Halbfeste Zubereitungen wie dieses transparente Gel machen den größten Teil der Apothekenrezepturen aus. © enriscapes / iStock / Getty Images Plus

Labor

DIE SACHE MIT DER HALTBARKEIT VON REZEPTUREN

Ist Wasser enthalten? Oder ein Konservierungsmittel? Welche Grundlage wurde verwendet? Das sind alles Fragen, die man sich bei der Herstellung einer Rezeptur und schließlich Festlegung der Haltbarkeit stellen sollte. In vielen Fällen kann man einfach nachschlagen, doch so einfach ist die Entscheidung manchmal trotzdem nicht.

Seite 1/1 7 Minuten

Seite 1/1 7 Minuten

Rezepturen werden oft etwas stiefmütterlich behandelt. Zum Teil ist die Anfertigung (inklusive Bestellung und Prüfung der Ausgangsstoffe, Einhaltung der Hygienevorschriften, Plausibilitätsprüfung und Dokumentation – und alles im laufenden Betrieb) sehr zeitaufwendig, im Vergleich zur verhältnisweise geringen Vergütung. Retaxationen kommen ebenso wie bei Fertigarzneimitteln vor und regelmäßige Schulungen sollten in diesem Bereich ebenso stattfinden. Doch nimmt die Herstellung individuell angefertigter Rezepturen, wenn auch in der Alltagsroutine häufig nebenbei produziert, einen hohen Stellenwert in der Apotheke vor Ort ein. Denn theoretisch stellen zwar auch die großen Versandapotheken Rezepturen her, doch fielen diese in der Vergangenheit durch negative Testeinkäufe auf (Ablehnung der Herstellung beispielsweise aufgrund juristischer Abweichungen im europäischen Ausland).

Gerade bei dringenden Medikamenten für ihre Kinder, die in der benötigten Dosierung nicht als Fertigarzneimittel erhältlich sind, sind Ihnen Eltern für die Anfertigung dankbar. Aber auch bei seltenen Erkrankungen, speziellen Wirkstoffen oder dem bewussten Verzicht auf bestimmte Hilfsstoffe verordnen Ärzte weiterhin Rezepturen. Am häufigsten handelt es sich dabei um Dermatologen. Laut einer Umfrage einer Doktorarbeit handelt es sich hierbei zu 80 Prozent um NRF-Rezepturen – praktisch, denn hier sind Plausibilität, Herstellung, Packmittel und Haltbarkeit valide getestet, es kann alles nach „Kochbuch“ angefertigt werden. So weit so gut, doch was ist mit den restlichen 20 Prozent? Jeweils zehn Prozent fallen auf Magistralrezepturen (Rezepturen aus Erfahrung bewährt, Plausibilitätsprüfung muss allerdings erfolgen) und Individualrezepturen. Ein Leitfaden des NRF begleitet durch die Plausibilitätsprüfung und die Herstellung, doch manchmal ist es trotzdem knifflig.

Basics
Vor einigen Jahren genügte es noch, lediglich das Herstellungsdatum anzugeben. Heute muss der Kunde schriftlich aufgeklärt werden, wie lange er das Medikament verwenden darf. Da Rezepturarzneimittel in der Regel für den sofortigen Gebrauch gedacht sind, empfiehlt das DAC/NRF daher nur die Aufbrauchfrist („verwendbar bis…“) auf dem Etikett zu vermerken und den Kunden nicht mit der zusätzlichen Laufzeit zu verwirren. Anders sieht das bei Chronikern aus, sie bekommen zum Teil Rezepte im Voraus ausgestellt, sodass die Rezeptur unter Umständen erst später benutzt wird. In diesem Fall sollten Laufzeit und Aufbrauchfrist vermerkt werden. Das gilt auch für Defekturarzneimittel, die innerhalb der 100er-Regel vorab hergestellt wurden (zum Beispiel, wenn Ärzte aus der Umgebung häufig eine bestimmte Rezeptur verschreiben). Bei der Vorabherstellung sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass die Laufzeit lang genug ist, damit die Aufbrauchfrist zum Zeitpunkt des Abverkaufs innerhalb der Haltbarkeit liegt. Ebenfalls eine Ausnahme: Einzeldosenbehältnisse. Da diese nach Benutzung entsorgt werden, reicht die Angabe der Laufzeit.

