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Chronische Übersäuerung
PTA-Fortbildung

Nicht aus der Balance geraten

Stellen Sie sich vor, eine Kundin kommt zu Ihnen in die Apotheke und klagt über ihre Mehrfachbelastung als berufstätige Mutter. Richtig krank fühlt sie sich nicht, aber der anhaltende Stress macht etwas mit ihr, und das ermüdet sie. Können Sie ihr helfen?

16 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. März 2022

Welchen Einfluss hat Stress? Es ist nicht nur die Ernährung, die säurelastig ist. Auch zu wenig Bewegung und Stress beeinflussen das Säure-Basen-Gleichgewicht ungünstig. Sport und auch sonst alles, was unseren Kreislauf anregt, fördert die Ausscheidung von Säure. In unserem Arbeitsalltag kommt Bewegung aber leider oft zu kurz. Dazu haben die meisten Menschen auch mehr oder weniger viel Stress, der sich langfristig auf das gesamte Befinden negativ auswirkt, und eben auch auf das Säure-Basen-Gleichgewicht.

Der Körper schüttet vermehrt die Stress-Hormone Adrenalin und Cortisol aus und der Stoffwechsel verändert sich. Gleichzeitig nimmt Stress Einfluss auf die Atmung. Ist man gestresst, atmet man flach und hastig. Dies führt dazu, dass nicht genügend Sauerstoff ins Blut gelangt. Den braucht unser Körper aber, um die entstandenen sauren Abfallprodukte abzutransportieren. Eine weitere Belastung für den Säure-Basen-Haushalt können Fastenkuren und Diäten zur Gewichtsreduktion sein. Denn wenn körpereigenes Fett abgebaut wird, entstehen durch oxidative Prozesse Ketosäuren.

Besonders Formuladiäten, bei denen einzelne Mahlzeiten durch Drinks mit hohem Eiweißgehalt ersetzt werden, stellen eine ziemliche Säurebelastung für den Stoffwechsel dar. Die dadurch entstehende latente Übersäuerung kann sogar durch eine verschlechterte Stoffwechselleistung den weiteren Fettabbau verhindern. Aber auch zu viel Sport kann zu einer erhöhten Säurebelastung führen. Vor allem bei sehr intensivem oder lang andauerndem Sport entsteht Milchsäure in der Muskulatur, die ins Blut abgegeben wird.

Wie erwähnt, ist die Niere das einzige Organ, das aktiv Säure ausscheiden kann. Im Alter lässt die Nierenfunktion allerdings deutlich nach und damit auch die Fähigkeit, Säure auszuscheiden. Dazu kommt, dass ältere Menschen häufig zu wenig trinken und sich nicht selten einseitig ernähren. Oftmals fehlen gerade die wichtigen Basenlieferanten Obst und Gemüse. Senioren tragen daher ein erhöhtes Risiko für eine chronische Übersäuerung.

Ein weiterer Risikofaktor sind chronische Krankheiten. Es ist bekannt, dass zum Beispiel Diabetes mellitus zu einer erhöhten Produktion von Ketosäuren führt. Chronische Lungen- und Nierenerkrankungen vermindern die Ausscheidung von Säuren. Auch Erkrankungen, die mit Durchfall einhergehen, können durch den Verlust von Basen eine Übersäuerung begünstigen.

Kann der Organismus eine latente Übersäuerung kompensieren? Der Körper verfügt noch über eine Art Notfallmaßnahme, wenn der Zustand der chronischen Azidose anhält und nicht anders ausgeglichen werden kann. Er kann Basen aus den Knochen mobilisieren. Knochen enthalten basische Calcium- und Magnesiumverbindungen. Die latente Übersäuerung führt dazu, dass diese aus dem Knochen gelöst werden. Durch die pH-Verschiebung zum Sauren hin wird die Aktivität der knochenabbauenden Zellen, der Osteoklasten, gesteigert, während die der knochenaufbauenden Zellen, der Osteoblasten, gehemmt wird. Diese Effekte können langfristig zum Verlust von Knochensubstanz führen und eine Osteoporose begünstigen.

Welche Rolle spielt das Bindegewebe? Zusätzlich hat der Organismus die Möglichkeit, Säuren ins Bindegewebe einzulagern. Dazu gehört neben dem Bindegewebe im engeren Sinn, das zum Beispiel die Organe umhüllt, auch das Stützgewebe, also beispielsweise Knorpel, Sehnen und Bänder sowie die Faszien, welche Muskelfasern und ganze Muskelstränge umhüllen. Dieses Bindegewebe besteht aus kollagenen und anderen fibrillären Fasern, die die Zugfestigkeit garantieren. Sie sind in eine Matrix aus Proteoglykanen, die stark quellen und vor allem Kompressionskräfte aufnehmen und verteilen können, eingebettet.

