Das erste Röntgenbild zeigte die Hand seiner Ehefrau. © itsmejust / iStock / Getty Images Plus

X-Ray

DAS LEBEN VON WILHELM CONRAD RÖNTGEN

Ganz zufällig entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen vor 125 Jahren die nach ihm benannten Strahlen. Während die Fachwelt außer sich war und der Nobelpreis nicht lange auf sich warten ließ, war dem privat eher bescheidenen Physiker der Kult um seine Person sein Leben lang peinlich.

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Röntgen, Professor an der Universität Würzburg, experimentiert schon länger mit Kathodenstrahlenröhren. In einer Versuchsanordnung, in der eine so genannte Hittorf-Röhre sowie die Chemikalie Barium-Platin(II)-Cyanid, schwarze Pappe und ein stockdunkles Labor eine Rolle spielen, geschieht es, dass einige Kristalle fluoreszieren – und das selbst dann, wenn die Strahlung diese scheinbar nicht mehr erreichen. Röntgen schließt ganz richtig daraus, dass er eine ganz neue Art von Strahlen entdeckt hat. Einige Tests später bemerkt er, dass die „X-Strahlen“ Materie durchdringen und sie abbilden können. Er hält seine Beobachtungen in einer Schrift mit dem Titel „Über eine neue Art von Strahlen“ fest – der Rest ist Medizingeschichte.

Wilhelm Conrad Röntgens Leben ist ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, durchzuhalten. 1845 geboren, fliegt er mit 16 vom Gymnasium, weil er einen Kameraden nicht verpfeifen will, der eine äußerst treffende Karikatur eines Lehrers auf die Tafel gezeichnet hat. Röntgen nimmt die Schuld auf sich und geht künftig auf eine technische Schule. Er möchte unbedingt studieren, und das gelingt ihm sogar ohne Abitur – allerdings muss er dazu die strenge Aufnahmeprüfung am Polytechnikum Zürich bestehen. Der junge Mann macht zuerst sein Diplom als Maschinenbauingenieur, danach beginnt er ein Studium der Physik. Er wird 1869 promoviert, begleitet danach seinen Mentor, August Kundt, als Assistent nach Würzburg an die Universität.

Doch vorher hat er die Frau seines Lebens kennen gelernt. Sein privates Glück entscheidet sich ausgerechnet in einem Wirtshaus. Im Restaurant „Zum grünen Glas“ treffen sich Professoren und Studenten gern zu einem kühlen Getränk. Der kluge Wirt, ein abgebrochener Student, der Privatunterricht in klassischen Sprachen gibt und auch schon einmal die eine oder andere Dissertation in das damals übliche Latein übersetzt, hat drei hübsche Töchter – Bertha, die mittlere, hat es dem introvertierten Röntgen angetan. Man heiratet 1872. Die Ehe bleibt zwar kinderlos, doch adoptiert das Ehepaar später eine Nichte Berthas.

Die gemeinsame Station Würzburg wird eine glückliche Zeit, sowohl privat als auch beruflich. Einziger Wermutstropfen: Die Universität möchte Röntgen partout nicht habilitieren, da ihm das Reifezeugnis fehlt. Mentor Kundt nimmt den wissenschaftlichen Mitarbeiter daraufhin mit nach Straßburg, an deren neu gegründete Universität er eine Berufung erhalten hat – hier gelingt das, was dem jungen Physiker in Würzburg verwehrt worden ist. Er wird habilitiert, geht als Professor nach Hohenheim, wieder zurück nach Straßburg, dann nach Gießen. Röntgen braucht eine Umgebung, in der er sich wohl fühlt. Und das Wunder geschieht – ausgerechnet die Universität Würzburg, das ihm zuvor die akademische Laufbahn verwehrt hat, beruft ihn zum Professor. Röntgen nimmt an.

Die Uni Würzburg tut gut daran. Denn hier macht Röntgen seine bahnbrechende Entdeckung – nachdem er vorher sage und schreibe 15 Publikationen veröffentlicht hat. Denn das Interesse des Wissenschaftlers erstreckt sich auf alle möglichen Bereiche. Da gibt es eine Arbeit „Über die spezifischen Wärmen der Gase“, über „Das Löten von platinierten Gläsern“, es geht um „Telephonalarm“, um Elektrizitätsentladungen, Kapillarität und kolloidwissenschaftliche Themen. Er experimentiert mit Druck und Brechungsindex, versucht Moleküle zu messen und stellt immer wieder seine Vorliebe für experimentelle Präzisionsarbeit unter Beweis.

