Demenz
PTA-Fortbildung

Mehr als nur vergesslich

 

Die Demenz ist eine bislang nicht heilbare, fortschreitend verlaufende Erkrankung, die Betroffene, ihre Angehörigen und das Pflegepersonal vor große Herausforderungen stellt. Aber es ist nicht immer gleich Alzheimer.

19 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. März 2021

Umfassende Therapie Eine Heilung ist bislang weder bei der Alzheimer-Krankheit noch bei den meisten anderen Demenzformen möglich. Allerdings lassen sich mit Medikamenten insbesondere bei einer leichten und mittelschweren Alzheimer-Demenz die Krankheitsentwicklung verlangsamen und damit der geistige Abbau etwas aufhalten sowie ein eigenständiges Leben länger ermöglichen. Vorrangiges Ziel der Antidementiva ist vor allem der Erhalt der alltäglichen und sozialen Fähigkeiten und damit eine Verbesserung der Lebensqualität. Zudem können zahlreiche Symptome, die eine Demenzerkrankung typischerweise begleiten, wie beispielsweise Angst, Unruhe, Agitiertheit, Depression, Apathie, Appetit- oder Schlafstörungen eine (vorsichtige) Therapie mit psychotropen Medikamenten (z. B. Antipsychotika, Antidepressiva, Antikonvulsiva, Tranquilizer) erforderlich machen.

Sehr wichtig sind auch medikamentöse Therapieverfahren. Sie stellen einen zentralen Bestandteil im Gesamtbehandlungsplan dar. Psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen helfen Betroffenen, besser mit ihrer Erkrankung zu leben. Mit individueller Ergotherapie, gezielter körperlicher Aktivität, künstlerischen Therapien (z. B. Musik) oder spezieller kognitiver Stimulation ist es möglich, selbst bei einer fortschreitenden Demenz krankheitsbedingte Einschränkungen teilweise zu kompensieren. Darüber hinaus existieren Angebote für Angehörige. Auch sie benötigen Unterstützung, um mit den neuen Herausforderungen und Schwierigkeiten angemessen umzugehen und nicht an Belastungsfolgen wie einer Depression oder einem Burnout zu erkranken.

Leitliniengerechte Antidementiva In der im Jahre 2016 aktualisierten Leitlinie „Demenzen“ werden einige wenige Arzneimittel zur Behandlung der Alzheimer-Demenz empfohlen. Therapeutische Ansätze zur Behandlung der Kernsymptomatik zielen auf eine Verstärkung der cholinergen Erregungsübertragung (Neurotransmission) sowie dem Versuch, Nervenzellen vor dem Absterben zu bewahren (Neuroprotektion). Die Medikamentenauswahl soll individuell auf den Grad der Erkrankung und auf ihr Verträglichkeitsprofil abgestimmt werden. Für leichte bis mittelschwere Formen werden die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin als wirksam anerkannt. Sie stabilisieren die kognitive Funktion und fördern die Fähigkeit der Patienten, ihre Alltagsaktivitäten (weiter) zu verrichten.

Eine moderate bis schwere Demenz profitiert leitliniengemäß von einer Therapie mit dem nichtkompetitiven N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-) Rezeptor-Antagonisten Memantin. Neu aufgenommen wurde in der Leitlinie auch, einen Therapieversuch mit Ginkgo biloba EGB 761 in einer Dosierung von 240 Milligramm pro Tag bei Patienten mit leichter bis mittelgrader Alzheimer-Demenz oder einer vaskulären Demenz und nicht-psychotischen Verhaltenssymptomen zu erwägen. Die Leitlinienautoren schlagen Antidementiva auch für Behand- lungsversuche bei anderen Demenzformen wie die gemischte, vaskuläre, Lewy-Körperchen-Demenz oder eine Demenz beim Parkinson-Syndrom vor. Allerdings handelt es sich dann meistens um einen Off-label- Einsatz. Genaueres findet sich unter <link https: dggpp.de _blank>www.dggpp.de.

