Zeichnung von Edward Jenner© GeorgiosArt / iStock / Getty Images Plus
Edward Jenner erfand die Impfung - oder zumindest den Begriff Vaccination.

Medizingeschichten

17. MAI 1749: EDWARD JENNER WIRD GEBOREN

Nach dem fünften Kind kam noch ein sechstes – am 17. Mai 1749 machten dann die Jenners Schluss mit der Familienplanung. Doch dieser jüngste Sohn des englischen Reverends, Edward, sollte einmal Medizingeschichte schreiben. Denn er wagte die erste Impfung.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Mit 14 Jahren ging er bereits bei einem Wundarzt in die Lehre, vervollkommnete danach seine medizinische Ausbildung in einem privaten Londoner Lehrinstitut. Edward Jenner zählte erst 23 Jahre, als er in seine Heimat Gloucestershire zurückkehrte und dort eine Praxis eröffnete.

Dort belauschte er ein Gespräch im Wartezimmer: „Ich brauche keine Variolation mehr, ich hatte schon die Kuhpocken“ sagte eine Magd zur anderen. Die Variolation, das war die nicht ganz ungefährliche, künstliche Infizierung mit den echten Pocken durch virulentes Material über eine Hautläsion. Ganz schön gefährlich war das: Sehr oft wurde die Krankheit dadurch noch begünstigt und eine epidemische Ausbreitung möglich. Die Pocken hatten es in sich. 30 Prozent der Infizierten starben, der Rest behielt sein Leben lang entstellende Narben zurück. Es gab kein Gegenmittel.

Verwandter Erreger

Edward Jenner hörte zu und zog seine Schlüsse: Anscheinend konnten die Mägde nicht mehr an den „Blattern“, wie die Pocken auch genannt wurden, erkranken, sie waren durch die für den Menschen ungefährlichen Kuhpocken immunisiert. Diese Erkenntnis setzte er in seiner neuen Methode der „Vaccination“ – von „vacca“, die Kuh – um. Der kleine James Phipps bekam über einen kleinen Hautschnitt etwas Borke einer verschorften Kuhpocke appliziert – und überlebte danach die Menschenpocken.

Heute undenkbar

Ein solcher Versuch - über ein Gerücht ohne genaue Kenntnis der physiologischen Vorgänge an einem Kind – das wäre heute zu Recht verboten. Denn man hatte damals noch keine Ahnung, wie eine Impfung überhaupt wirkte. Formulierte doch Louis Pasteur erst 1864 seine Keimtheorie und Robert Koch belegte 1876 die Existenz des Erregers für Milzbrand und Tuberkulose. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1867 gab es Reihenimpfungen gegen die Pocken, 1885 folgten Tollwut, 1896 Typhus.

Schutzlos ohne Impfungen

Hätte man es aber vorher gewusst: Wieviel Leid wäre der Menschheit erspart geblieben. Allein an der Pest (verursacht über das Bakterium Yersinia pestis) starben in verschiedenen Wellen an die 30 Prozent der damaligen Bevölkerung. Die spanische Grippe tötete unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg 70 Millionen Menschen (für die Entwicklung eines Impfstoffs fehlte die Infrastruktur); an der Cholera starben weltweit über eine Million, die letzten 10 000 in Deutschland übrigens 1892 in Hamburg.

Ohne Impfungen wären wir bestimmten Endemien und Pandemien sowie Infektionskrankheiten wie Diphterie und Wundstarrkrampf schutzlos ausgeliefert. Die wahrscheinlich größte globale Impfaktion findet zurzeit gegen COVID-19 statt, zeitgleich auf allen Kontinenten.

Milchmädchen-Mythos?

Die Geschichte über die beiden Mägde ist eine medizinische Legende, die so wahrscheinlich nicht stattgefunden hat. Sie wird in der Literatur als „Milchmädchen-Mythos“ bezeichnet. In Wirklichkeit war es wohl so: Zwei Kollegen hatten schon vorher mit den so genannten „Inoculationen“ begonnen; auch ihnen war natürlich die immunisierende Wirkung der Kuhpocken längst zu Ohren gekommen. Dem Briten John Fewster gebührt der Verdienst, dies vor der Ärztegesellschaft formuliert zu haben. Erst 13 Jahre nach Edward Jenners Tod erfindet sein Biograf die griffige Legende von den Stallmägden im Wartezimmer als verkaufsfördernde Geschichte für sein Buch. Jenner selbst hat nie behauptet, der erste Arzt zu sein, der eine Impfung vorgenommen hat – nur den Begriff der „Vaccination“ zu Ehren der Kuh, den hat wohl er erfunden.

×