Herpesinfektionen
PTA-Fortbildung

Eine schreckliche Familie

Herpes ist nicht gleich Herpes. Ein unschöner Lippenherpes, juckende Windpocken oder eine schmerzhafte Gürtelrose sind nur die bekanntesten unter den verschiedenen Herpesinfektionen.

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Typische Trigger Prinzipiell zeigen sich die Lippenbläschen, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Insbesondere Stress belastet das körpereigene Abwehrsystem und ruft Rezidive hervor. Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol lassen die virale Replikationsrate ansteigen. Gleichzeitig hemmen sie die Aktivierung von Makrophagen und die Einwanderung natürlicher Killerzellen und damit die körpereigene Immunabwehr. Die Ursachen für eine Immunschwäche sind vielfältig: Körperliche Anstrengung, psychische Belastungen, intensive UV-Strahlung, Hormonschwankungen durch Menstruation oder Schwangerschaft, negative Emotionen wie Ekel, Schlafmangel oder Traumata wie Operationen, Verletzungen oder Zahnarztbehandlungen sind häufige Gründe, die zu einem Ausbruch führen. Da die Lippenbläschen auch gerne bei fieberhaften Infektionskrankheiten auftreten, wird manchmal auch von Fieberbläschen gesprochen. Im Laufe der Zeit identifizieren die meisten der Betroffenen ihre individuellen Auslösefaktoren und versuchen, sie zu vermeiden oder auf die ersten aufflackernden Symptome mit entsprechenden Medikamenten möglichst schnell zu reagieren.

Typischer Verlauf Herpes labialis zeigt einen charakteristischen Verlauf, wobei Dauer und Schweregrad individuell unterschiedlich sind. Eine Episode dauert unbehandelt etwa sieben bis zwölf Tage und untergliedert sich in sieben Phasen:

  • Prodromalphase: Ein Rezidiv kündigt sich in der Regel mit einem Spannungsgefühl, Kribbeln und Jucken an.
  • Erythemphase: Die Lippenhaut ist sehr empfindlich, gerötet, aber noch völlig intakt.
  • Papelphase: Nach etwa 24 Stunden blühen schmerzhafte Bläschen (Papeln) auf, die in Gruppen angeordnet sind.
  • Vesikelphase: Anschließend füllen sich die Bläschen (Vesikel) mit hoch infektiöser Flüssigkeit und schwellen an.
  • Ulzerationsphase: Wenig später platzen sie auf und verschmelzen. Die dadurch entstehenden nässenden Wunden können sehr schmerzhaft sein und stellen aufgrund der freigesetzten Viren eine Infektionsquelle dar.
  • Verkrustungsphase: In den folgenden sechs Tagen trocknen die Bläschen ein, was von starkem Juckreiz begleitet sein kann.
  • Abheilungsphase: Erst wenn sich die Krusten ablösen, lassen Rötungen und Schwellungen nach und die Läsionen heilen in der Regel ohne Narbenbildung ab. Zugleich ziehen sich die Viren wieder in die Ganglien zurück.

Rasch reagieren Die Infektion verläuft selbstlimitierend, wobei das Virus aber nicht vernichtet wird. Dieses zieht sich vielmehr nach der erfolgten Reaktivierung wieder in die Ganglien zurück, wo es auf die nächste Gelegenheit wartet, wieder aktiv zu werden. Mit antiviralen Topika (z. B. Aciclovir, Penciclovir, Melissenextrakt, Docosan-1-ol, Zinksulfat) lassen sich die Symptome lindern und der Krankheitsverlauf verkürzen, vorausgesetzt, sie werden beim ersten Spannungsgefühl aufgetragen. Eine vollständige Eliminierung der Viren ist aber auch medikamentös nicht möglich. Vielmehr unterbinden sie, je nach Wirkstoff, ein Eindringen der Viren in die Wirtszellen, reduzieren ihre Vermehrung oder fördern ein Abheilen der Läsionen.

Teebaumöl, das bei Lippenherpes als natürliche Option angepriesen wird, birgt ein hohes allergisches Potenzial und ist somit nicht empfehlenswert. Ebenso ist von Hausmitteln wie Zahnpasta, Heilerde oder alkoholischen Lösungen abzuraten. Ihre Wirkung ist wissenschaftlich nicht belegt. Zudem können sie die Haut zusätzlich austrocknen oder reizen und sich damit unter Umständen negativ auf den Heilungsverlauf auswirken. Vielmehr sollte die empfindliche Lippenhaut immer – auch prophylaktisch - gut gepflegt werden, am besten mit Lippenpflegestiften, die einen hohen Lichtschutzfilter aufweisen.

Grenzen der Selbstmedikation Die Bläschen an den Lippen sind zwar sehr unangenehm und kosmetisch störend, aber nicht gefährlich. Hellhörig sollte man aber werden, wenn mehr als sechs Episoden im Jahr auftreten oder die einzelnen Episoden sehr lang andauern. Diesen Patienten sollte ein Gang zum Arzt empfohlen werden. Ebenso wird unbedingt eine ärztliche Behandlung benötigt, wenn der Herpes über die Lippen hinausgeht und sich großflächig im Gesicht oder am Hals ausdehnt. Bei Neurodermitis- Patienten breiten sich die Herpesbläschen beispielsweise häufig auf der durch das Ekzem vorgeschädigten Haut aus und ziehen eine flächenhafte Hautinfektion (Ekzema herpeticatum) nach sich. Längere und komplikationsreiche Verläufe sind auch bei Personen mit einem extrem geschwächten Immunsystem möglich (z. B. HIV-Erkrankte, Patienten unter Chemotherapie, multimorbide ältere Patienten).

