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Was wäre die Welt ohne ...

… STRICKNADELN?

Wissen Sie noch, wer Ihnen das Stricken beigebracht hat? Eigentlich eine überflüssige Technik, könnte man denken. Hah! Das Gegenteil ist der Fall. Das Spiel mit den Maschen ersetzt eine Meditation und setzt jede Menge Glückshormone frei.

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Loretta Napoleoni ist eine ziemlich berühmte Ökonomin, eine politische Analystin und prominente Autorin. Sie hat zahlreiche Bücher geschrieben, vor allem über den weltweiten Terrorismus und dessen Finanzierung. Die gebürtige Römerin ist eine anerkannte Expertin und viel gebuchter Gast in politischen Talkshows. Jetzt ist ein neues Buch von ihr erschienen: „The Power of Knitting“, auf Deutsch „Die Macht der Maschen“. Und das handelt – vom Stricken.

Wie das? Napoleoni behauptet allen Ernstes, dass Stricken ihre geistige Gesundheit gerettet hat, vor allem als ihr Mann sie vor nicht allzu langer Zeit mit einem Berg voll Schulden einfach sitzen ließ. Sie erinnert sich daran, dass ihre Großmutter ihr bereits als Kind geduldig den Maschenanschlag, die richtige Haltung der Nadeln und das korrekte Abstricken rechter und linker Maschen erklärt hat. So lange, bis sie es konnte.

Und es nie wieder verlernt hat. Und ich erinnerte mich daran, dass ich in einer Zeit schweren Fahrwassers in meinem Leben meinem Hausarzt (der mir Psychopharmaka verschreiben wollte) erklärte, dass ich mich einfach in den Sessel setzen und stricken würde. Es beruhigt mich. Der Arzt schaute mich aufmerksam an und erzählte, dass man das in einem Medizinerkongress, den er kürzlich besucht hatte, auch schon behauptet hatte. Dass man ihn nötigte, zu den Stricknadeln zu greifen und es einmal selbst zu versuchen. „Ich habe dafür aber kein Talent“, sagte er betrübt und wirkte aufrichtig niedergeschlagen.

Bis heute hab ich mir nicht verziehen, dass ich ihm keine Hilfestellung gegeben hatte. Sehen Sie mal, wie egoistisch man in solchen Situationen ist. Stricken ist Yoga für den Geist, sagt Frau Napoleoni (wie geschaffen für unsportliche Leute wie mich). Wenn man strickt, verfliegen trübe Gedanken und die Seele kommt zur Ruhe, sagt sie. Selbst Neurowissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass Stricken eine beidhändige und koordinierte Ganzkörperleistung ist, also auf Deutsch: hält den Geist fit. Ältere Strickerinnen neigen deutlich weniger zu Demenz, das ist wissenschaftlich erwiesen.

Kleiner Tipp von mir: Wenn Sie mal wirklich gründlich über etwas nachdenken möchten, schnappen Sie sich Ihr Strickzeug und stricken irgendetwas, das sie gut können und schon hundertmal gemacht haben. Bei mir sind es Socken. Es ist ein Phänomen: Während Ihre Hände Masche um Masche fabrizieren, legen sich Ihre herumflitzenden Gedanken irgendwann genauso ordentlich nebeneinander wie die kleinen Schlingen auf der Nadel. Wenn Sie, um beim Strumpf zu bleiben, den Schaft stricken, stellen Sie das Grundgerüst Ihres Problems auf, bei der anschließenden Ferse muss man aufpassen, da lassen Sie mal Ihr Unterbewusstsein arbeiten und denken am besten gar nicht.

Wenn es dann immer rundherum und geradeaus geht, schwant Ihnen bestimmt schon ein Lösungsweg. Und wenn Sie die letzten paar Maschen der Bandspitze auf dem Nadelspiel haben, der Faden abgeschnitten, durchgezogen und vernäht wird, dann wissen Sie: Alles hat ein Ende, auch ein Strumpf mit kompliziertem Muster. Frau Napoleoni sagt: „Je mehr Hirnleistung wir auf das Stricken und andere Aktivitäten verwenden, umso weniger bleibt übrig, um sich seinen Sorgen hinzugeben.“ Ach, sie hat ja so Recht. Was wäre die Welt bloß ohne Stricknadeln? Sie sind bestimmt nicht die Lösung für jedes Problem, aber doch schon mal ein Anfang. Und schön warm machen sie auch.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2022 auf Seite 122.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

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