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Politik

EINE FRAGE DER ZEIT

Die Zeit scheint reif, dass auch in Deutschland eine Entlassung der „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht erfolgt und wie in vielen anderen europäischen Staaten rezeptfrei in der Apotheke erhältlich ist.

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Seit Jahren wird hier zu Lande über die Rezeptpflicht der „Pille danach“ diskutiert. Ein aktueller Mehrländerantrag im Bundesrat befeuert nun die Entwicklung. Der Entschließungsantrag fordert die Bundesregierung auf, in dem Verordnungsentwurf zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung die Aufhebung der Verschreibungspflicht für den Wirkstoff Levonorgestrel in Zubereitungen zur oralen Anwendung in einer Konzentration bis zu 1,5 Milligramm je abgeteilter Arzneiform für die einmalige Einnahme zur Notfallkontrazeption innerhalb von zweiundsiebzig Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder im Fall des Versagens einer Kontrazeptionsmethode vorzusehen.

Darüber hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass es durch die Aufhebung der Verschreibungspflicht nicht zu Verschlechterungen bei der Kostenübernahme für eine Notfallkontrazeption mit diesem Wirkstoff durch die Krankenversicherung kommt.

Wirkung Die „Pille danach“ ist ein hormonelles Mittel zur Empfängnisverhütung, das nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr eine ungewollte Schwangerschaft verhindern kann . Sie ist nicht mit Abtreibung gleichzusetzen; die Einnahme kann nicht zu einem Abbruch einer bestehenden Schwangerschaft führen. Vielmehr handelt es sich um eine Prävention einer Schwangerschaft. Der genaue Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt. Man nimmt an, dass hochdosiertes Levonorgestrel die Ovulation verzögert oder die Nidation der so genannten Blastozyste in der Gebärmutter verhindert.

Das Levonorgestrel-haltige Notfallkontrazeptivum kam vor circa fünfzehn Jahren auf den Markt, hat rasch die bis dahin gebräuchliche Ethinylestradiol-Levonorgestrel-Kombination (Tetragynon®) abgelöst und gilt inzwischen als gut erprobt. Das Gestagen Levonorgestrel verhütet nicht nur Schwangerschaften zuverlässiger, sondern ist auch besser verträglich. Inzwischen wird Tetragynon® nicht mehr angeboten.

Hintergrund
Eine entsprechende Empfehlung des zuständigen Sachverständigen-Ausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte liegt seit langem vor. Inzwischen befürwortet auch der Bundesrat die Aufhebung der Verschreibungspflicht für den Wirkstoff Levonorgestrel zur Notfallkontrazeption, wenn vor der Abgabe des Arzneimittels eine Beratung in der Apotheke erfolgt. Noch steht die Regierungskoalition zur Rezeptpflicht für die „Pille danach“. Wie lange noch?

Wichtig für die sichere Wirkung der Levonorgestrel-haltigen „Pille danach“ ist die möglichst frühe Einnahme nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, spätestens innerhalb von drei Tagen.
Im Jahr 2009 kam zusätzlich Ulipristalazetat auf den Markt. Dieses Notfallkontrazeptivum kann bis zu fünf Tage nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eingenommen werden, quasi eine „Pille für noch länger danach“. Sein Verschreibungsstatus bleibt vom aktuellen Bundesratsvorstoß in Sachen „Pille danach“ unberührt.

Die „Pille danach“ ist in Deutschland anders als in den meisten anderen europäischen Ländern trotz der relativ guten Verträglichkeit nur auf Rezept erhältlich. Als Nebenwirkungen wurden Schwindel und Kopfschmerzen, Übelkeit Schmerzen im Unterbauch, Spannungsgefühl in der Brust, verspätete und stärkere Menstruation, Blutungen (Müdigkeit (sehr häufig) sowie Durchfall und Erbrechen (häufig) beobachtet.

Die Gegenanzeigen beschränken sich auf Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder den Hilfsstoffe (Lactose). Zu beachten ist, dass die Wirksamkeit bei gleichzeitiger Anwendung von Leberenzyminduktoren wie Johanniskraut, Antikonvulsiva, Antibiotika wie Rifampicin oder Antimykotika wie Griseofulvin vermindert sein kann.

Entscheidung fällig Die insgesamt positiven Erfahrungen mit der rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ in vielen Ländern, das gute Sicherheitsprofil des Wirkstoffs und die Entbehrlichkeit einer ärztlichen Untersuchung vor der Anwendung sind starke Argumente für die Entlassung hochdosierter Levonorgestrel-haltiger Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht. Deshalb empfahl der Sachverständigen-Ausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte bereits vor Jahren die Aufhebung der Verschreibungspflicht.

Auch die mit der Entlassung hochdosierter Levonorgestrel-haltiger Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht verbundene schnellere Einnahme − eine ärztliche, den betroffenen Frauen unangenehme und deshalb mitunter hinausgezögerte Untersuchung wäre nicht mehr erforderlich − spricht dafür. Denn umso früher die „Pille danach“ eingenommen wird, umso wirksamer ist sie.

In klinischen Studien ließen sich bei Einnahme innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach dem Geschlechtsverkehr 95 Prozent der erwarteten Schwangerschaften verhindert. Im Zeitfenster von vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden waren es noch 85 Prozent, bei Anwendung von achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden nur noch 58 Prozent.

Zudem stellte die Bundesregierung fest, dass besonders leichtfertige Verhütungspraktiken nicht zu erwarten seien, wenn Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht herausgenommen würden. Was also spricht noch gegen die Entlassung Levonorgestrel-haltiger Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht?

Unabhängig vom Verschreibungsstatus ist in jedem Fall eine qualifizierte und vertrauliche Beratung vor der Abgabe zwingend notwendig; sie muss auch im Notdienst und gegebenenfalls an der Notdienstklappe gewährleistet sein.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/13 ab Seite 50.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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