als Adsorbens ist möglich. Für Loperamid liegen keine eindeutigen Hinweise auf ein teratogenes Potenzial vor, es gibt allerdings nur prospektive Studien. Daher sollte es in der Selbstmedikation nicht an Schwangere abgegeben werden. Gleiches gilt für Racecadotril. Hier liegen keine Erfahrungen in der Schwangerschaft vor. Loperamid geht in geringen Mengen in die Muttermilch über. Es gibt allerdings keine Berichte über Symptome bei gestillten Kindern.

Hämorrhoiden Hämorrhoiden sind schwammartige Gefäßpolster, die sich ringförmig am Anus befinden und den After abdichten. Es sind venöse Gefäße. Bei Vergrößerung oder Entzündung kommt es zu Symptomen wie Juckreiz, Nässen und Schmerzen in der Analregion. Der hohe Progesteron-​Spiegel, der Druck des Ungeborenen auf den Beckenboden und die doch nicht seltene Obstipation in der Schwangerschaft verstärken die Ausprägung bereits vorhandener Hämorrhoiden. Die Behandlung der Obstipation ist vorrangig. Nach Rücksprache mit dem Arzt können Zubereitungen mit Hamamelis-Extrakt oder Lidocain für maximal 14 Tagen in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden.

Obstipation Laxanzien, die zu einer beschleunigten Stuhlentleerung führen, sollten erst eingenommen werden, wenn eine gesteigerte Flüssigkeitszufuhr, Umstellung auf ballaststoffreiche Kost kombiniert mit reichlich Bewegung nicht erfolgreich waren. Der hohe Progesteron-​Spiegel während der Schwangerschaft wirkt zusätzlich erschlaffend auf die Darmwände und begünstigen eine Obstipation. Der Einsatz von Quellstoffen wird ausdrücklich empfohlen. Wichtig ist, dass die Einnahme immer mit genügend Flüssigkeit, vorzugsweise Wasser, zu tätigen ist, da es sonst zur Verschlimmerung der Symptomatik kommen kann. Quellstoffe werden nicht resorbiert, verbleiben im Darm und quellen dort auf.

Das Volumen im Darminneren nimmt zu, der erhöhte Füllungsdruck auf die Darmwand führt zur Anregung der Darmperistaltik und übt den Defäkationsreiz aus. Als Mittel der ersten Wahl sind neben den pflanzlichen Quellstoffen wie Haferkleie, Leinsamen, Flohsamen oder Flohsamenschalen auch die synthetischen Macrogole zu erwähnen. Auch können Osmolaxantien eingesetzt werden. Sie sind schwer resorbierbar und halten aufgrund ihrer chemischen Struktur Wasser im Darm zurück. Zu ihnen gehören die Zuckeralkohole wie Sorbit, Mannit, Lactose und Lactulose. Häufig treten hier jedoch heftige Blähungen auf. Möglich ist auch der Einsatz von Glycerol-​Zäpfchen als Gleitmittel.

Weniger für die Selbstmedikation, aber auf ärztliche Empfehlung sind Bisacodyl und Natriumpicosulfat zu verwenden. Beide hemmen die Resorption von Wasser aus dem Darm und führen dadurch zur Stuhlerweichung. Studien in der Schwangerschaft liegen nicht vor. Die breite Markterfahrung und die geringe Resorptionsquote sprechen aber gegen ein erhöhtes teratogenes Risiko. Von anthranoidhaltigen Laxanzien ist hingegen auch bei einem kurzfristigen Einsatz dringend abzuraten. Die mögliche Auslösung von Uteruskontraktionen ist ungeklärt. Zu den anthranoidhaltigen Laxanzien zählen alle Zubereitungen aus Sennesfrüchten, Sennesblättern, Aloe, Faulbaumrinde oder Rhabarberwurzeln, in Form von Dragees, Tee, Tinkturen oder Früchtezubereitungen.

Schmerz und Fieber Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Schmerzen und Fieber ist während der gesamten Schwangerschaft Paracetamol (PCM) in einer Tagesmaximaldosis von 4000 mg. Das bedeutet zwei Tabletten mit 500 mg PCM oder ein Zäpfchen mit 1000 mg PCM viermal täglich im Abstand von sechs Stunden. Es gilt jedoch immer, dass die geringstmögliche Dosis, mit der die Schmerzen und/oder das Fieber gelindert werden über den kürzestmöglichen Zeitraum eingenommen wird. Trotz Übertritt von PCM in die Muttermilch sind bisher keine nachteiligen Folgen für den Säugling bekannt und eine Unterbrechung des Stillens ist üblicherweise nicht erforderlich.

