Kombinierte Stoffwechselerkrankungen
PTA-Fortbildung

Das metabolische Syndrom

Auch als Wohlstandskrankheit bekannt, trifft das metabolische Syndrom mehr und mehr Menschen in den Industriestaaten. Gemeint ist eine Kombination aus Hypertonie, Hypertriglyceridämie, Insulinresistenz und Adipositas. Wie können Sie in der Apotheke zur Prävention beitragen und Betroffene begleiten?

17 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. September 2022

Früher Grundstein Die Entwicklung eines metabolischen Syndroms ist ein multifaktorielles Geschehen, zu dem eine genetische Disposition und äußere Faktoren wie der Lebensstil beitragen. So kann die Grundlage bereits in der Schwangerschaft gelegt werden. Übergewicht und Schwangerschaftsdiabetes der Mutter begünstigen ein späteres metabolisches Syndrom des Kindes. Der Gestationsdiabetes führt zu einer Überversorgung des Ungeborenen mit Glucose.

Die Kinder kommen in der Regel bereits mit einem durchschnittlich höheren Körpergewicht auf die Welt. Damit wird der kindliche Stoffwechsel in diesem Stadium so programmiert, dass später als Erwachsener ein verstärktes Verlangen nach zucker- und fettreichen Nahrungsmitteln besteht. Auch die Veranlagung viszerales Fettgewebe in der Bauchregion anzulegen wird dadurch begünstigt. Die Adipositas Stiftung Deutschland benennt Adipositas der werdenden Mutter als stärksten Prädiktor für späteres Übergewicht des Kindes.

Übergewicht und Adipositas, die in einen Gestationsdiabetes münden, erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen späteren Typ-2-Diabetes der Mutter um 64 Prozent. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollten Gynäkologen auf die richtige Lebensweise in der Schwangerschaft hinweisen: Wichtig sei ausreichende Bewegung der werdenden Mutter, die täglich mindestens 30 Minuten körperlich aktiv sein soll. Damit werde das Risiko eines Gestationsdiabetes um 24 Prozent reduziert, so die Empfehlung der Stiftung.

Der sogenannte Apfeltyp hat die größten Fettpolster am Bauch. Dies impliziert eine erhöhte viszerale Fetteinlagerung, die als Risikofaktor für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen gilt. © MilanMarkovic / iStock / Getty Images

Wie die Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter erfolgt, hat ebenfalls Einfluss auf die spätere Gewichtsentwicklung. So gilt konsequentes Stillen über vier bis sechs Monate als wichtiger präventiver Faktor für die Gewichtsnormalisierung des Säuglings. Wenn Beikost und Flaschennahrung eingeführt werden, bilden sich Geschmacksvorlieben beim Kind aus. Hier sollte auf zuckerarme und natürliche Produkte geachtet werden. Als Getränke sind gesüßte Säfte unbedingt zu vermeiden, Wasser ist das Getränk der Wahl – zur Karies- und Adipositasprophylaxe.

Weiterhin ist die Sozialisierung der Kinder in Bezug auf Nahrungsaufnahme, feste Esszeiten, ob und wie gekocht wird prägend für das Essverhalten im Erwachsenenalter. Wie in Familien gegessen wird, welche Rolle Bewegung spielt und welche Anreize zu einem aktiven Lebensstil gegeben werden, trägt maßgeblich dazu bei, wie sich Kinder zum Erwachsenen hin selbst entwickeln. Deshalb ist die Aufklärung der Eltern so wichtig zur Vermeidung des metabolischen Syndroms bei der nachwachsenden Generation.

Schlafmangel und Stress Psychische Belastungen, beruflicher oder privater Stress begünstigen nicht nur eine ungesunde Ernährung, sie führen auch häufig zu Schlafmangel, der das hormonelle Gleichgewicht stört. Dass chronischer Schlafmangel mit einer Zunahme von Adipositas, Fettstoffwechselstörungen und Hypertonie verbunden ist, ist nicht jedem bekannt. Mediziner aus dem Universitätsklinikum Lübeck haben gezeigt, dass Schlafentzug sowie eine Störung des normalen Tag-Nacht-Rhythmus schon in wenigen Tagen zu einer Insulinresistenz führen.

Die Patienten haben erhöhte Blutzuckerwerte, obwohl sie vermehrt Insulin produzieren. Das Gleichgewicht von Hunger-regulierenden Hormonen verschiebt sich mit dem Ergebnis eines verstärkten Appetitgefühls. Außerdem scheinen Änderungen im limbischen System, dem Belohnungssystem, zu vermehrtem Hunger auf energiereiche Lebensmittel wie Süßigkeiten zu führen. Insgesamt konnten die Forscher zeigen, dass Schlafmangel den Appetit und damit auch die Nahrungsaufnahme steigern kann.

