Arzneimittel in Schwangerschaft & Stillzeit
PTA-Fortbildung

Unbedenklich?

Die Antwort ist ein eindeutiges „JEIN“! Aussagen und Empfehlungen zu Arzneimitteln während Schwangerschaft und Stillzeit sind oftmals nicht eindeutig. Hier eine Momentaufnahme – Stand 2020.

19 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Juli 2020

Nahrungsergänzung ist wichtig Die Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sollte ausgewogen, mit ausreichend Nährstoffen, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sein. Trotzdem kann der steigende Bedarf von einzelnen Stoffen nicht immer ausschließlich über eine gesunde Ernährungsweise abgedeckt werden. Hier sollte deshalb durch Nahrungsergänzungsmittel substituiert werden. Besonderer Augenmerk gilt hier den schwangeren Vegetarierinnen und schwangeren Veganerinnen. Bei einer ovolaktovegetarischen Ernährung, bei der pflanzliche Lebensmittel kombiniert mit Milch und Eiern gegessen werden, ist eine zusätzliche Substitution mit Jod und DHA (Docosahexaensäure) angeraten. Speziell bei veganer Ernährungsweise muss in Schwangerschaft und Stillzeit zusätzlich zu den Empfehlungen für Vegetarierinnen, eine Substitution mit Vitamin B12 und Calcium erfolgen sowie auf eine ausreichende Energie- und Kalorienzufuhr geachtet werden.

Folsäure Folsäure kann nicht im menschlichen Körper gebildet werden, ist somit essenziell und muss deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden. Sie ist vor allem in Blattgemüsen, Salat und in tierischer Leber enthalten. Folsäure gehört zu den thermolabilen Substanzen, die durch Erhitzen zerstört werden. Folsäure ist zusammen mit Vitamin B12 an der Blutbildung, genauer an der Heranreifung der Erythrozyten, beteiligt. Sollte die eine oder beide Substanzen fehlen, kommt es zur Ausbildung einer hyperchromen Anämie. Im Knochenmark ist dann die Erythrozytenreifung gestört. Es entstehen sogenannte Megaloblasten, das sind große Vorstufen der Erythrozyten, die einen sehr hohen Hämoglobingehalt besitzen.

Zusätzlich ist die Gesamtzahl der Erythrozyten im Blut stark vermindert. Unter der täglichen Einnahme von 5 mg Folsäure bilden sich die Symptome einer Folsäure-​Anämie rasch zurück. In der Schwangerschaft fällt der Folsäure eine besondere Rolle zu. Da sie für Zellteilung, Blutbildung sowie Ausprägung von Gehirn und Rückenmark benötigt wird, vermag eine ausreichende Folsäure-Substitution die Rate an Neuralrohrdefekten bis zu 70 Prozent zu senken. Das bedeutet ein verringertes Auftreten von Spina bifida (offener Rücken). Auch weniger angeborene Herzfehler, weniger Harnwegsfehlbildungen, Kiefer-, Lippen- und Gaumenspalten sind durch die frühzeitige Folsäure-Gabe zu vermelden, außerdem auch eine geringere Frühgeburtenrate.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Zufuhr über die gesamte Schwangerschaft (550 μg Folat) und bis zum Ende der Stillzeit (450 μg Folat). Die Folat-Substitution sollte schon präkonzeptionell, also wenn möglich vier Wochen vor der Empfängnis oder ab Kinderwunsch, erfolgen. Folsäure ist eine wasserlösliche, synthetische Verbindung. Oral aufgenommen ist sie ein sogenanntes Prodrug und muss erst enzymatisch in ihre aktive Form, das 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) umgewandelt werden. Leider ist das dafür notwendige „Schlüsselenzym“ bei fast jeder zweiten Frau genetisch so verändert, dass die Enzymaktivität eingeschränkt ist. Folge: Die zugeführten Folsäure-Mengen können nicht vollständig aktiviert werden. Deshalb existieren auch Folsäure/ Tetrahydrofolat-Kombinationen. Wichtig ist jedoch, dass mit einer ausreichenden Menge substituiert wird. Zusätzlich zu einer Folatreichen Ernährung werden 400 μg Folsäure täglich empfohlen.