Haltbarkeit ist Definitionssache; ein paar Begrifflichkeiten
Aufbrauchfrist: Haltbarkeit eines Arzneimittels nach Anbruch der Endverbraucherpackung. Achtung! Kann kürzer sein als die Laufzeit.
Haltbarkeitsdauer: Laufzeit; gilt, solange kein Anbruch vorliegt; auf der Packung mit Verfallsdatum angegeben. Danach darf das Arzneimittel nicht mehr angewendet werden.
Verwendbarkeitsfrist: Haltbarkeit nach Anbruch der Verpackung, unter vorgeschriebener Lagerung.
Verfallsdatum: Nach diesem Datum darf das Arzneimittel nicht mehr angewendet/eingenommen werden

Das Rezept liegt vor – und jetzt?
Muss eine Rezeptur angefertigt werden, erkennt das routinierte Apothekenpersonal zwar schnell, wie es in etwa herzustellen ist und wie viel Zeit das in Anspruch nehmen wird, aber nicht immer auf einen Blick, wie lange das fertige Arzneimittel haltbar ist. In diesem Fall lohnt es sich zu Arzneibuch und DRC/NRF zu greifen und etwas zu blättern. Alles zum Thema Haltbarkeit findet man im NRF unter I.4. Handelt es sich bei der vorliegenden Rezeptur und ein standardisiertes Rezepturarzneimittel (z.B. NRF-Vorschrift, Publikationen, Vorschriften pharmazeutischer Hersteller) – wunderbar, denn dann kann man sich auf valide, untersuchte Daten zur Stabilität und Haltbarkeit stützen. Ist dies nicht der Fall, eine Plausibilitätskontrolle führt aber zu dem Ergebnis, dass das Arzneimittel chemisch-physikalisch stabil sein wird, kann die Tabelle des NRF zur Einstufung helfen. Hier werden vor allem die Punkte Darreichungsform, Primärpackmittel, Risiken für Qualität und Arzneimittelsicherheit sowie mikrobiologische Anfälligkeit differenziert und dementsprechend eine Einstufung vorgeschlagen. Haben Sie mit einer Individualrezeptur zu tun, ist es also zwingend notwendig, alle Inhaltsstoffe genau unter die Lupe zu nehmen: Ist Wasser enthalten? Ist das Arzneimittel konserviert? Wofür soll das Arzneimittel angewendet werden? Wie ist der pH-Wert? Und vor allem: Welche Konsequenz hat das alles auf die Stabilität der Formulierung und dann letztlich der Haltbarkeit?

Die Sache mit dem Wasser
Kritisch wird es immer, wenn Wasser im Spiel ist: Cremes, Hydrogele oder wässrige Lösungen sind mikrobiell anfälliger als lipophile Darreichungsformen. Sind sie zudem unkonserviert und/oder besitzen keine eigene ausreichende antimikrobielle Eigenschaft, kann die Aufbrauchfrist schon einmal vier Wochen oder weniger betragen – notfalls muss das Arzneimittel stets frisch hergestellt werden. Oder, wenn das möglich ist, in der Zusammensetzung der Hilfsstoffe angepasst werden. Unkonservierte oder mikrobiell anfällige Rezepturen dürfen grundsätzlich nicht defekturmäßig hergestellt werden. Gleiches gilt für Rezepturen mit zweifelhafter Stabilität. Und dazu zählt nicht nur die mikrobielle Anfälligkeit, sondern auch die Stabilität des Wirkstoffes in der Darreichungsform (z.B. basisch reagierendes Cortison in sauer reagierender Cremegrundlage ohne Puffer) oder die der Darreichungsform an sich (z.B. Phasentrennung Emulsion). Diese Rezepturen sollten nur in kleiner Verordnungsmenge und mit maximal vier Wochen Aufbrauchfrist versehen hergestellt werden.

Ausgewählte Haltbarkeiten nach NRF zur Orientierung
Darreichungsform
Granulate, Kapseln, Pulver, Zäpfchen (Hartfett-, Macrogol-, Kakaobutterbasis) - Aufbrauchfrist: 1 Jahr
Zäpfchen aus Glycerol-Gelatine-Basis (unkonserviert) - Aufbrauchfrist:4 Wochen
Tee, geschnitten  - Aufbrauchfrist: 1 Jahr
Tee, gepulvert  - Aufbrauchfrist: 6 Monate
Tee, angestoßen oder gepulvert mit flüchtigen Bestandteilen - Aufbrauchfrist: 2 Wochen Hydrophobe halbfeste Zubereitungen* in Tube/Spenderdose - Aufbrauchfrist: 1 Jahr
Lipophile Cremes, konserviert* in Tube - Aufbrauchfrist: 1 Jahr in Spenderdose 6 Monate Lipophile Cremes, unkonserviert* - Aufbrauchfrist: 4 Wochen
Hydrophile Salben* - Aufbrauchfrist: 1 Jahr
Hydrophile Cremes, Hydrogele, konserviert* - Aufbrauchfrist: in Tube 1 Jahr in Spenderdose 6 Monate
Hydrophile Cremes, Hydrogele, unkonserviert* - Aufbrauchfrist: 1 Woche
Anwendungen am Auge oder Ohr (konserviert, sonst einmalige Anwendung) - Aufbrauchfrist: 4 Wochen
Flüssige Darreichungsformen zur kutanen, rektalen, vaginalen, oralen Anwendung und zur Anwendung in der Mundhöhle - Aufbrauchfrist:  Konserviert bzw. wasserfrei 6 Monate Nicht konserviert 2 Wochen Konserviert auf Wunden 24 Stunden
Nasenemulsion - Aufbrauchfrist: Konserviert, Tube/Spenderdose 3 Monate Konserviert, Pipettenflasche 1 Woche Nicht konserviert 1 Woche (Pipettenflasche nur 24 Stunden)
Nasenspray  - Aufbrauchfrist: Konserviert 6 Monate Nicht konserviert 1 Woche
Nasentropfen - Aufbrauchfrist: Konserviert 2 Wochen Nicht konserviert 24 Stunden

