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Ein Wechsel bringt auch neue Möglichkeiten mit sich. © http://www.fotogestoeber.de / iStock / Getty Images Plus

Verschreibungspflicht ade

WAS PASSIERT BEI EINEM OTC-SWITCH?

Levonorgestrel hat es gemacht, Mometason-Nasenspray auch und Desloratadin steht kurz davor – gemeint ist der OTC-Switch. Die Wirkstoffe gibt es folglich (bald) nicht mehr auf Rezept, sondern so, over-the-counter. Wem nutzt das was und wie geht der Prozess eigentlich vonstatten?

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Ein Switch ist zu Deutsch ein Schalter: An – Aus oder eben Rx – OTC. Der Fachbegriff beschreibt die Entlassung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels aus der Rezeptpflicht. Ganz so einfach wie bei einem Lichtschalter ist das Prozedere allerdings nicht, mehr ein bürokratischer Marathon. Natürlich haben pharmazeutische Unternehmer ein Interesse daran, dass ihr Präparat künftig nicht mehr nur noch mit Verschreibung, sondern rezeptfrei in jeder Apotheke auf Nachfrage und Ausschluss von Kontraindikationen erhältlich ist. Es bietet die Möglichkeit, das Produkt neu auf dem Markt zu positionieren, anders beziehungsweise vielfältiger zu bewerben und unter Umständen den Absatz anzuheben. Davon können auch Apotheken profitieren. Letztlich diskutieren aber Politiker in regelmäßigen Abständen darüber, ob bestimmte Arzneistoffe aus der Rezeptpflicht entlassen werden sollten oder nicht. Ein Vorgehen, das nicht bei allen Beteiligten auf Zuspruch stößt.

Viele Akteure auf Bundesebene Neben dem Antragsteller – in der Regel ein Arzneimittelhersteller, aber auch Behörden beantragen ab und an einen Switch – spielen bei den Vorgängen folgende Akteure eine Rolle:

  • das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM),
  • der beim BfArM ansässige Sachverständigen-Ausschuss,
  • das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Absprache mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie,
  • der Bundesrat
  • und sein Gesundheitsausschuss.

Das BfArM hat die Rolle der zuständigen Bundesoberbehörde inne, prüft den Antrag auf Vollständigkeit und Sinnhaftigkeit und befördert ihn schließlich in Form einer wissenschaftlichen Stellungnahme auf die Tagesordnung des zuständigen Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht – schließlich zieht ein Switch immer eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) mit sich, auch wenn diese nicht beantragt wird. Formal handelt es sich um einen Antrag auf Verkaufsabgrenzung. Der Ausschuss tagt zweimal im Jahr, Antragsteller können jeweils zum 01. März und 15. September ihre Vorstellungen einreichen. Der Ausschuss gibt dabei lediglich eine Empfehlung ab, in der Regel wird dieser auch gefolgt. Das BMG kann aber auch ablehnen. Letztes Mal so geschehen 2014 beim anvisierten Switch der levonorgestrelhaltigen „Pille danach“. Stimmt das BMG jedoch zu, ist als letzte Hürde noch der Bundesrat mit seinem Gesundheitsausschuss zu nehmen. Reine Formsache könnte man meinen, 2004 jedoch lehnte auch der Bundesrat den OTC-Switch von Levonorgestrel ab (der Sachverständigenausschuss gab nämlich bereits 2003 die Empfehlung dazu ab, die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht zu entlassen). Die Länder schlagen durchaus auch mal inhaltliche Veränderungen vor. Stimmen sie zu, endet das Verfahren mit einer Publikation im Bundesgesetzblatt. Darauf folgt in der Regel die Änderung der AMVV einen Tag später. In der Zwischenzeit ist ungefähr ein halbes Jahr vergangen – wenn es gut läuft. Solche Verfahren scheitern auch oder verlaufen im Sand. Auch Tierarzneimittel durchlaufen auf Antrag dieses Verfahren, jedoch bespricht sich das BMG in diesem Fall mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

Überblick eines erfolgreichen OTC-Switches
Pharmazeutisches Unternehmen/Behörde

Antrag zu OTC-Switch

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Wissenschaftliche Stellungnahme

Sachverständigenausschuss

Empfehlung

Bundesministerium für Gesundheit (BMG)⇔Bundesministerium für Wirtschaft und Energie / Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Verordnungsentwurf

Bundesrat

Verkündung

Bundesgesetzblatt

Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV)

