Jemand injiziert einer kleinen Weltkugel etwas.
Die Welt wartet auf einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. © Nastco / iStock / Getty Images Plus

Herausforderungen | Personengruppen

IMPFSTOFF FÜR ALLE?

Es laufen rund 180 Projekte gleichzeitig, um die Coronapandemie möglichst schnell zu beenden – die Welt wartet auf die Zulassung eines Impfstoffs. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung. Wer entscheidet, wer wann wie viel Impfstoff erhält?

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Erstmal muss der Impfstoff entwickelt – und dann schnell und in großen Mengen hergestellt werden. Prof. Dr. Dieter Cassel (Uni Duisburg-Essen), Prof. Dr. Volker Ulrich (Uni Bayreuth) und die beiden in der pharmazeutischen Industrie beschäftigten Gesundheitsökonomen Dr. Andreas Heigl und Dr. Andreas Jäcker gehen davon aus, dass wahrscheinlich zehn Milliarden Impfstoffdosen nötig sind. Für einen hohen Schutz müsse zwei Mal geimpft werden, die angenommene Herdenimmunität liegt bei rund 65 Prozent, sodass „nur“ rund 5 Milliarden Menschen geimpft werden müssten. Leider ist die bestehende Versorgungsinfrastruktur für solche Mengen nicht ausgerüstet. Es fehle an Transport- und Kühlkapazitäten, aber auch an Ärzt*innen, die für eine Impfung zur Verfügung stehen. Prof. Dr. Matthias Schrappe, Uni Köln, geht davon aus, dass es circa tausend Arbeitstage oder vier Jahre dauern könnte, 60 Millionen Menschen in Deutschland zu impfen, wenn 60 000 Impfungen am Tag verabreicht werden. Deshalb müssten laut Prof. Dr. Volker Ulrich (Uni Bayreuth) im deutschen Gesundheitswesen schon jetzt alle Anstrengungen dafür unternommen werden, diese „Tageskapazität“ deutlich zu steigern.

Die Verteilung der Impfstoffe sollte nach epidemiologisch abschätzbarem Bedarf oder globaler Systemrelevanz, aber eben nicht nach Staats- oder Unionsgrenzen geregelt werden.

„Es ist abzusehen, dass die verfügbaren Impfstoffdosen global gesehen für geraume Zeit nicht zur Durchimpfung ausreichen“, sagt Ulrich. „Und es ist zu befürchten, dass es international zu einem unfairen Wettrennen, wenn nicht sogar zu einem Verteilungskampf kommen könnte.“ Immerhin geht es im Impfstoffrennen nicht nur um die Gesundheit, sondern auch um Geld. Der internationale Währungsfonds (IMF) schätzt die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie auf 375 Milliarden Dollar im Monat. Eine wirksame und sichere Vakzine hätte demnach auch die Wirkung einer gigantischen Konjunkturspritze. Die globale Verteilung der Impfstoffe sollte, so Ulrich, ein „Corona-Ethikrat“ „nach epidemiologisch abschätzbarem Bedarf oder globaler Systemrelevanz, aber eben nicht nach Staats- oder Unionsgrenzen“ regeln.

Wie sieht es für Deutschland aus?
Das Autorenteam hat eine „Impfkaskade“ entwickelt. Sie müsste vor Zulassung des ersten Impfstoffes in Form einer „COVID-19-Impfstoffverordnung“ vom Bund erlassen werden.

Die Impfkaskade:
- In der Stufe I wird ein Worst-Case-Szenario angenommen: Deutschland verfügt nur über ein geringes Kontingent an Dosen. In dieser Phase sollten Personen höchste Priorität haben, die zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung unabdingbar sind (Gruppe A). Sie sollten bis zum Ende der Pandemie impfpflichtig sein. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Impfzwang. Wer die Impfung verweigert, darf allerdings temporär nicht mehr patientennah tätig sein.
- In Stufe II wird von einer fortschreitenden Durchimpfung von Gruppe A ausgegangen. Nun könnten in einer Gruppe B Risikogruppen geimpft werden. Als Gruppe C sehen die Autoren Menschen, bei denen es nicht in erster Linie um den Selbstschutz der Impflinge geht, sondern darum, das Risiko für Dritte zu verringern; etwa Eltern, Kranke pflegende Angehörige oder Erzieher. Gruppe B und C sollten über die Impfung selbst entscheiden können und mit einem „Impfpass“ zur Freistellung von mobilitätsbeschränkenden Maßnahmen belohnt werden.
- Stufe III sieht die Impfung des bisher nicht geschützten Teils der Bevölkerung vor (Gruppe D). Sollte es hier immer noch einen Nachfrageüberhang geben, schlägt das Autorenteam das Führen elektronischer Wartelisten der Gesundheitsämter vor. Auch hier soll die Impfentscheidung freiwillig sein.

Die Entwicklung neuer Vakzinen „ist teuer, langwierig und begleitet von einem hohen Risiko des Scheiterns“, erklärt Ulrich. Umso wichtiger sei es die „COVID-19-Impfstoffverordnung“ möglichst schnell umzusetzen, um ein transparentes Impfstoff-Management zu ermöglichen. Denn nur „eine rationale, ökonomisch wie ethisch vertretbare Impfstoffverteilung könnte dazu beitragen, diese Zwangslage ohne Spaltung der Gesellschaft zu überstehen“, so Ulrich.

Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quelle: pharma-fakten.de

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