Und letztere beschert ihm auch die „neue Art von Strahlen“. Am 8. November entdeckt er sie. Er schließt sich ins Labor ein, schläft und isst sogar dort, bis er sich sicher ist, dass er sie gefunden hat – eine alles durchdringende Kraft, die in der Lage ist, das Innere des Körpers abzubilden. Zum Beispiel schießt er das berühmt gewordene Foto von der Hand seiner Frau, an der die Knochen der Hand sowie der Ehering klar zu erkennen sind. Das Bild entsteht am 22. Dezember 1895. Fünf Tage später verfasst er eine vorläufige Mitteilung an die Physikalisch-Medizinische Gesellschaft in Würzburg sowie Sonderdrucke an die Kollegen. Bereits am 5. Januar steht ein großer Artikel in der Wiener Presse, der auch auf die Möglichkeiten eines Einsatzes in der medizinischen Diagnostik hinweist – einen Tag später geht die Entdeckung des Würzburger Professors über die Nachrichten in alle Welt.

Die Wissenschaft steht Kopf. Am 23. Januar hält Röntgen den Vortrag, der eigentlich vor die erste Veröffentlichung in der Fachzeitschrift gehört hätte – die Zeit zwischen den Jahren, in denen die öffentlichen Einrichtungen ruhten, hatten dies aber verhindert. Unter ungeheurem Jubel, der Röntgens Rede mehrfach unterbricht, stellt er seine Entdeckung vor und noch am selben Abend beschließt das Gremium, die neuartigen Strahlen nach seinem Entdecker zu benennen.

Röntgenstrahlung
Das Besondere an der Röntgenstrahlung ist die Tatsache, dass sie Materie durchdringen und abbilden kann – so war es möglich, erstmals Bilder vom Innern des Körpers zu machen. Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte sie im Jahr 1895 zufällig. Ohne zu wissen, welcher Natur sie war, nannte er sie X-Strahlung. Röntgenstrahlung hat Wellenlängen zwischen 10 milliardstel Metern (10 Nanometern) und 0,01 Nanometern. Es handelt sich also um elektromagnetische Wellen sehr kurzer Wellenlänge. Die Strahlung entsteht, wenn in einem Atom die inneren Elektronen ihre Bahn um den Kern ändern und dabei Energie abgeben, oder wenn schnelle Elektronen um die Kurve fliegen oder abrupt gebremst werden.


Paradoxerweise ist dem das gar nicht recht. Seinem ganzen Wesen widerstrebt es, berühmt zu sein, er möchte den Namen „X-Strahlen“ beibehalten (was heute nur im englischen Sprachraum der Fall ist), verzichtet auf eine Patentierung und will, dass seine Entdeckung der Menschheit kostenlos zur Verfügung steht. Thomas Alva Edison, Erfinder der Glühbirne, sagt über ihn: „Er gehört zu jenen Wissenschaftlern, die aus Liebe zu ihrem Beruf und aus Vergnügen am Studium sich in die Geheimnisse der Natur vertiefen.“ Materiellen Nutzen aus seiner Entdeckung zieht er nicht. Einem Unternehmen, das einen „Röntgenapparat“ herstellen will, schreibt er, er sei der Auffassung, dass „seine Erfindungen und Entdeckungen der Allgemeinheit gehören und nicht durch Patente, Lizenzverträge und dergleichen einzelnen Unternehmungen vorbehalten bleiben dürfen.“ Ausnahmsweise lässt er sich einmal feiern, als ihm 1901 der Nobelpreis für Physik verliehen wird. Auf eine Nobelvorlesung, wie sie eigentlich von jedem Geehrten erwartet wird, muss das Auditorium allerdings verzichten. Die 50 000 Kronen Preisgeld spendet er seiner Universität.

Als Wilhelm Conrad Röntgen 1923 an Darmkrebs stirbt – er steht noch zehn Tage zuvor in seinem Institut im Labor – vernichten laut testamentarischer Anweisung seine Freunde seine gesamten wissenschaftlichen und privaten Aufzeichnungen. Er liegt in einem Familiengrab auf dem Alten Friedhof in Gießen neben seinen Eltern und seiner Frau. Seine Universität richtete ein „Röntgengedächtniszimmer“ im Physikalischen Institut ein; seit 1932 gibt es auch in seiner Geburtsstadt Remscheid-Lennep ein nach ihm benanntes Museum. Vielleicht auch aufgrund seiner Bescheidenheit und des großen Gerechtigkeitssinnes wurde Röntgen neben Albert Einstein zu einem der populärsten Nobelpreisträger. Die Anwendung seiner Entdeckung reicht heute von der Medizin über Sicherheitssysteme an Flughäfen bis hin zur astronomischen Forschung.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quellen: Klaus Beneke: Wilhelm Conrad Röntgen und die Entdeckung der Röntgenstrahlung, Universität Kiel

www.welt.de
www.weltderphysik.de

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