Bei Jugendlichen dienen kohlenhydrathaltige Speisen und Fast Food oft der Beruhigung und dem Versuch, die Müdigkeit zu überwinden. Dies mündet in einen Teufelskreis aus übermäßiger Nahrungszufuhr, Übergewicht und Bewegungsarmut. Aber auch zu viel Schlaf verbunden mit einem Bewegungsmangel kann das Risiko für die Entstehung des metabolischen Syndroms erhöhen. Die Mediziner kommen zu dem Schluss, dass auf ein optimales Gleichgewicht zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen mit genug Bewegung und Vermeidung belastender Stressphasen zu achten ist, mit einer Schlafdauer von sieben bis acht Stunden.

Gestationsdiabetes begünstigt beim Kind ein späteres metabolisches Syndrom.

Diagnose Aufgrund des schleichenden Verlaufs der Erkrankung erfolgt die Diagnosestellung häufig erst, wenn die Patienten bereits massives Übergewicht haben. Das wichtigste und auffälligste Kriterium zur Diagnosestellung ist das Übergewicht mit typischer stammbetonter Fettansammlung. Unterschieden werden der „Apfel-“ und der „Birnentyp“. Der Apfeltyp hat die größten Fettpolster am Bauch, der Birnentyp an Hüfte und Ober schenkeln. Personen vom letzteren Typ tragen ein deutlich geringeres Risiko für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen als Patienten vom Apfeltyp mit viszeralem Bauchfett.

Der Birnentyp ist eher bei Frauen zu finden, da das Hüftfett biologisch als Reserve in Schwangerschaft und Stillzeit dienen soll. In Anlehnung an die Empfehlungen der internationalen Diabetes Gesellschaft wird das Übergewicht am aussagekräftigsten durch Messung des Bauchumfangs ermittelt. Er wird in der Mitte zwischen dem unteren Rippenbogen und der Oberkante des Hüftknochens gemessen. Ab einem Bauchumfang von über 90/94 Zentimeter bei Männern und von über 80 Zentimetern bei Frauen wird von einer stammbetonten Fettsucht gesprochen.

Die Bewertung des Body-Mass-Index gilt als weniger aussagekräftig. Zusätzlich zum Taillenumfang sind zwei der vier folgenden Kriterien zur Diagnose nach IDF (International Diabetes Federation) erforderlich:

  • erhöhter Triglyceridwert (mehr als 150 mg/dl) oder eine Behandlung wegen sogenannter Hypertriglyceridämie;
  • vermindertes HDL-Cholesterol (Männer weniger als 40 mg/dl, Frauen weniger als 50 mg/dl) oder eine spezifische Therapie dagegen;
  • erhöhter Blutdruck (mehr als systolisch 130 mmHg oder diastolisch 85 mmHg) oder eine antihypertensive Therapie;
  • erhöhte Nüchternglucose von mehr als 5,6 mmol/l (100 mg/dl) oder ein zuvor diagnostizierter Typ-2-Diabetes.

Risikofaktoren für die Entwicklung eines Metabolischen Syndroms:
+ Übergewicht (Body­-Mass-­Index (BMI) > 25)
+ zu wenig körperliche Bewegung
+ zu fettreiche Ernährung
+ erhöhter Alkoholkonsum
+ erhöhter Kochsalzkonsum
+ Rauchen
+ Stress über längere Zeit
+ Erkrankungen, zum Beispiel der Galle, Nieren oder Leber, eine lange und schwer verlaufende Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes mellitus
+ Medikamente: Hormone, Corticosteroide, Diuretika, Betablocker, Antidepressiva oder Antipsychotikav

Risiko viszerales Bauchfett Das stoffwechselaktive intraabdominale Fett ist in der freien Bauchhöhle eingelagert und umhüllt die inneren Organe. Ursprünglich diente es als Energiereserve bei Nahrungsmangel, die rasch ab- aber auch wieder aufgebaut werden kann. Außerdem schützt es die Organe und trägt dazu bei, die Körpertemperatur durch Fettverbrennung konstant zu halten. Die Anlage der Fettdepots im Bauchraum ist testosteronabhängig, deshalb wird beim Apfeltyp auch von der männlichen Fettverteilung gesprochen.

