Früchte des Niembaumes.© Ninetechno / iStock / Getty Images

Niembaum

„HEILER ALLEN LEIDENS“

Vom tropischen Niembaum wird in seiner Heimat gesagt, er besäße ein derart umfassendes Wirkspektrum, dass er glatt eine Apotheke ersetzen könnte. Wir fühlen dem Nimba, wie er dort genannt wird, mal unter seine Blätter und Wurzeln …

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Seit über zweitausend Jahren wird dieser Baum in seiner ursprünglichen Heimat Myanmar, dem ehemaligen Birma, und Indien als Heilpflanze genutzt. Und zwar sowohl für Menschen als auch für Tiere und Pflanzen. Denn alle seine Teile kommen allen lebenden Wesen zu Gute. Nicht von ungefähr wird der Niembaum als heilig verehrt, in Tempelanlagen gepflanzt und in religiösen Zeremonien gefeiert.

Ein Geschenk des Himmels In altindischen Sanskrit-Schriften wird der Niem als ein Geschenk des Himmels bezeichnet. In ihm wohnt die Gesundheitsgöttin Sîtalâ, weshalb in ihm eine außergewöhnliche Heilkraft schlummert. Auch Mahatma Ghandi stärkte seine Gesundheit mit dem Medizinbaum und empfahl seinen Anhängern dessen regelmäßige Anwendung.

Die Mischung macht‘sDas Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – so ist es auch beim Niembaum der Fall. Denn er enthält ein Gemisch aus zahlreichen Wirkstoffen, die sich gegenseitig in ihren Effekten ergänzen und verstärken. Inzwischen wurden über vierzig Inhaltsstoffe identifiziert und untersucht. Als wichtigste gelten das Antioxidans Quercetin sowie die Limonoide Azadirachtin, Nimbin und Nimbidin.

Diese sekundären Pflanzenstoffe entfalten antimikrobielle Wirkungen – damit können sie Viren, Bakterien und Pilze hemmen. Wissenschaftler schätzen allerdings, dass der Baum noch weit mehr als hundert weitere verschiedene Wirkstoffe zu bieten hat, die abhängig vom jeweiligen Pflanzenteil in unterschiedlichen Kombinationen vorliegen. Es gibt also noch einiges an Forschungsarbeit.

Botanische Eckdaten

Der zu den Mahagonigewächsen zählende immergrüne Baum wächst extrem schnell: Nach knapp einem Jahr ist er drei bis vier Meter hoch. So geht es hurtig weiter. Der Niem kann bis zu dreißig Meter hoch werden und seine Krone bis zu zwanzig Meter weit ausladen. Nach der Blütezeit bilden sich kleine Früchte, die geerntet werden, wenn sie weich und gelblich sind. Sie und ihre Samen finden ebenso wie die Rinde und Blätter medizinische Anwendung.

Beachtliches Portfolio Dank des synergistischen Zusammenspiels seiner Inhaltsstoffe kann der Niembaum mit einem so großen, nahezu legendären Spektrum an Wirkungen aufwarten. Dies offenbart unter anderem die lange Liste der Einsatzgebiete von Niem in der traditionellen indischen Volksheilkunde, dem Ayurveda. Alle Beschwerden aufzuführen, bei denen diese faszinierende Pflanze eingesetzt wird, würde hier den Rahmen sprengen. Als Haupteffekte werden antiseptische, antimikrobielle, blutreinigende und entgiftende, entzündungshemmende und immunstimulierende Wirkungen genannt.

Mittlerweile haben viele Untersuchungen das alte Wissen über die antimikrobiellen Wirkungen von Niem bestätigt. Besonders effektiv ist er gegen Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae und Salmonella typhosa. Kürzliche Forschungen haben dem Baum gute Wirkungen gegen weitere 14 Bakterienstämme bescheinigt. So erstaunt es nicht, dass er traditionell bei vielen bakteriellen und viralen Infektionen, vor allem auch bei Malaria angewendet wird.

Die stark desinfizierenden, antiseptischen Eigenschaften kommen auch als Räuchermittel zum Einsatz: in medizinischen Räumlichkeiten ebenso wie bei religiösen Zeremonien. Besonders die Niemblätter gelten als ein hervorragendes Immunstimulans. Denn eine ganze Reihe ihrer Inhaltsstoffe erhöhen die Produktion von Leukozyten, Gamma-Interferon und Lymphozyten. Dies soll die körpereigenen Abwehrkräfte nachhaltig stärken und die Immunzellen bei einem Angriff auf das Immunsystem aktivieren.

Auf das Verdauungssystem hat Niem als Bittertonikum eine anregende und reinigende Wirkung. Die Blätter stimulieren die Leberfunktionen. Die Wurzel wird daher bei Übelkeit, Erbrechen, Wurmerkrankungen und Leberbeschwerden eingesetzt. Die Früchte finden auch Anwendung bei Verstopfung. Die Rinde und Blätter des Baumes gelten in seiner Heimat als eines der besten entzündungshemmenden, desinfizierenden, heilungsfördernden und juckreizstillenden Mittel bei Hautkrankheiten.

Zahnpasta vom Baum

Blätter und Rinde des tropischen Baumes werden in seiner Heimat zum Teil bis heute zur Zahn- und Mundreinigung benutzt – und zwar pur. Angesichts der antimikrobiellen und keimtötenden Wirkungen bestens nachvollziehbar. Weniger rustikal, also pharmazeutisch aufbereitet, wandern Extrakte aus Niem inzwischen auch in Zahnpasten aus unseren Breiten.

So soll der entzündungshemmende Effekt von Nimbin und Nimbidin mit dem von Cortison vergleichbar sein. Kompressen und Umschläge mit diesen Pflanzenteilen kommen beispielsweise bei Hautentzündungen, schlecht heilenden Wunden und Geschwüren zur Anwendung. Auch bei Pilzinfektionen der Haut wird Niem eine gute therapeutische Wirkung nachgesagt. Die Rinde des Baumes ist seit alters her ein hoch geschätztes Fiebermittel. Sie wird etwa bei Malaria, meist in Kombination mit schwarzem Pfeffer, zum Senken des Fiebers genutzt.

Bei Gelenk- und Muskelschmerzen soll Niem entzündungshemmend wirken. Er wird daher bei Rheumatismus und Arthritis angewendet. Auf die Atemwege hat die Pflanze eine auswurffördernde, schleimreduzierende Wirkung. Niem gilt daher als hilfreiches Mittel bei chronischem Husten. Inzwischen hat der Niembaum auch das Interesse der Tumorforschung geweckt. Im Fokus stehen dabei die Inhaltsstoffe Azadirachtin und die Gruppe der Nimbolide. Denn Untersuchungen zeigten, dass sie Einfluss auf die Vermehrung entarteter Zellen nehmen können.

Diese Fähigkeit macht sie zu potenziellen Mitstreitern im Kampf gegen Krebs. Wir dürfen gespannt sein, was sich in den kommenden Jahren hier so tut. Bereits jetzt existieren unter anderem in Japan angemeldete Patente von Präparaten mit Niemextrakten, die sich in ersten Studien als sehr wirksam gegen verschiedene bösartige Tumorerkrankungen erwiesen haben, ganz besonders bei Hautkrebs.

Bei einer zu hohen Dosierung kann es allerdings zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Zudem sollte Niem nur unter therapeutischer Aufsicht genutzt werden, wenn ein Kinderwunsch besteht. Denn er kann spermizid wirken, da seine Inhaltsstoffe die Beweglichkeit der Spermien einschränken.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 100.

Birgit Frohn, Diplombiologin und Medizinjournalistin

×