Nicht nur bakterielle Superinfektionen mit Staphylokokkenoder Streptokokken können sich entwickeln. Gefürchtet ist vor allem ein Befall der Gesichtsund Geruchsnerven, die eine Gesichtslähmung (Facialisparese) sowie Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhaut (Meningitis) hervorrufen können. Problematisch sind auch eine Augenbeteiligung mit daraus resultierender Einschränkung des Sehvermögens (Herpes corneae) oder ein Übergreifen auf die Lunge (HSV-Pneumonie).

Derartige schwerwiegende Verläufe gehen in der Regel mit einem schweren Krankheitsgefühl einher, das von Fieber, Abgeschlagenheit, starken Schmerzen oder Lymphknotenschwellungen begleitet wird. Zu den Risikogruppen zählen auch Schwangere, da der Lippenherpes auf die Genitalien übertragbar ist. Sie müssen das Virus sofort systemisch behandeln lassen, um eine lebensbedrohliche Infektion des Neugeborenen bei der Geburt zu verhindern. Ebenso sollten Stillende, Säuglinge und Kleinkinder immer einen Arzt aufsuchen.

Replikation der Viren hemmen Klassiker unter den rezeptfreien Herpesmitteln sind lokale Topika mit Aciclovir und Penciclovir, beides synthetische Analoga der Nukleinbase Guanin. Die Nukleosid-Analoga dringen in die infizierten Zellen ein und werden nach Umbau in die Triphosphatform als falscher Baustein in den viralen DNA-Strang eingebaut. Folge ist eine Hemmung der DNA-Polymerasen, wodurch der Abbruch der Virusreplikation eingeleitet wird. Damit verkürzen sie nachweislich den Krankheitsverlauf und lindern die Symptome. Vorteil der Nukleosid-Analoga ist, dass sie noch wirksam sind, wenn das Virus bereits in die Wirtszelle eingedrungen ist.

Andererseits sind sie jedoch nicht in der Lage, den Eintritt der Viren in die Wirtszelle zu verhindern. Daher sollten die Präparate möglichst gleich zu Beginn der Beschwerden - solange sich die Viren noch vermehren - regelmäßig (Aciclovir 5-mal täglich, alle drei bis vier Stunden, Penciclovir mindestens 6-mal täglich, alle zwei Stunden) aufgetragen werden. Je früher die Wirkstoffe zur Anwendung kommen, desto weniger Viren können sich bilden. Beide Nukleosid-Analoga sollen aber auch noch in der Bläschenphase effektiv sein, im Krustenstadium können sie nichts mehr bewirken.

Besonders gut lässt sich die Bläschenbildung mit einer Kombination aus antiviralem Aciclovir und entzündungshemmendes Hydrocortison unterbinden, da das Corticoid in die Entzündungsreaktion des Körpers eingreift, die bei der Virusreplikation durch das Absterben der befallenen Zellen ausgelöst wird. Penciclovir steht zudem als getönte Creme zur Verfügung, mit der die Läsionen an der Lippe unauffällig kaschiert werden können. Nachteil der Nukleosid-Analoga ist eine potenzielle Resistenzbildung. Zu beachten sind auch die Altersbeschränkungen. Während Aciclovir für jedes Lebensalter zur Verfügung steht, dürfen die Aciclovir-Hydrocortison- Kombination und Penciclovir erst bei Kindern ab zwölf Jahren zum Einsatz kommen.

Eine kausale Therapie gegen Herpesviren gibt es nicht. Es können aber Ausmaß und Dauer der Beschwerden gelindert sowie Komplikationen vermieden werden.


Viruseintritt unterbinden
Alternativen ohne Resistenzproblematik sind Präparate mit Melissenextrakt, Zinksulfat/ Zink-Heparin-Kombinationen sowie Docosan-1-ol. Über verschiedene Mechanismen verhindern sie ein Eindringen der Viren in die Wirtszellen. Daher ist es besonders wichtig, dass diese Topika gleich beim ersten Spannungsgefühl mehrmals täglich appliziert werden. Sind die Erreger erst einmal in die Zelle gelangt, können die Cremes nicht mehr effektiv helfen. Beim Melissenextrakt erschweren polymere glykosidische Phenolcarbonsäuren über eine Rezeptorblockade das Andocken der Viren an die Zellwand und damit den Viruseintritt. Vorteil des pflanzlichen Präparates ist seine Zulassung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie für Kinder ab einem Jahr.

Zinksulfat inaktiviert Herpesviren durch freigesetzte Zinkionen, sodass sie nicht mehr in die Wirtszelle gelangen. Ein Zusatz von Heparin soll den virustatischen Effekt steigern. Zudem wirkt Zinksulfat adstringierend und damit wundheilungsfördernd. Von Vorteil ist auch der UV-Schutz. Die Präparate sind bei Kindern ab sechs Jahren einsetzbar. Docosan-1-ol, ein langkettiger gesättigter aliphatischer Alkohol lagert sich in die Zellmembranen der Hautzellen ein, wodurch die Zellen widerstandsfähiger und für die Viren undurchdringlich werden. Das Präparat ist für die Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie für Kinder ab zwölf Jahren geeignet.

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