Frau erhält Stirnguss© Jupiterimages / iStock / Getty Images

Ayurveda

SHIRODHARA

Der Stirnguss ist das Sinnbild des Ayurveda. Bereits das Betrachten eines Fotos des Stirngusses hat schon eine beruhigende Wirkung auf uns. Doch wann wird dieser ölige Stirnguss eigentlich angewendet? Für wen ist er geeignet und was soll er bewirken?

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Dieser ölige Kopf- oder Stirnguss ist wohl eine der bekanntesten Anwendungen aus dem Ayurveda. Hierbei wird erwärmtes Kräuteröl in definierten Bahnen über die Stirn gelenkt. Obwohl diese Anwendung auch häufig im Wellnessbereich zu finden ist, sollte ihre starke therapeutische Wirkung nicht unterschätzt werden. Im Ayurveda gehört sie zu den ölenden, schweißtreibenden, nährenden und besänftigenden Therapien.

Ablauf Da diese Behandlung den Blutdruck senkt, sollte vorher eine eher kräftige aktivierende Abhyanga (Ganzkörperölmassage) durchgeführt werden. Auf diese Weise wird der Kreislauf noch einmal angeregt, um durch die Entspannung des Ölgusses nicht zu sehr zu sinken. Ist dies aus irgendeinem Grund nicht möglich, sollte zumindest vorbereitend eine Kopfmassage durchgeführt werden. Der Patient liegt beim Guss auf dem Rücken. Aus einem hängenden Gefäß (= Dhara) mit Öffnung wird das Öl kontinuierlich über die Stirn gegossen. Der Kopf ist so ausgerichtet, dass die Stirn etwas nach hinten geneigt ist.

Zusätzlich werden die Augen noch durch Watte und einen Stoffstreifen geschützt, sodass kein Öl bei der Behandlung in die Augen gelangen kann. Es fließt vielmehr in Richtung Scheitel ab und wird von einem Gefäß wieder aufgefangen. Die Flüssigkeit wird erneut erwärmt und das Gefäß wieder aufgefüllt. Außerdem sollten die Ohren mit warmer, in Öl getränkter Watte geschützt werden, da der Patient während der Behandlung sehr geräuschempfindlich ist. Der Therapeut benötigt dabei eine ruhige Hand, denn jede kleine Bewegung wirkt sich sehr stark auf den Ölfluss aus.

Dauer Insgesamt sollte die erste Behandlung circa 35 Minuten andauern. Sie kann dann jeden Tag um 5 Minuten gesteigert werden. Die Therapie kann je nach Befinden und Krankheitsbild sogar bis auf 90 Minuten erhöht werden. Die Anwendungsdauer als Kur variiert von 3 bis zu 14 Tagen. Bei Vata-Patienten empfiehlt sich eine tägliche Durchführung bestenfalls zwischen 16 und 18 Uhr, während bei Pitta-Beschwerden jeden zweiten Tag therapiert wird, auch gerne morgens zwischen 7 und 12 Uhr. Für die erste Behandlung werden insgesamt 1,5 Liter Öl benötigt, für jede weitere Behandlung benötigt man weitere 500 ml Öl. Das Öl darf nur für den einen Patienten verwendet werden und kann im Anschluss dem Kunden zur Ganzkörperölmassage mit nach Hause gegeben werden.

Indikationsgebiete Ein Shirodhara mit Öl kommt bei verschiedenen Krankheitsbildern zur Anwendung. Wir unterscheiden hier auch wieder die einzelnen Symptome, die Vata, Pitta oder Kapha geschuldet sind. Diese Art der Behandlung setzt man gerne bei Vata-Beschwerden, wie Erkrankungen des Nervensystems und verschiedenen psychischen Störungen ein. Vata-Überschuss kann sich auch auszeichnen durch chronische Kopfschmerzen, Gesichtslähmung, halbseitige Lähmung, Schlaflosigkeit, Depressionen, Verlust des Gehörs, Müdigkeit oder geistige Erschöpfung, gräulicher Belag auf der Zunge, Trockenheit von Gesicht und Kopfhaut. Auch ist der Stirnguss sehr wohltuend bei Symptomen wie ein Gefühl von Brennen in Kopf und Körper, Geschwüren oder entzündlichen Krankheiten im Kopfbereich, Rachenkatarrh, Bindehautentzündung, übermäßigem Schwitzen, Trübung des Sehvermögens, Blutkrankheiten, Blutungen, Gelbsucht, Herpes oder bei gelblichem Belag auf der Zunge.

