Kolumne | Holger Schulze

WEGE INS BEWUSSTSEIN

Neue Erkenntnisse zu den neurophysiologischen Grundlagen des Bewusstseins eröffnen auch neue Behandlungsoptionen – von Komapatienten bis hin zu solchen mit Angststörungen.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Kennen Sie das auch? Diesen seltsamen Zustand zwischen Aufwachen und Träumen, wenn man sich zwar noch im Traum befindet aber bereits beginnt, die Welt um sich herum wieder wahrzunehmen und langsam erkennt, dass das Geträumte eben bloß Traum und nicht Realität war? Im Wachzustand erscheint es jedem von uns als selbstverständlich, ein Bewusstsein zu besitzen, sich selbst und die Umwelt bewusst wahrzunehmen. Doch schon der alltägliche Schlaf zeigt, dass Bewusstsein ein veränderlicher Zustand des Gehirns ist, und wenn Schädigungen des Gehirns ins Spiel kommen, können Phänomene auftreten, die uns nicht nur bizarr erscheinen mögen, sondern die immer wieder die fundamentale Frage aufwerfen, was Bewusstsein eigentlich ist und wie es im Gehirn entsteht. 

Kann man Bewusstsein therapeutisch manipulieren?

Ein Beispiel für ein solches Phänomen ist die visuelle Agnosie oder „Seelenblindheit“: Sie bezeichnet einen Zustand, bei dem Patienten einen Gegenstand zwar nicht mehr bewusst wahrnehmen können, aber dennoch in der Lage sind, gezielt danach zu greifen. Obwohl wir wissen, dass Schädigungen bestimmter Gehirnbereiche diese Störungen verursachen (in diesem Fall solche des visuellen Assoziationskortex oder dem ventralen visuellen Verarbeitungsweg („What-pathway“), der für die Erkennung von Objekten zuständig ist), ist die Frage, wie bewusste Wahrnehmung entsteht noch immer völlig unklar.

Dennoch scheint es das Wissen darum, welche Hirnbereiche an der Bewusstseinsentstehung beteiligt sind, bereits zu ermöglichen, therapeutisch in Störungen dieser Prozesse einzugreifen. Ein spannender Ansatz in diesem Zusammenhang sind neuartige Ansätze zur Behandlung von Komapatienten: Ziel ist hier beispielsweise der Thalamus, dem eine zentrale Rolle bei der Bewusstseinsentstehung zugeschrieben wird: Durch eine Stimulation dieses Kerngebiets mittels Ultraschall ist es bereits vereinzelt gelungen, komatösen Patienten die Fähigkeit zur Kommunikation mit ihrer Umwelt zumindest zeitweise wiederzugeben. 

Entscheidend hierfür ist möglicherweise die Erkenntnis, dass sich etwa Patienten im Wachkoma keinesfalls immer in einem Zustand völliger Bewusstlosigkeit befinden: Messungen ihrer Hirnaktivität können in vielen Fällen beweisen, dass ihr Gehirn noch immer auf Sprache reagieren kann. Etwa wenn sie aufgefordert werden, sich eine bestimmte Tätigkeit vorzustellen: Die Hirnaktivität kann dann ganz ähnlich sein wie bei Personen, die diese Tätigkeit tatsächlich ausüben. Ein klares Anzeichen für Bewusstsein!

Auch die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) kann genutzt werden, um zwischen Reaktionen eines bewussten und unbewussten Gehirns zu unterscheiden. Weitere laufende Forschungsprojekte versuchen, durch gezielte Manipulation der an Bewusstseinsbildung beteiligten Hirnareale andere psychische Erkrankungen wie etwa Angststörungen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder auch Schizophrenie zu therapieren. Und vielleicht lernen wir dabei am Ende auch etwas darüber, was uns als Menschen im Innersten ausmacht – spannende Aussichten, finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.

www.schulze-holger.de 

×