© Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

MORD NACH REZEPT – TEIL 1

Vor ihr auf dem Fußboden lag ein Mann in seltsam verrenkter Stellung. Den Kopf leicht abgeknickt, die Beine angewinkelt

umsäumte ihn ein Meer von rotem Blut... Lesen Sie jetzt Teil 1 des neuen Apothekenkrimis und begleiten Sie Britta Badouin auf ihren Abenteuern!

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Der Abend dämmerte herauf und Britta Badouin eilte in ihrer hell erleuchteten Apotheke im denkmalgeschützten Fachwerkhaus zwischen Kasse und Ausziehschubladen hin und her. Ich sollte einen Kommissionierautomaten einbauen, überlegte sie, während sie sich bückte, um die unterste der fünf Laden mit der Aufschrift Pantoprazol zu öffnen. Sie ächzte ein wenig dabei, denn ihr Fuß schmerzte immer noch ein wenig, seit Robert ihr während des Tanzkurses kräftig auf den linken Zeh getreten hatte. Natürlich nicht mit Absicht, er war halt ein wenig ungeschickt. Sie griff sich das passende Präparat heraus und blinzelte ein wenig, um die PZN zu erkennen. Schließlich gab sie es auf. An der Kasse lag zum einen ihre Brille, zum anderen würde securpharm ihr schon sagen, ob sie die richtige Packung erwischt hatte. Sie humpelte langsam wieder zurück.

Für einen Kommissionierautomaten ist hier aber alles zu eng, dachte sie. Niemals würde sie die baurechtlichen Bedingungen erfüllen können, denn die Apotheke war eh schon zu klein, wenn man die Apothekenbetriebsordnung zugrunde legte. Sie hatte nur deshalb eine Sondergenehmigung erhalten, weil das ganze Gebäude unter Denkmalschutz stand. Sie konnte sich noch an den Schriftverkehr zwischen Regierungspräsidium und Denkmalschutzbehörde erinnern, die sich heftige Wortgefechte geliefert hatten, bis am Schluss letztere siegte. Unter anderem auch deshalb, weil ihr Mann, der seine kardiologische Praxis über der Apotheke hatte, drohte, wegen ähnlicher baurechtlicher Auflagen zu schließen. Da gab man schließlich klein bei, denn Landärzte waren den Behörden ein teures Gut.

Britta rechnete mit der Kundin ab, wünschte ihr ein freundliches „Schönen Abend“ und kramte in ihrem Gedächtnis, an was sie sich unbedingt erinnern sollte. Sie kam einfach nicht drauf. Ach, ich werde alt, dachte sie betrübt. Ich komm nicht mehr runter zu den blöden Schubladen und ich vergesse so viel…. Annette schwebte vorbei und sah mit ihrem dicken Bauch und den blonden Haaren ein wenig wie ein Engel aus. Die PTA war im siebten Monat schwanger und es bekam ihr, wie auch schon beim letzten Mal, prächtig. Sobald die ersten drei Monate überstanden waren, blühte sie auf. Britta erinnerte sich lebhaft an ihre erste Schwangerschaft – zuerst Hyperemesis gravidarum, danach die pure Glückseligkeit und schließlich Tränen, als Britta gezwungen war, Annette in den gesetzlichen Mutterschutz zu schicken, gegen deren Willen. Die PTA hätte am liebsten bis zum Eintritt der Wehen in der Offizin gestanden.

Wie macht die das bloß? fragte sich Britta und bewegte vorsichtig ihren kleinen Zeh. Zuckte dann zusammen, weil das so weh tat. „Haben Sie sowas?“ Ein Kunde stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihr und wedelte mit einem verschlissenen Buch. Seine Augen blickten sie streng über einer stattlichen Adlernase an. „Bitte?“ fragte Britta und ahnte schon, was kommen würde. Er senkte seine Stimme. „Ich habe da was in einem alten Buch gefunden.“ „Was ist es denn?“ „Schauen Sie mal.“ Der Kunde klappte das ledergebundenen Werk auf und tippte mit dem Finger auf eine der Seiten. „Es ist eine Zubereitung mit 30-prozentigem Wasserstoffperoxid. Ältere Apotheker kennen das Rezept noch.“ Vielen Dank auch, dachte Britta. „Wie soll die Zubereitung denn verwendet werden?“ fragte sie freundlich.