Proteoglykane sind Makromoleküle, die zu etwa 95 Prozent aus Polysacchariden und zu fünf Prozent aus Proteinen bestehen. Aufgrund des hohen Polysaccharid-Anteils und der vielen OH-Gruppen, die diese Moleküle besitzen, sind Proteoglykane sehr hydrophil und können große Mengen Wasser binden. Dazu kommt, dass sie an vielen Stellen im Molekül sulfatiert sind, also Sulfatreste besitzen, die eine negative Ladung tragen. Dies wiederum erhöht die Hydrophilie enorm und damit das Wasserbindevermögen um ein Vielfaches. Dadurch sind die Proteoglykane ideale Gleitmittel in Gelenken und die perfekte Grundsubstanz für Faszien, Sehnen und Bänder.

Wenn der Körper die Säurelast nicht ausscheiden oder neutralisieren kann, können sich die positiv geladenen Protonen an die negativ geladenen Sulfatreste der Proteoglykane anlagern. So sind sie zunächst gebunden und belasten das Säure-Basen-Gleichgewicht nicht mehr. Allerdings verliert das Bindegewebe dadurch seine Ladungen und somit auch seine Wasserbindekapazität. Die Folge ist ein Elastizitätsverlust, der die Funktion von Faszien, Sehnen, Bändern und Knorpel beeinträchtigt.

Mechanische Belastungen können schlechter abgefangen werden. Auch die Nährstoffversorgung der Bindegewebszellen ist vermindert. Es kommt leichter zu entzündlichen Prozessen. Die Faszien können „verkleben“. In der Folge können Rücken-, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Bewegungseinschränkungen auftreten. Da auch die Haut bindegewebige Strukturen enthält, kann auch sie bei einer Übersäuerung ihr Wasserbindevermögen verlieren. Ein Verlust an Elastizität kann sich bei Frauen zum Beispiel als Cellulite äußern.

Ganz objektiv gesehen

Die Einteilung in säure- und basenbildende Nahrungsmittel erfolgt nach dem sogenannten PRAL-Rechenmodell (Potential Renal Acid Load). Danach werden Lebensmittel nach ihrer potenziellen Säurebelastung der Niere eingeteilt. Nach einem physiologischen Rechenmodell wird ermittelt, wie hoch die Säureausscheidung über die Niere beim Verzehr von bestimmten Lebensmitteln ist.

Wie erkennt man einen Kunden mit chronischer Übersäuerung? Wie bereits erwähnt: Es gibt kein charakteristisches Symptom, das eindeutig auf eine latente Azidose hinweist. Und in den seltensten Fällen wird ein Kunde das Thema von sich aus ansprechen. Die meisten wissen gar nicht, dass hinter ihren unspezifischen Beschwerden eine Verschiebung des Säure-Basen-Gleichgewichts stecken kann. Denken Sie also bei Müdigkeit und Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche, erhöhter Stressempfindlichkeit und Unruhezuständen, aber auch bei Muskel- und Gelenkschmerzen auch an eine chronische Übersäuerung.

Um abzugrenzen, ob es sich tatsächlich um ein Ungleichgewicht im Säure-Basen-Stoffwechsel handelt, fragen Sie nach den Lebens- und Ernährungsgewohnheiten Ihres Kunden. Lassen Sie sich berichten, was Ihr Kunde zu den Mahlzeiten und zwischendurch isst. Fragen Sie ruhig auch ganz konkret, wie viel Fleisch und Milchprodukte er üblicherweise isst und lassen Sie sich das Gemüse und Obst aufzählen, das er in den letzten Tagen gegessen hat. Viele Kunden schätzen ihre Ernährung als gar nicht so fleischlastig ein wie es dann tatsächlich der Fall ist. Oder sie überschätzen die Obst- und Gemüsemengen, die sie zu sich nehmen.

Durch das Gespräch können Sie leicht herausfinden, ob sich Ihr Kunde überwiegend sauer oder basisch ernährt. Erklären Sie Ihrem Kunden auch die Hintergründe. Vielleicht sollten Sie ihm auch sagen, dass nicht alles säurebildend ist, was sauer schmeckt. Sonst meidet er womöglich die falschen Nahrungsmittel. Ein klassisches Beispiel ist die Zitrone. Sie schmeckt extrem sauer, ihre Wirkung im Organismus ist jedoch basisch. Dass wir das so nicht wahrnehmen, liegt daran, dass unser Körper zwar mit Geschmacksrezeptoren für sauer schmeckende Substanzen ausgestattet ist, basische Stoffe, wie die in der Zitrone enthaltenen Citrate, erkennt er jedoch nicht. Auch Kaffee zählt nach dem PRAL-Rechenmodell zu den basischen Lebensmitteln. Man darf die Wirkung auf das Säure-Basen-Gleichgewicht im Blut nicht mit dem Effekt von Kaffee auf die Belegzellen der Magenschleimhaut, nämlich die Bildung der Magensäure anzuregen, verwechseln.

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