Neugeborenes liegt auf seiner Mutter© AleMoraes244 / iStock / Getty Images Plus
Der direkte Hautkontakt mit der Mutter nach der Geburt sowie ausschließliches Stillen senkt die Sterberate von Frühchen.

WHO-Studie | Hautkontakt

KÄNGURU-METHODE RETTET FRÜHCHEN

Was Neonatologen hierzulande schon lange praktizieren lassen, erhält nun den offiziellen Positiv-Stempel der WHO: Die Känguru-Methode, die den sofortigen Hautkontakt der Mutter mit ihrem neugeborenen Kind sowie ausschließliches Stillen bedeutet, senkt die Sterberate von Frühgeborenen um ein Viertel.

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Ursprünglich wurde die Känguru-Methode einmal für ärmere Länder entwickelt, die nicht immer einen Inkubator für ihre Frühchen in der Klinik stehen hatten. Inzwischen wurde sie auch von reicheren Ländern entdeckt: Känguruing  fördert die emotionale Bindung von Mutter und Kind und erhöht vor allem die Stillrate.

Selbst unter der Prämisse, dass sie erst zum Einsatz kommt, wenn sich der Zustand des Neugeborenen stabilisiert hat, kann die Methode erfolgreich sein. Eine Metaanalyse attestierte ihr schon 2016 eine um 40 Prozent niedrigere Neugeborenen-Sterblichkeit. Die Vorteile wurden auf 
•    einen Rückgang der Infektionen, 
•    eine höhere ausschließliche Stillrate und 
•    eine bessere Gewichtszunahme 
der Neugeborenen zurückgeführt.
 

Sterblichkeit sinkt deutlich

Die Weltgesundheitsorganisation WHO untersuchte daraufhin in Schwerpunktkliniken in Ghana, Indien, Malawi, Nigeria und Tansania, ob Känguruing auch ohne vorherige Stabilisierung vorteilhaft ist. Insgesamt 3211 Säuglinge mit einem Geburtsgewicht zwischen 1 Kilogramm (kg) und 1,8 kg wurden auf zwei Gruppen randomisiert. In der einen wurden die Babys den Müttern zum „Kangaroo Mother Care“ (KMC) beinahe sofort übergeben, in der anderen Gruppe geschah dies erst nach Stabilisierung des Kindes (durchschnittlich nach 54 Stunden). Während der 6,4 Tage auf der Intensivstation dauerte der „normale“ tägliche Hautkontakt zwischen Mutter und Kind im Durchschnitt nur 1,5 Stunden gegenüber 16,9 Stunden in der KMC-Gruppe.

Das Ergebnis: Während der ersten 28 Tage starben in der sofortigen KMC-Gruppe 191 von 1609 Kindern (12 Prozent), während in der Kontrollgruppe 249 von 1602 Kindern (15,7 Prozent) nicht überlebten. Das sofortige Känguruing hatte demnach das Sterberisiko um 25 Prozent gesenkt und machte sich bereits in der Klinik bemerkbar: Rein rechnerisch wurde einem von 27 Frühgeborenen dadurch das Leben gerettet. Die KMC-Studiengruppe um Rajiv Bah (Genf) schätzt, dass die sofortige KMC das Potenzial hat, jedes Jahr 150 000 Frühgeborenen das Leben zu retten. 
 

Drei große Vorteile

Dabei war die Senkung der Mortalität auch auf einen Rückgang der vermuteten Sepsisfälle zurückzuführen. Der Hautkontakt mit der Mutter könnte die Entwicklung des Mikrobioms fördern, vermutet Bahl – und der Verzicht auf intensivmedizinische Behandlungen könnte das Infektionsrisiko ebenfalls senken. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass Känguruing eine Unterkühlung (Hypothermie) verhindert, die in der KMC-Gruppe nur bei 5,6 Prozent der Neugeborenen diagnostiziert wurde (8,3 Prozent in der Kontrollgruppe). Auch der frühzeitige Schutz durch die Muttermilch könnte eine Rolle gespielt haben – denn in der KMC-Gruppe wurden 58,5 Prozent der Neugeborenen gestillt, während es in der Kontrollgruppe nur 45,5 Prozent waren.

Känguruing bei Frühgeborenen könnte nach einer Schulung des Personals auch in abgelegenen Regionen der ärmeren Länder eingeführt werden. An vielen Kliniken müssten dazu allerdings neue Intensivstationen geschaffen werden, die es den Müttern ermöglichen, die ersten Tage mit ihrem Kind zu verbringen.

Quelle: Ärzteblatt

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