Andere nichtsteroidale Antirheumatika, wie Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibuprofen können im ersten und zweiten Trimenon gegeben werden. Ab der 28. Schwangerschaftswoche sind sie kontraindiziert, weil sie zum vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli führen können. Dies ist eine Gefäßverbindung zwischen Aorta und Lungenarterie im fetalen Blutkreislauf, die sich normalerweise erst in den ersten Tagen nach der Geburt schließt. Da ASS die Blutung bei der Geburt verstärken kann, gilt sie auch vor der 28. Woche als Mittel der zweiten Wahl. Wärmepflaster sind bei Rückenschmerzen in der Schwangerschaft eine gute Alternative, da sie ganz ohne Arzneistoff auskommen.

Sodbrennen GERD, der gastrointestinale Reflux, ist eine der häufigsten Beschwerden in der Schwangerschaft. Bei kurzfristigem Einsatz und nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung können Antazida in Form von Kautabletten oder Suspensionen eingesetzt werden. Mittel der ersten Wahl in Schwangerschaft und Stillzeit sind Zubereitungen aus Hydrotalcit oder Magaldrat. Als Ersatz stehen auch Calciumcarbonat, Magnesiumhydroxid oder Natriumalginat sowie Kombinationen daraus zur Verfügung.

Übelkeit Die Hormonumstellung, zu niedriger Blutdruck, zu wenig getrunken, leicht unterzuckert oder Übermüdung – Übelkeit in Schwangerschaft und Stillzeit kann viele Ursachen haben. Möglich ist hier der Einsatz von frischem Ingwer von bis zu einem Gramm pro Tag in einer Teezubereitung oder als Fertigarzneimittel innerhalb der angegeben Dosierung. Begleitend treten wohl häufiger Kopfschmerzen oder Sodbrennen auf. Zu einem Übergang von Ingwer in die Muttermilch liegen bisher keine Daten vor. In Deutschland bei Schwangerschaftserbrechen zugelassen und seit etwa 30 Jahren weltweit eingesetzt ist das H1- Antihistaminikum Doxylamin. Besonders wirksam ist die Kombination mit Pyridoxin (Vitamin B6). Dimenhydrinat und Diphenhydramin sind Alternativen, sollen aber bei vorzeitiger Wehentätigkeit gegen Ende der Schwangerschaft zurückhaltend angewendet werden.

Vaginalmykose Das Auftreten von vaginalen Pilzinfektionen ist durch die Hormonumstellung während der Schwangerschaft sehr viel häufiger als ohne Schwangerschaft. Die Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Gynäkologen muss vor dem Einsatz von Wirkstoffen wie Clotrimazol, Miconazol oder Nystatin erfolgen. Clotrimazol und Miconazol sind Antimykotika, die zur Hemmung der Ergosterol-Synthese und Schädigung der Pilzzellmembran führen. Bei topischer Anwendung ist die Resorption minimal. Nystatin, aus der Gruppe der Polyen-Antimykotica, lagert sich an Ergosterol in der Zellmembran von Pilzen an und stört so deren Permeabilität. Alle vaginalen Zubereitungen (Vaginaltablette, Vaginalgel) sollten während der Schwangerschaft ohne Applikator verwendet werden.

Schnupfen Eine verstopfte Nase kann quälend sein. Kurzzeitig und in therapeutischer Dosierung ist während der ganzen Schwangerschaft auch die Anwendung eines abschwellenden Nasensprays, beispielsweise mit Xylometazolin, möglich. Hinweise auf eine teratogene Wirkung haben sich nicht ergeben. Für eine Wirkung auf den Uterus ist die resorbierte Menge bei der indikationsgerechten Anwendung zu gering. Erleichterung kann auch die Befeuchtung der trockenen Schleimhäute bringen. Hierfür eignen sich Meersalz- und Kochsalzlösungen. Durch die Anwendung einer Nasendusche wird der Abtransport des Sekrets erleichtert. Vorsicht geboten ist bei Erkältungsprodukten mit ätherischen Ölen. Sie können wehenfördernd wirken.

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