Eine Hand holt ein Medikament aus dem Apothekenschrank.
Bevor Sie potenziell süchtig machende Medikamente herausgeben, sollten Sie auf bestimmte Dinge achten. © MJ_Prototype / iStock / Getty Images Plus

Arzneimittelmissbrauch | Jugend

DROGEN AUS DER APOTHEKE

Nach Angaben der ABDA, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, steht die Arzneimittelabhängigkeit mit mehr als zwei Millionen abhängigen Menschen bundesweit auf Platz zwei der Süchte – nach Tabak, aber vor Alkohol. Besonders Jugendliche sind anfällig für die „Legal Highs“.

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Jugenddroge Nummer eins? Cannabis. Doch mit den Jahren entpuppen sich vermehrt Arzneimittel als potenzielle Drogen – vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene. Rapper wie Capital Bra und Samra thematisieren das Schmerzmedikament Tilidin in ihren Songs: „Gib mir Tilidin, ja, ich könnte was gebrauchen“ oder „Ich fahr‘ RS6, Tilidin schmeckt.“

„Gerade in der Hip-Hop-Szene – unter anderem auch durch Bekanntwerden von prominenten Betroffenen – verbreitet sich die Substanz zurzeit“, warnt Maurice Cabanis, Leitender Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten am Klinikum Stuttgart.

Der Wirkstoff Tilidin ist ein Opioid, somit hat er eine stark schmerzlindernde (analgetische) Wirkung. Unter der Anwendung des Schmerzmittels kann es unter anderem zu Nebenwirkungen kommen, die das Nervensystem betreffen: Schwindel, Blutdruckabfälle, Benommenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Nervosität und gelegentlich Halluzinationen und euphorische Stimmung. Tilidin ist ein synthetisch hergestellter Wirkstoff, der potenziell abhängig machen kann. Um einen Missbrauch des Arzneimittels aufgrund dessen Nebenwirkungen zu vermeiden, wird Tilidin meist mit Naloxon kombiniert.

Laut Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ist die Entwicklung um Tilidin besorgniserregend. Besonders seit der Wirkstoff in Songs verherrlicht wird. „Jugendliche neigen zur Identifikation mit ihren Idolen, imitieren das Verhalten. Das ist aus suchtpräventiver Sicht hochproblematisch.“

Wie Tilidin ist auch Codein in der US-amerikanischen Rapszene schon seit Jahrzehnten präsent. Gemischt mit Sprite und zerkrümelten Bonbons wird das Getränk auch „Purple Drank“ oder „Sizzurp“ genannt.

Codein ist ein mit Morphin verwandter Hustenstiller (Antitussivum). Er wird hauptsächlich bei trockenem Reizhusten verschrieben, denn der Wirkstoff dämpft den Hustenreflex, indem er das Hustenzentrum im Stammhirn hemmt. In Kombination mit Paracetamol wird Codein auch als Schmerzmittel eingesetzt. Bei zu hohen Dosierungen können Symptome einer Opiatvergiftung entstehen. Dazu gehören Euphorie oder vermehrte Schläfrigkeit, ein nachlassender Atemantrieb (Atemdepression), Blutdruckabfall, Störungen willkürlicher Bewegungsabläufe (Ataxie) und Muskelkrämpfe. Die Mischung von Codein mit Alkohol kann die Symptome sogar noch verstärken.

Codein wirkt außerdem sedierend, was große Gefahren mit sich bringt. Normalerweise entsteht bei einer Atemdepression ein Schmerzreflex, der die Atmung wieder stimuliert. Da die Schmerzrezeptoren durch das Opiat belegt sind und beeinflusst werden, kann es sein, dass es nicht zu einer Stimulation, sondern bei Überdosis zu einem Atemstillstand kommt.

Der Entzug von Opiaten und Opioiden ist je nach Konsummenge quälend, verbunden mit starken Muskelschmerzen, Erbrechen, Unwohlsein, Zittern und Schwitzen.

Wahrscheinlich besorgen sich Jugendliche die legalen „High-Macher“ auf dem Schwarzmarkt, dennoch sollten Sie als PTA die Augen und Ohren offen halten. Um einen Medikamentenmissbrauch zu erkennen, sind kommunikative Fähigkeiten und Aufmerksamkeit gefragt. Fünf Tipps wie Sie vorgehen können:

  1. Suchtpotenzial haben Benzodiazepine, Opiate und nichtopioide Analgetika, Sedativa, Tranquilizer und Stimulanzien. Bei diesen sollten Sie besonders aufmerksam sein. Arzneimittel, bei denen zwar keine Abhängigkeitsgefahr besteht, die aber trotzdem häufig missbräuchlich eingenommen werden, sind beispielsweise Schilddrüsen- oder Wachstumshormone und Abführmittel.
  2. Häufige Apothekenbesuche, große gewünschte Medikamentenmengen, Dosierungssteigerungen, Rezepte von verschiedenen Ärzten oder Verschreibungen auf Privatrezepten können Hinweise für eine Abhängigkeit sein. Auch Rezeptfälschung oder -verlust können Indizien sein.
  3. Informieren Sie bei Verdacht Ihren Vorgesetzten, damit weitere Schritte eingeleitet werden können, um den möglichen Missbrauch abzuwehren.
  4. Sprechen Sie Ihren Kunden behutsam an – die Medikamentenabgabe zu verweigern bringt oft nichts. Bieten Sie beispielsweise ein Beratungsgespräch über die Missbrauchsgefahr an und geben Sie das gewünschte Arzneimittel nur in geringer Menge heraus. Oder weisen Sie auf Suchtberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen hin.
  5. Präventiv können Sie auch Aufklärungsarbeit leisten: Informieren Sie Ihre Kunden über potenziell süchtig machende Medikamente. Vorträge in Schulen oder Seniorenheimen bieten sich ebenfalls an. Die ABDA stellt für die Vorträge Materialien zum freien Download auf ihrer Webseite zur Verfügung.

Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quellen:
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pta-live/medikamentensucht-fuenf-tipps-bei-arzneimittelmissbrauch/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/09/29/tilidin-als-droge
https://www.netdoktor.de/medikamente/tilidin/
https://www.netdoktor.de/medikamente/codein/
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/codein-hip-hop-und-hustensaft-arzneimittelmissbrauch/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/stammapotheke-kann-weiterhelfen/

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