Acetylcholinesterase-Hemmer Da die Alzheimer-Demenz auf einem Untergang von Nervenzellen beruht, der einen Acetylcholin- Mangel zur Folge hat, versucht eine Therapie mit Acetylcholinesterase- Hemmern das cholinerge Defizit zu kompensieren, um damit die Neurotransmission zu verstärken. Durch Hemmung der Acetylcholinesterase verlängern Donepezil, Galantamin und Rivastigmin die Verfügbarkeit von Acetylcholin im synaptischen Spalt, sodass sich die cholinerge Erregungsübertragung verbessert. Die drei Substanzen unterscheiden sich nicht in ihrer klinischen Wirksamkeit. Daher empfiehlt die Leitlinie, ihren jeweiligen Einsatz individuell vom Neben- und Wechselwirkungsprofil abhängig zu machen.

Die Wirkung aller Acetylcholinesterase- Hemmer ist dosisabhängig. Die Leitlinien sehen ein stufenweises Aufdosieren der Wirkstoffe bis zur zugelassenen Maximaldosierung vor. Diese betragen für Donezepil 10 Milligramm (mg) pro Tag, Rivastigmin 12 mg/Tag, als Pflasterapplikation 9,5 mg/24 Stunden und für Galantamin 24 mg/Tag. Dabei soll die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden. Sehr häufige (>=10 %) Nebenwirkungen sind bei diesen Substanzen das Auftreten von Erbrechen, Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, Diarrhoe und Kopfschmerzen. Sie sind oft vorübergehend und lassen sich unter Umständen durch ein langsameres Aufdosieren oder eine Einnahme der Medikamente zum Essen vermeiden.

Zudem sind Bradykardien (zu langsamer Herzschlag) und Synkopen (kurzer Bewusstseinsverlust) möglich. Bei guter Verträglichkeit können die Substanzen fortlaufend gegeben werden. Wenn jedoch die Demenz in ein schweres Stadium übergeht, handelt es sich bei der Therapie mit Acetylcholinesterase- Hemmern - wie die Leitlinienautoren zu bedenken geben - um eine Off-Label-Therapie. Laut Leitlinie liegen für die Behandlung von Patienten im schweren Stadium vor allem gute Studiendaten für Donepezil vor.

PHARMAKO-LOGISCH! PSYCHIATRIE

Wer noch mehr über die Pathogenese und Pharmakotherapie bei Demenz erfahren möchte, kann dies in dem Buch „Pharmako-logisch! Psychiatrie“ von Thomas Herdegen, ISBN 978-3-7692-6436-4 aus dem Deutschen Apotheker Verlag. Das Werk richtet sich nicht nur an das Apothekenteam, sondern auch ausdrücklich an Studenten der Pharmazie.
Der Paperback-Band informiert gut verständlich über die verschiedenen Demenzformen, wobei der Schwerpunkt auf der Alzheimer-Erkrankung liegt. Zudem werden Wirkmechanismen und Angriffspunkte der häufig verordneten Medikamente, deren Nebenwirkungen sowie mögliche Interaktionen erläutert. Zahlreiche farbige Abbildungen und übersichtliche Tabellen ergänzen die Ausführungen. Darüber hinaus enthält das Buch weitere Kapitel zu den Themen Depression, Schizophrenie sowie Schlafstörungen und Angst.

NMDA-Antagonisten Memantin ist nur zur Behandlung der moderaten bis schweren Demenz zugelassen. Eine Zulassung für die leichte Demenz besteht für den nichtkompetitiven NMDA- Antagonisten hingegen nicht, da es bei dieser keinen Nutzen zeigt. Die Leitlinie sieht Memantin bei einer moderaten (entspricht der mittelschweren) Alzheimer-Demenz vor, falls ein Acetylcholinesterase-Hemmer nicht gegeben werden kann. Ansonsten wird die Substanz zur Therapie der schweren Demenz angeraten. Hintergrund für die Empfehlung ist die bei Demenzen stattfindende Überstimulierung von NMDA-Rezeptoren. Im Rahmen der Alzheimer-Demenz spielt beim Zelluntergang eine übermäßige Ausschüttung von Glutamat eine Rolle und damit eine Überaktivität des glutamatergen Systems am N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-) Rezeptor.