Mehr als Wellness: Der Stirnguss hat starke therapeutische Wirkung.

Ebenso bei Kapha-Beschwerden wie Körperschwere, zu viel Schlaf, Magenverstimmungen, Fettsucht, schwache Verdauung sowie weißer Belag auf der Zunge. Je nachdem welches der drei Doshas besänftigt werden soll, wird sogar die Höhe des Ölstrahles variiert. Bei Kapha-Patienten befindet sich das Gefäß am höchsten (9 -10 cm), bei Pitta mittelhoch (8 cm) und bei Vata eher niedrig (6 -7 cm). Auch die Temperatur des Öls wird angepasst. Bei Pitta maximal 38 Grad, bei Vata und Kapha maximal 39 Grad. Bei dem Öl handelt es meist um Sesamöl. Bei Pitta-Typen wird auch gerne eine Mischung aus Sesamöl mit Ghee (geklärter Butter) verwendet oder Sonnenblumenöl, welches eher kühlende Eigenschaften besitzt.

Es gibt, wie so oft im Ayurveda, wieder viele Möglichkeiten ganz individuell auf den einzelnen Menschen und seine Bedürfnisse zu reagieren. Im Prinzip ist die Behandlung für jeden geeignet - bis auf einige Kontraindikationen: Der Stirnguss sollte nicht angewendet werden, wenn jemand unter niedrigem Blutdruck oder schwachem Kreislauf leidet oder bei zu viel Schleimansammlung im Kopfbereich. Auch während der Menstruation ist er nicht indiziert. Außerdem findet keine Anwendung am Vollmondtag statt.

Wirkung Die Behandlung hat den Effekt einer absoluten Tiefenentspannung, fördert unsere Intuition, kräftigt Körper und Geist und weckt unser kognitives Bewusstsein. Sie macht uns empfindsamer. Es können sehr tiefe Gefühle ans Licht kommen, manche Menschen müssen auf einmal lachen, manche weinen, es können Bilder auftauchen, die uns etwas sagen möchten. Ein Shirodhara bringt hervor, was „raus“ will. In jedem Fall jedoch stellt sich danach meist ein Gefühl des Neugeborensein ein. Es ist wie Balsam für unser Nervensystem. Da das gesamte System sehr entspannt und heruntergefahren wird, ist es empfehlenswert, sich danach den restlichen Tag absolute Ruhe zu gönnen. Selbst die Augen sollten geschont werden, das heißt weder Computer oder Handynutzung, noch sollte ein Buch gelesen werden. Absolutes „Dolce far niente“ sollte praktiziert werden, das „süße Nichtstun!“

Fazit Wir können mit der Anwendung eines Shirodharas eine wohltuende Entspannung erfahren oder auch ein sehr breit gefächertes Anwendungsgebiet bedienen. Ayurveda gibt uns damit ein sehr schönes Werkzeug an die Hand, eine tiefgehende Erfahrung zu erleben. Und obwohl die Anwendung erst einmal von außen betrachtet gleich erscheint, wird es jeder Mensch auf seine Art wahrnehmen. Es spielen eben immer viele Dinge eine Rolle, denn auch ein Stirnguss kann bei ein und demselben Menschen zu einem anderen Zeitpunkt wieder anders wirken. Es zeigt sich eben immer das, was gerade dran und wichtig ist. So gilt es wie bei allem, immer wieder offen zu sein und unvoreingenommen sich darauf einzulassen in dem Vertrauen, dass das Universum genau das für uns bereithält, was wir gerade brauchen.

Sei es einfach nur Entspannung, die Verarbeitung von etwas, das Loslassen oder das Fühlen einer bestimmten Emotion. Der Kopf wird einfach mal wieder frei. Das Öl auf dem Kopf beruhigt enorm und schafft es irgendwie mit jedem Ölstrahl die Gedanken mehr und mehr wegzuwischen. Wer jetzt neugierig geworden ist und gerne einen Stirnguss am eigenen Leib erleben möchte, dem empfehle ich, sich einen qualifizierten Therapeuten in seiner Nähe zu suchen. Eine Auflistung finden Sie zum Beispiel online beim Verband europäischer Ayurveda-Therapeuten (VEAT). Die Vedawelt in Koblenz steht Ihnen natürlich auch jederzeit offen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/2021 ab Seite 140.

Stefanie Berhausen, Apothekerin, Ayurveda-Gesundheitsberaterin, Meditations- und Yogalehrerin, www.vedawelt.de

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