GRUNDSÄTZLICH GILT FÜR ARZNEIMITTEL IN DER SCHWANGERSCHAFT UND STILLZEIT:

+ Erste Wahl ist die nichtmedikamentöse Therapie
+ Arzneimittel nur nehmen, wenn es unbedingt erforderlich ist – individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung
+ Dosis so niedrig wie möglich
+ Anwendung so kurz wie möglich
+ Bekannte Wirkstoffe sind neuen vorzuziehen
+ Monotherapie statt Kombination

Jod Es ist für die Biosynthese unserer Schilddrüsenhormone, die aus der Aminosäure Tyrosin gebildet werden, unerlässlich. Zunächst erfolgt die Iodisation, Jodid wird enzymatisch zu Jod oxidiert, dann die Jodierung, der Einbau der Jod-Atome in den Tyrosin-Grundkörper. So entsteht das mit drei Jod-Atomen gekoppelte aktive Triiodthyronin (T3) und das vier Jod- Atome enthaltende passive Tetraiodthyronin (T4, Thyroxin), die je nach Bedarf ineinander unwandelbar sind. Zu den physiologischen Aufgaben der Schilddrüsenhormone gehören die Steigerung des Energiestoffwechsels, der Körpertemperatur und die Reduktion des Körpergewichts durch Erhöhung des Grundumsatzes.

In Schwangerschaft und Stillzeit sind die ausreichende Iod-Versorgung sowie eine euthyreote Stoffwechsellage der Mutter für eine gesunde Entwicklung absolut notwendig. Empfohlen werden zwischen 100 bis 150 μg Jodid, in Form eines Nahrungsergänzungsmittels, täglich. Damit sollen der Ausprägung einer Struma congenita, die auch als angeborene Hypothyreose bezeichnet wird, oder dem Kretinismus (Vollbild der Erkrankung) vorgebeugt werden. Hierbei bedingt der Jod-Mangel ein Fehlen an Schilddrüsenhormonen. Symptome wie Verlangsamung des Stoffwechsels, Missbildungen wie verkürzte Extremitäten, Minderwuchs oder Zwergwuchs sowie Sprachstörungen, Schwerhörigkeit bis hin zur Taubheit und irreversiblen Schäden im Gehirn prägen dieses Krankheitsbild.

Eisen Für Eisen gilt keine generelle Substitutionsenmpfehlung. Die Einnahme eines Eisenpräparates ist nur nach erfolgter Blutdiagnostik bei zu niedrigem Hb-Wert angeraten. Dennoch zählt die Eisen-Mangel-Anämie bei Schwangeren zu den häufigsten Anämieformen. Der tägliche Eisenbedarf ist in der Schwangerschaft aufgrund des gesteigerten Blutvolumens (Plazenta, Ungeborenes) erhöht. Erschwerend kommt hinzu, dass die benötigte Eisenzufuhr nicht mehr nur über die Ernährung sichergestellt werden kann. Der tägliche Bedarf liegt in der Schwangerschaft bei über 30 mg und in der Stillzeit bei circa 20 mg.

Die Eisen-Mangel-Anämie gehört zu den hypochromen Anämien, das bedeutet, dass Erythrozyten gebildet werden, die zu wenig roten Blutfarbstoff, das Hämoglobin (Hb), enthalten. Im Hämoglobin-Molekül wird als Zentralatom ein zweiwertiges Eisen-Ion benötigt. Sollte also ein Mangel an Eisen bestehen, werden Erythrozyten mit zu geringerem Hämoglobin-Gehalt aufgebaut. Typische Anämie-​Symptome sind Schwäche, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Atemnot und Herzklopfen. Zusätzlich erhöht ein Eisen-Mangel in der Schwangerschaft die Häufigkeit von Vaginalmykosen, vermindert die Blutreserven unter der Geburt, kann zu erhöhter Belastung des Herzens führen sowie die Milchbildung stören.

Der mütterliche Eisen-Mangel führt zu einem erhöhten Frühgeburtsrisiko, verbunden mit einem zu niedrigen Geburtsgewicht. Als aussagekräftiger Laborparameter wird hier der Hb-Wert herangezogen, der den Hämoglobingehalt pro Volumeneinheit Blut angibt. Gesunde Frauen sollten einen Hb-Wert von 12 bis 16 g/dl (Gramm pro Deziliter) Blut haben. In der Schwangerschaft sollte dieser nicht unter 11 g/dl und nach der Geburt nicht unter 10 g/dl absinken. Eine orale Substitution mit zweiwertigen Eisenverbindungen wie Eisen-II-sulfat, Eisen-​II-glycinsulfat oder Eisen-II-gluconat ist absolut empfehlenswert. Die Eisenresorption erfolgt mit Hilfe von Carriern im oberen Dünndarm vorwiegend als zweiwertiges Eisen. Dreiwertige Eisenverbindungen werden zunächst enzymatisch durch eine Eisenreduktase in zweiwertiges Eisen überführt.