Der nichtkompetitive NMDA-Rezeptor-Agonist Memantin greift am NMDA-Rezeptor an und schützt die Nervenzellen vor erhöhten Glutamat-Konzentrationen und damit vor ihrem Absterben. Memantin wird daher zu den neuroprotektiven Substanzen gezählt. Unter einer Memantin-Behandlung kann eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, des Antriebs, der sozialen Kompetenz und der Funktionen des täglichen Lebens nachgewiesen werden. Die Therapie startet mit 5 mg/Tag und kann auf eine Erhaltungsdosis von 20 bis 30 mg/Tag erhöht werden. Häufige Nebenwirkungen (1 bis 10 %) sind Kopfschmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, Halluzinationen, erhöhter Blutdruck und erhöhte Leberwerte.

Ginkgo-biloba-Extrakte Zudem werden verschiedene Substanzen (z. B. nichtsteroidale Antiphlogistika, Estrogene und Gestagene im Sinne einer Hormonsatztherapie, Vitamine E) gegen Kognitionseinschränkungen angepriesen. Allerdings sehen die Leitlinienautoren weder für diese als auch für die als Nootropika bezeichneten Wirkstoffe wie Piracetam oder Nicergolin, die den Gehirnstoffwechsel und damit die mentale Leistung steigern sollen, keine ausreichende Evidenz bei der Behandlung einer Demenz. Daher haben sie auch keinen Eingang in die Leitlinienempfehlungen gefunden. Die Leitlinienautoren machen mit der „Kann-Empfehlung“ für den schon seit langem eingesetzten Ginkgo-biloba-Spezialextrakt EGb 761eine Ausnahme.

Dieser ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung von „hirnorganisch bedingten geistigen Leistungseinbußen bei demenziellen Syndromen“ und hat gute Ergebnisse bei Personen mit beginnenden kognitiven Leistungseinbußen bei leichter Demenz gezeigt. Es ließen sich eine nachlassende Konzentrationsfähigkeit und die Merkfähigkeit des Gedächtnisses wieder steigern und damit die Lebensqualität verbessern. Leitliniengemäß kann eine Therapie mit Ginkgo biloba EGB 761 in einer Dosierung von 240 Milligramm pro Tag bei Patienten mit leichter bis mittelgrader Alzheimer-Demenz oder einer vaskulären Demenz und nicht-psychotischen Verhaltenssymptomen erwogen werden.

Zu beachten ist, dass die Leitlinie auf einen bestimmten Extrakt verweist, der nach einem genau festgelegten Extraktionsverfahren gewonnen wird. Nur dieser hat in zahlreichen Studien die günstigen Effekte auf Kognition, Alltagsfähigkeiten und klinischen Gesamteindruck gezeigt. Auf andere Ginkgo-Präparate lassen sich die erzielten Belege nicht übertragen. Auch sind niedrigere Tagesdosen nicht sinnvoll, da eine Wirksamkeit nicht belegt ist.

Ausblick Neuartige Therapieansätze versuchen in die pathogenetischen Mechanismen einzugreifen und dadurch ein Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung aufzuhalten. Ein vielversprechender Ansatz scheint die Gabe des Antikörpers Aducanumab zu sein. Dieser richtet sich bei Patienten in einem frühen Krankheitsstadium im Sinne einer passiven Immunisierung gegen die Amyloid-Proteine im Gehirn. Bislang befindet sich der Wirkstoff noch im Zulassungsprozess. In diesem Jahr werden sowohl eine Entscheidung der amerikanischen Behörde FDA als auch der Europäischen Arzneimittel- Agentur EMA erwartet.

Gode Chlond, Apothekerin

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