*zur kutanen, nasalen, rektalen, vaginalen Anwendung oder zur Anwendung in der Mundhöhle

 

Problem: Ausgangsstoffe
Geht es dann in die Rezeptur, schon der nächste Schreck: Die Ausgangsstoffe sind nicht mehr lange haltbar. Was tun, wenn sie schon vor Ende der Laufzeit des Rezepturarzneimittels ablaufen? Verkürzt man diese dann? Nein, alle Substanzen und Grundlagen dürfen auch am letzten Tag ihrer Haltbarkeit für die Rezepturherstellung verwendet werden. Denn sie müssen bis zum letzten Tag ihrer Verwendbarkeitsfrist den im Arzneibuch (oder sonstigen geltenden Vorschriften) geforderten Mindestgehalt und alle anderen Qualitätsmerkmale erfüllen. Da die Forderung lautet, dass alle Rezepturen bis zum Ende ihrer Laufzeit 90 Prozent des Sollgehaltes enthalten müssen, wird dies auf jeden Fall mit den verwendeten Ausgangssubstanzen erreicht. Anders sieht das aus, wenn ein Fertigarzneimittel zur Herstellung verwendet wurde (z.B. zermörserte Tabletten zur Herstellung von Kapseln). Sie müssen ebenfalls nur 90 Prozent Mindestgehalt am Ende ihrer Haltbarkeit aufweisen – dies ist also bei der Herstellung der Rezeptur und Festlegung der Haltbarkeit zu berücksichtigen. Ist das verwendete Fertigarzneimittel nach Anbruch beispielsweise vier Wochen haltbar, so darf die Laufzeit der Rezeptur nicht länger als ebenfalls vier Wochen betragen.

Besser immer in den Kühlschrank?

Gerade Kunden assoziieren eine längere Haltbarkeit mit der Lagerung im Kühlschrank – kennt man ja von Lebensmitteln. Trifft aber auf Rezepturarzneimittel per se nicht zu. So gibt es durchaus Rezepturen, deren Stabilität bei Lagerung im Kühlschrank gefährdet ist, zum Beispiel, wenn das Löslichkeitsprodukt der verwendeten Feststoffe im Lösungsmittel temperaturabhängig ist und die Substanz bei niedrigen Temperaturen ausfällt. Bei einigen Emulsionen kann es zu Phasentrennung kommen. Oder der Wirkstoff an sich ist temperaturempfindlich. Eine generelle Lagerung im Kühlschrank kann daher nicht empfohlen werden. Es gibt aber auch Beispiele, bei denen sich die Haltbarkeit tatsächlich positiv beeinflussen lässt: Bei hydrophilen Cremes oder Hydrogelen verlängert sich die Haltbarkeit beispielsweise von einer auf zwei Wochen. Oder Abkochungen oder Aufgüsse können im Kühlschrank gelagert drei Tage statt nur 24 Stunden angewendet werden. Auch dazu gibt das NRF in einer Tabelle mit allgemeinen Hinweise Hilfe, Sie finden sie unter I.4.2.1 oder online unter dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de.

 

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quellen: https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=138 https://ptaforum.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-022014/haltbarkeit-beachten/https://www.aknr.de/apotheker/inhalt.php?id=227
https://www.diepta.de/news/praxis/galenik-alles-frisch-556562/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/09/25/so-erklaert-docmorris-die-ausnahmen-bei-der-rezepturherstellung/chapter:3
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/03/16/rezepturen-sind-up-to-date https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-48-1998/pharm4-48-1998/ https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=rh-ausgabe&nrf_id=107#anker454371https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=grundwerk&show=govi-IDALLHINWEISI4EBENE21.xml

×