Im Blut erfolgt der Transport unter anderem an ein Globulin gebunden, das Transferrin, um in der Mukosazelle gespeichert zu werden. Zu erwähnen ist die Besonderheit, dass es bei einer oralen Eisen-​Substitution immer zu einer Schwarzfärbung des Stuhlganges kommt, da circa 70 Prozent nicht resorbiert werden und im Darm verbleiben. Oftmals treten Magen-Darm-​Beschwerden, wie Übelkeit, Magenschmerzen, Obstipation oder Diarrhoe auf. Diese Nebenwirkungen können durch die Einnahme nach dem Essen verringert werden, wobei dann allerdings die Bioverfügbarkeit, die ohnehin unter 30 Prozent liegt, noch weiter sinkt. Der Zusatz von Ascorbinsäure-haltigen Getränken bei der Einnahme, wie beispielsweise Orangensaft, schützt das zweiwertige Eisen vor Oxidation und erhöht damit dessen Verfügbarkeit. Interaktionen entstehen bei zeitgleicher Einnahme mit Antazida, Calcium- oder Magnesium-Verbindungen oder auch Schilddrüsenhormonen.

DHA Docosahexaensäure, abgekürzt DHA, ist eine Omega-​3-Fettsäure, die vor allem in fetten Seefischen wie in Thunfisch oder Hering, in geringerem Umfang auch in bestimmten pflanzlichen Speiseölen wie Soja,- Raps- und Walnussöl vorkommt. DHA ist unter anderem an der Entwicklung des kindlichen Nervensystems beteiligt. Allen Schwangeren, die weniger als zweimal die Woche Seefische verzehren, somit auch allen vegetarisch oder vegan ernährenden Schwangeren, ist eine Substitution von 200 mg täglich empfohlen.

Vitamin D Vitamin D kann sowohl über die Ernährung zugeführt als auch vom Menschen selbst durch UVB-Lichtexposition (Sonnenbestrahlung) gebildet werden. Fettreiche Meeresfische und in geringerem Umfang auch Margarine und Pilze gehören zu den möglichen Vitamin-D-Lieferanten. Vitamin D ist am Calcium- und Phosphat-Stoffwechsel beteiligt und stimuliert das Immunsystem. Beide Quellen, Licht und Ernährung, sind jedoch nicht ausreichend, sodass die DGE eine tägliche Zufuhr von mindestens 1000 IE (entsprechend 20 μg Vitamin D) in Form von Vitamin-D-Präparaten für alle, also Kindern ab einem Jahr, Jugendlichen, Erwachsenen, Schwangeren und Stillenden empfiehlt. Die Dosis der Substitution bei Säuglingen ist angepasst.

Vitamin B12 Vitamin B12 ist essenziell und neben Folsäure auch am DNA-Aufbau, vielen Zellteilungsprozessen sowie der Blutbildung beteiligt und für eine gesunde kindliche Entwicklung wichtig. Vitamin B12 ist vor allem in Fleisch, Fisch, Milchprodukten und Eiern enthalten. Die Besonderheit von Vitamin B12 besteht darin, dass zur Resorption, die im unteren Dünndarm erfolgt, ein spezifischer Carrier nötigt ist, der in der Magenschleimhaut gebildet wird.

Dieser Carrier wird als Intrinsic factor bezeichnet und bildet mit Vitamin B12, dem sogenannten Extrinsic factor einen Komplex, der nun resorbiert werden kann. Eine Speicherung des Vitamins von 1000–2000 μg erfolgt in der Leber und ist bei einer Vitamin-​B12-freien Ernährung erst nach circa zwei bis drei Jahren aufgebraucht. Bei einer rein veganen Lebensweise ist eine Vitamin-​B12-Substitution obligat. Ein Mangel kann zur Ausbildung einer perniziösen Anämie führen. Die DGE empfiehlt in der Schwangerschaft eine Zufuhr von 4,5 μg/Tag, bei Stillenden 5,5 μg/Tag.

Calcium Das Calcium darf nicht vergessen werden. Es wird zum Aufbau der Knochenmasse sowie der Zähne benötigt und ist im Nervensystem an Abläufen rund um die unterschiedlichsten Muskelkontraktionen involviert. Als Richtwert empfiehlt die DGE eine tägliche Zufuhr von 1000 mg Calcium täglich, bei sehr jungen Schwangeren (unter 19 Jahren) möglichst 1200 mg. Enthalten ist Calcium vor allem in Milch- und Milchprodukten wie Käse und Joghurt sowie in grünem Gemüse, vor allem in Grünkohl und anderen Kohlarten, aber auch in Mangold, Fenchel und Spinat sowie in geringeren Mengen in Nüssen und Samen. Mit Calcium angereicherte Lebensmittel wie Soja-, Reis- oder Hafer- Milch bieten sich als zusätzliche Calcium-Quelle an.

Abschließend gilt noch einmal der Hinweis, auch bei noch so harmlos erscheinenden Wirkstoffen, zur Rücksprache mit dem behandelten Gynäkologen.

Bärbel Meißner, Apothekerin

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