Nicht nur im Urlaubsdomizil sollte man sich vor Keimen in Acht nehmen, sondern auch bereits am heimischen Flughafen. © Ralf Geithe / iStock / Getty Images Plus

Interview

WENN JEMAND EINE REISE TUT… – SOLLT‘ ER SICH VOR KEIMEN HÜTEN

Zu Lebenszeiten von Matthias Claudius (1740-1815) reiste man noch mit der Kutsche oder dem Segelschiff. Heute steigt man ins Flugzeug und ist Stunden später in einem fernen Land. Was man dabei beachtet sollte, um sich keine – fremden – Keime einzufangen, weiß Prof. Jelinek vom Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin.

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Der Interviewpartner: Andere Länder, andere Sitten – andere Keime: Wovor muss ich mich auf meiner Reise – ganz gleich in welches Land – besonders in Acht nehmen?

Prof. Dr. Thomas Jelinek: Fernziele werden quasi überall angesteuert. Aber das Hauptreiseziel der Deutschen ist immer noch Deutschland. Was mich allerdings beunruhigt, ist, dass wir generell einen Zuwachs an multiresistenten Keimen beobachten. Dazu gehören auch ESBL-Keime, die über das Essen oder Eitererreger, die über die Haut in den Körper gelangen. So kann ein Impfschutz beispielsweise gegen Hepatitis A vor einer Fernreise schon sinnvoll sein. Hautkeime lassen sich dagegen ideal durch einfache Desinfektion bekämpfen. Und mit geeigneten Produkten lässt sich das Risiko, an solchen Keimen zu erkranken, deutlich reduzieren. Deshalb findet man überall Desinfektionsmittelspender – nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch auf Kreuzfahrtschiffen. Hier halten sich stets viele Menschen auf engem Raum auf – und die Verbreitung von Noro-Viren ist dann keine Seltenheit.

Welche Produkte sollten Apothekenkunden auf jeden Fall in ihrer Reiseapotheke mit sich führen?

Wir empfehlen jedem, der auf Reisen geht, Wunddesinfektionsmittel mitzunehmen. Das gilt auch für Reiseziele in Deutschland. Denn auch ein harmloser Kratzer kann sich infizieren. Zur Wunddesinfektion empfehlen wir Produkte, die beim Aufragen nicht brennen. In den letzten Jahren raten wir unseren Kunden aber auch mehr und mehr dazu, Handdesinfektionsmittel mit auf die Reise zu nehmen. Und je nachdem, wo sich der Reisende überwiegend aufhalten wird und wie es um seine individuelle Gesundheit steht – wenn er zum Beispiel besonders infektanfällig ist –, können auch Produkte zur Flächendesinfektion sinnvoll sein.

Was sollte neben dem Essen, Trinkwasser und hinsichtlich der Hygiene beim Reisen noch beachtet werden?

Wichtig in einigen Ländern ist vor allem der Mückenschutz, um Krankheiten wie Dengue oder Malaria vorzubeugen.

Wo sehen Sie die Grenzen für ein klassisches Desinfektionsmittel?

Produkte zur Desinfektion schützen nicht vor sexuellen Krankheiten. Diese breiten sich derzeit stark aus. Diesbezüglich ist es besser, vorsorglich Kondome in den Koffer zu packen.

Ist Ihrer Meinung nach eine Flächendesinfektion, z. B. des Zimmertelefons oder der Fernbedienung – ratsam oder schlichtweg übertrieben?

Ich persönlich halte das für übertrieben. Studien haben gezeigt, dass die meisten Keime von Mensch zu Mensch übertragen werden – also im täglichen Gebrauch z. B. von Geld. Es hängt natürlich vom Hotel ab. Aber unter Umständen kann es sinnvoll sein, vor allem Türklinken, die von vielen Menschen angefasst werden, entsprechend zu desinfizieren.

Sollte man das Desinfektionsprodukt bereits im Handgepäck mitführen?

Tatsächlich kann man im Flieger auf zahlreiche Krankheitserreger treffen - selbst auf solche, die Reisende Tage zuvor hinterlassen haben. So wurden im Rahmen einer Studie auf fast 70 Prozent der Sitztaschen Grippeviren gefunden; einige haben dort drei Tage lang überlebt. Eine andere Untersuchung ergab, dass EHEC-Keime, die Durchfälle verursachen können, vier Tage auf Armlehnen und drei Tage auf Klapptischen überdauern. Antibiotika-resistente Staphylokokken hafteten bis zu acht Tage lang an verschiedenen Stellen im Flugzeug.

Ich würde es vielleicht nicht jedem empfehlen, aber für jemanden, der infektionsgefährdet ist, ist es durchaus sinnvoll, im Flieger zum Beispiel die Lehnen und den Klapptisch mit einem Desinfektionstuch zu reinigen. Ansonsten gilt für alle der Rat, beim Einsteigen ins Flugzeug – bzw. schon beim Boarding – nach Möglichkeit Abstand und Ruhe zu bewahren und die allgemeinen Hygieneregeln zu beachten: Das heißt, die Hände von der Umgebung ebenso wie vom eigenen Gesicht fernhalten und im Rahmen der Möglichkeiten immer mal wieder reinigen.

Wer ein Desinfektionsmittel mit ins Flugzeug nehmen möchte, muss allerdings die Richtlinien das Mitführen von für Flüssigkeiten im Handgepäck beachten – also nicht mehr als 100 ml. Ebenso geeignet sind einzelverpackte Händedesinfektionstücher.

Manche Hersteller bieten sogar ganze Desinfektions-Sets an. Ist das sinnvoll oder ist ein Produkt ausreichend?

Ein ganzes Set deckt alle Eventualitäten ab. Wie schon erwähnt, kann dies besonders hilfreich für jemanden sein, der eine Abwehrschwäche hat.

Über welche Eigenschaften sollten Desinfektionsprodukte verfügen, damit sich Apothekenkunden im Urlaub sicher fühlen?

Diese Produkte sollten ein möglichst breites Spektrum an Erregern und Viren abdecken. Wichtig bei der Auswahl von Hautdesinfektionsmitteln ist vor allem die Verträglichkeit und Hautfreundlichkeit.

Haben Sie den Eindruck, dass Apotheker oder PTA ihre Kunden bei der Beratung zum Thema Reiseapotheke ausreichend über diese Eigenschaften und entsprechenden Produkte informieren?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber unser Institut bietet regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Reise an und ich sehe, dass diese stets gut besucht sind. Das Interesse seitens der Apothekenmitarbeiter scheint auf diesem Gebiet also sehr hoch zu sein.

Welche Tipps haben Sie darüber hinaus noch für Reisende, um Krankheiten vorzubeugen?

Man sollte sich möglichst vier bis sechs Wochen vor einer Reise ausführlich über erforderliche Impfungen und zum Thema Reiseapotheke informieren. Dazu muss man nicht extra zu uns nach Berlin kommen, wir haben deutschlandweit Reisepraxen, in denen man aktuelle Informationen erhält und welche sofort die empfohlenen Impfungen vornehmen können. Ansonsten muss allen Reisenden klar sein: Einen ABSOLUTEN Schutz gibt es nicht. Wir können nur empfehlen, das Risiko zu reduzieren.

Das Interview führte Susanne Fleischer

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