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Es ist ein Irrglaube, dass Alkohol wärmen würde.

TRÜGERISCHE WÄRME

Auf den Weihnachtsmärkten wird mancher versuchen, sich mit einem ordentlichen Schluck Glühwein die Kälte wieder aus dem Körper zu treiben.

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Kennen Sie das auch? Die Legende vom Bernhardiner, der dem Lawinenopfer einen Schluck Schnaps aus seinem Fässchen bringt, um ihn oder sie aufzuwärmen? Der Aberglaube, man könne sich bei Kälte durch den Konsum von Alkohol aufwärmen, ist weit verbreitet, nicht zuletzt weil man nach seinem Genuß tatsächlich eine wohlige Wärme verspürt. Faktisch aber fällt die Körpertemperatur alkoholbedingt noch weiter ab, was bei bereits bestehenden Unterkühlungen zu einer ernsthaften Bedrohung werden kann.

Wieso spürt man dann aber das Gegenteil? Zur Klärung dieser Frage müssen wir uns die physiologischen Wirkungen des Alkohols vor Augen führen. Das wesentliche thermoregulatorische Zentrum befindet sich im Hypothalamus, genauer gesagt in dessen Präoptischer Region. Dort befindliche wärme- beziehungsweise kälteempfindliche Neurone messen die zentrale Körpertemperatur, integrieren diese mit Messwerten peripherer Thermosensoren, etwa der Haut, und vergleichen das Ergebnis mit einem internen Sollwert.

Bei Abweichungen werden die entsprechenden Regelkreise aktiviert, etwa zur Schweißsekretion oder zum Kältezittern. Der Hypothalamus reguliert dazu zum Beispiel die Aktivität des sympathischen Nervensystems, etwa um die Durchblutung der Haut zu kontrollieren.

Alkohol steigert nun zum einen die Aktivität in der Präoptischen Region, hemmt aber gleichzeitig die NMDA-Rezeptor-bedingte Erregung präganglionärer sympathischer Neurone, was zu einer akuten Dämpfung der sympathischen Aktivität führt. Zusätzlich wird die Wirkung des Transmitters des Sympathikus, des Noradrenalins, an den glatten Muskelzellen der Blutgefäße gehemmt. In der Summe führt dies dazu, dass die Haut unter Alkoholeinfluss stärker durchblutet wird, was man an der typischen Rötung etwa im Bereich des Gesichts oft deutlich erkennen kann.

Durch die stärkere Durchblutung wird die Haut erwärmt und dem Körper damit eine Erwärmung insgesamt vorgegaukelt, was noch dadurch unterstützt wird, dass Alkohol gleichzeitig das Kältezittern unterdrückt. Tatsächlich aber bewirken beide Effekte einen zusätzlichen Wärmeverlust des Körpers. Alkoholgenuss in der Kälte kann also zu gefährlichen Unterkühlungen führen.

Umgekehrt führt Alkoholkonsum bei Hitze aber zu keiner Abkühlung, sondern im Gegenteil zu weiterer Erhitzung! Der Alkoholeffekt kann also in der Summe als ein Wechsel von einem warmblütigen (homoiothermen) Stoffwechsel hin zu einem wechselwarmen (poikilothermen) beschrieben werden, da die Fähigkeit des Körpers zur Temperaturregulation insgesamt verlorengeht.

Tatsächlich sind die einzigen Todesfälle (ansonsten gesunder) Saunagänger im Zusammenhang mit Alkoholkonsum beschrieben worden. Bei regelmäßigem Alkoholkonsum treten übrigens Gewöhnungsphänomene ein, sodass die Effekte bei Entzug sogar ins Gegenteil umschlagen können. Daher die Faustregel, insbesondere unter extremen Temperaturbedingungen: Hände weg vom Alkohol – aber das wissen Sie ja sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/12 auf Seite 12.

 


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