Dass dieses Fett, bestehend aus Adipozyten – den Fettzellen – eine hohe hormonelle Aktivität hat, wird oftmals vergessen und ist bei Laien auch nicht bekannt. Die Adipozyten bilden das größte endokrine Organ des Körpers, je größer das Fettgewebe, desto stoffwechselaktiver ist es. Es reagiert besonders empfänglich auf stressbezogene Signale, wie Adrenalin und Cortison. Die Hormone Leptin, Adiponektin und Resistin werden hier synthetisiert und ausgeschüttet.

Sie regeln das Hungergefühl und die Insulinsensitivität. Leptin verstärkt im Normalfall das Sättigungsgefühl und limitiert so eine weitere Nahrungsaufnahme. Wird Leptin aber übermäßig aus den Adipozyten freigesetzt, dann entwickelt sich gewissermaßen eine Leptin-Resistenz und der normale Sättigungseffekt bleibt aus. Der betroffene Patient isst also mehr als nötig und nimmt so immer mehr zu. Hohe Konzentrationen an Leptin bewirken außerdem eine Erhöhung des Gefäßwiderstands und aktivieren den Sympathikus.

In der Folge steigen der Blutdruck und die Herzfrequenz. Adiponektin wirkt zusätzlich antientzündlich, wird aber immer weniger freigesetzt, je mehr Fettpartikel in den Adipozyten angereichert sind. Die Fettstoffwechselstörung wird an erhöhten Triglyceridspiegeln, niedrigen Werten an High Density Lipoprotein (HDL) und hohen Konzentrationen an Low Density Lipoprotein (LDL) deutlich. Aus dem Fettgewebe werden vermehrt freie Fettsäuren freigesetzt, die ihrerseits Einfluss auf die Insulinwirkung und den Glucosestoffwechsel haben.

Die Glykogenolyse und Gluconeogenese in der Leber werden angeregt, als Folge steigt der Glucosespiegel im Blut. Insgesamt triggert das viszerale Bauchfett also die Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen und in der Folge auch Atherosklerose. Damit wird kardiovaskulären Folgeerkrankungen, zum Beispiel dem Koronarsyndrom, Myokardinfarkt und Schlaganfall, der Boden bereitet. Auch bekannt ist, dass das metabolische Syndrom häufig mit einer Fettleber und erhöhten Harnsäurewerten assoziiert ist.

Risikofaktor Arzneimitteleinnahme Eine Vielzahl von Arzneistoffen fördert eine Gewichtszunahme. Berichten Patienten über Gewichtsprobleme seit der Einnahme eines neuen Medikaments, können Sie den Zusammenhang prüfen. Bekannt ist, dass beispielsweise Antikonvulsiva, die gegen Epilepsie, neuropathischen Schmerz oder zur Migräneprophylaxe zum Einsatz kommen, das Hungergefühl steigern und den Stoffwechsel beeinflussen.

Viszerales Bauchfett triggert Insulinresistenz sowie Fettstoffwechselstörungen.

Auch zahlreiche Antidepressiva, zum Beispiel Mirtazapin und Trizyklika, Antipsychotika der zweiten Generation (Olanzapin, Clozapin, etc.), und orale Corticoide begünstigen eine Gewichtszunahme von vielen Kilos. Darauf haben Dosierung und Therapiedauer ebenfalls einen Einfluss. Wenn ein Medikament als Ursache des Übergewichts identifiziert wird, ist abzuwägen, ob ein Therapiewechsel möglich ist. Dies kann meistens nur der Arzt entscheiden. Aber in der Apotheke kann der Kunde ermuntert werden, seinen Arzt auf die Gewichtszunahme anzusprechen und nach Alternativen zu fragen.

Adipositas Die S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft definiert, dass es sich ab einem BMI von 30 um Adipositas handele und ab dann auch eine Therapie empfohlen wird. Ab diesem Wert steigen Morbidität und Mortalität statistisch signifikant an. Im höheren Lebensalter über 65 Jahren werden teilweise etwas höhere Werte akzeptiert, wenn Begleiterkrankungen fehlen. Studien zeigen, dass neben der Genetik auch sozioökonomische Faktoren eine Rolle spielen, eine Adipositas zu entwickeln. Wichtig ist, die Adipositas auch als eigenständige Erkrankung zu bewerten, die therapiert werden kann.

BMI-Rechner
Der BMI berechnet sich aus dem Körper­gewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Bei einer Person, die 75 kg schwer und 1,75 m groß ist, berechnet sich der BMI folgender­ maßen: 75 kg/1,75m x 1,75m = 24,49 kg/m². Laut WHO besteht

+ Normalgewicht bei einem BMI zwischen 18,5 und 24,9,
+ Übergewicht bei BMI ab 25 bis 29,9,
+ Adipositas bei BMI ab 30.

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