Unternehmer bemängeln Transparenz
Unberechenbar, intransparent, wirtschaftlich wenig attraktiv – die Kritik der Hersteller am derzeitigen Verfahren ist groß. Der Bundesverband für Arzneimittelhersteller (BAH) setzt sich daher für ein effizienteres und einfacheres Verfahren ein, bei dem die zuständigen Behörden früher mit dem Hersteller in Dialog treten. Zurzeit erfährt der Antragssteller beispielsweise nichts über den Inhalt des Bewertungsberichts, den das BfArM dem Sachverständigenausschuss vorlegt. Das Verfahren ist nunmehr knapp 52 Jahre alt, der Lobbyverband drängt daher auf eine Neuerung. Im Mai vergangenen Jahres mit juristischem Beistand. Das Ziel: ein vereinfachtes, produktbezogenes Verfahren ohne Beteiligung von Ministerien und Bundesrat, die Entscheidungskompetenz soll allein beim BfArM liegen, der Antragssteller nicht durch aufkommende Kosten benachteiligt werden, wenn durch ein arzneistoffbezogenes Verfahren – wie es aktuell der Fall ist – Generika-Hersteller „kostenlos“ von dem Switch profitieren. Das BfArM zeigte sich offen für Veränderungen, möchte jedoch bei wirkstoffbezogenen Switches bleiben. Konkrete Änderungen gibt es allerdings noch nicht. Grundsätzlich sei die Behörde jedoch auch für eine Vereinfachung des Verfahrens.

Die Switches der letzten 5 Jahre in Deutschland
2019 Diclofenac als Pflaster
         Levocetiricin
2018 Ibuprofen plus Coffein
2017 Aciclovir-Hydrocortison-Kombination gegen Lippenherpes
        Ibuprofen mit 6% als Pflaster
2016 Fluticason-Nasenspray
        Mometason-Nasenspray
        Racecadotril
2015 Levonorgestrel
        Ulipristal
        Esomeprazol
        Flurbiprofen
        Ketotifen zur Anwendung am Auge

Deutschland und die EU
Große Pharmaunternehmen agieren nicht nur auf nationaler, sondern häufig auf internationaler Ebene. Daher entscheiden sich einige auch für einen „zentralen Switch“, also die EU-weite Überführung in den OTC-Status. Ansonsten sind Switches Ländersache – man müsste den Wechsel in jedem europäischen Land einzeln beantragen – jedes Land hat dabei seine eigene Bürokratie. Für die EU-weite Alternative muss sich der Antragssteller an die EMA, die europäische Zulassungsbehörde, wenden. Das Thema wird dann im Europäischen Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) diskutiert und eine Empfehlung für die zuständige EU-Kommission formuliert, die in letzter Instanz eine Entscheidung darüber fällt, ob der Wirkstoff aus der Verschreibungspflicht entlassen wird. Dann wäre diese Entscheidung für ALLE EU-Staaten bindend. Sollte es zu einer positiven Entscheidung kommen, liegen die Vorteile für das Unternehmen auf der Hand – das Risiko ist aber größer als auf nationaler Ebene. Denn fällt die Entscheidung negativ aus, hat der Hersteller keine Möglichkeit mehr, den Switch auf nationaler Ebene zu beantragen. Da EU-Recht über nationalem Recht steht, dürfte die Entscheidung des BMG nämlich nicht anders ausfallen als die der EU-Kommission.

Rx-Switch – es geht auch anders herum
Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beim BfArM kann übrigens auch empfehlen, bestimmte Wirkstoffe unter die Verschreibungspflicht zu stellen. Zum Beispiel, wenn vermehrt Meldungen über unsachgemäßen Gebrauch oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgetreten sind oder ein entsprechender Antrag von Behördenseite eingeht. Man könnte auch von einem Re-Switch sprechen. Prominente Beispiele sind Metamizol, das aufgrund der zunehmenden Meldung schwerer Agranulozytosen in Deutschland Ende der 80er Jahre verschreibungspflichtig wurde – einige EU-Länder nahmen das Präparat sogar ganz aus dem Handel, zum Beispiel Schweden, Frankreich oder Griechenland – oder 2015 Chinin gegen nächtliche Wadenkrämpfe. Der Beschluss kann sich aber auch auf bestimmte Indikationen, Dosierungen oder Packungsgrößen begrenzen, aber auch auf Altersklassen wie Kinder oder Jugendliche. Oder erstmalig auch Senioren – so sprach sich der Ausschuss vor kurzem für die Verschreibungspflicht der Antihistaminika Doxylamin und Diphenhydramin für Senioren aus. Hier ist allerdings noch nichts entschieden.

Farina Haase,
Apothekerin/Online-Redaktion

Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/05/21/bah-forderung-bfarm-soll-allein-ueber-otc-switches-entscheiden/chapter:1 
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/09/19/wie-funktioniert-ein-otc-switch/chapter:1  https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/_node.html 
https://www.bah-bonn.de/de/unsere-themen/switch/ 
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/12/27/was-aendert-sich-fuer-apothekeninhaber-im-naechsten-jahr/chapter:2 
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2015/03/18/node-5509a078e0d39  https://www.pharmazeutische-zeitung.de/doxylamin-und-diphenhydramin-fuer-senioren-kuenftig-als-rx/   

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