„Na, jeden Tag ein großes Schnapsglas voll. Das reinigt von innen“, sagte der Herr und schien sich zu wundern, dass ihr die Verwendung nicht geläufig war. Britta bemühte sich, ihre Mimik unter Kontrolle zu halten, denn solche Kunden waren erfahrungsgemäß ein wenig empfindlich, wenn man ihre alten Rezepte in Zweifel zog. Bis sie den Mann davon überzeugt hatte, dass die Originalrezeptur nicht ohne Grund nirgendwo in dem Buch zu finden war – so sehr er auch darin blätterte – verging einige Zeit. Annette hatte währenddessen bereits drei verschiedene Reizdarm-Präparate verkauft. Die waren zurzeit der Renner. Ich muss das unbedingt nachbestellen, dachte Britta, während der Herr mit der Reinigungstinktur betrübt von dannen zog und nicht einmal ein Fläschchen des Kräutertranks für den Darm mitnehmen wollte – was seiner Wunsch-Mixtur von der Verwendung her noch am ähnlichsten war.

Franziska Wartenburg stellte sich in ihre Küche und schnupperte. Das tat sie so gern, wenn alles fertig war. Zum 70. Geburtstag ihres Mannes Hans Wartenburg hatte Franziska alles aufgefahren, was sie zu bieten hatte – und das war nicht wenig. Ein schöner, saftiger Rinderbraten in dunkler, sämiger Soße schmorte im Backofen. Die Klöße dazu simmerten im Kochtopf. Den New York Cheesecake mit seiner Füllung aus Doppelrahmfrischkäse hatte sie schon heute Morgen gebacken; er war zum Nachtisch bestimmt. Nun musste sie nur noch die warme Specksoße zum Feldsalat, der Vorspeise, anfertigen. Franziska freute sich schon auf die Geburtstagsgesellschaft – und ganz besonders freute sie sich darauf, dass Robert und Britta kamen.

Den Kardiologen hatte sie letztes Jahr kennen gelernt (siehe „Das Weihnachtsrätsel“ in Die PTA in der Apotheke 12/2019) und wäre beinahe in den Verdacht geraten, seine Ehe in Schieflage zu bringen. Doch Robert von der Leyden hatte lediglich Tanzstunden nehmen wollen, da er seiner Frau zu Weihnachten einen Kurs für Paare schenken wollte. Leider hatte er nicht in Betracht gezogen, dass er vom Tanzen so wenig Ahnung hatte wie sie von einem Vorhofflimmern. Da Franziska einmal auf dem Weg zur Profitänzerin war, hatte sie es übernommen, ihm die Grundbegriffe beizubringen. Das Ganze endete relativ dramatisch. Franziska brach zusammen, Robert rettete sie und Britta erfuhr endlich, dass ihr Mann niemals vorhatte, sie zu betrügen. Im Gegenteil…

Die beiden Frauen hatten sich angefreundet. Das lag zum Teil an der genialen Fähigkeit Franziskas, mit den Schnitten ihrer kleinen Maßschneiderei auch fülligen Frauen zu schmeicheln – ja, sie sogar als besonders begehrenswert erscheinen zu lassen. Zum anderen Teil jedoch lag es an Franziskas einfühlsamer Art. Die Kundinnen kamen auch deshalb, da sie ihrem Gegenüber stets das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. In Verbindung mit ihrem Interesse an allem, was anders war und ihrer umfangreichen Bildung stellten Britta und sie fest, dass sie sich wunderbar ergänzten. Ihnen ging nie der Gesprächsstoff aus und Britta war froh, dass sie endlich jemanden außerhalb der akademischen Zirkel, in den Apotheker und Ärzte nur zu leicht gerieten, gefunden hatte.

Auch Robert verstand sich mit dem Ehemann Franziskas, dem wesentlich älteren Hans Wartenburg, bestens. Er hatte so eine verschmitzte Art, seine Umwelt zu sehen, die immer ein wenig an den Komiker Loriot erinnerte. Er verbrachte so manchen Abend mit Robert, dem er unglücklicherweise das Rauchen kleiner, würziger Zigarillos nahe gebracht hatte. Hans Wartenburg war ein Freund des englischen Landlebens und trug sehr gern dreireihige maßgeschneiderte Tweed-Anzüge. Ein Spleen, über den er selbst gern lachte. Franziska Wartenburg hatte ihre Schneiderei „Points Coats and Cakes“ genannt, da sie ihren Kundinnen gern kleine Kuchen servierte, während sie die Anproben vornahm.

Der Großhandelsvertreter brachte damals diese 1500 Papiertaschen mit den großen roten Punkten zum Sonderpreis mit, und Franziska schlug zu. Dabei wurde sie ein Opfer ihres eigenen Erfolges. Denn die kleinen Kuchen wurden beinahe so häufig für Feste und Feiern geordert wie die figurfreundlichen Tuniken auf den Leib der vermögenden Kundinnen geschneidert. Kaum wusste sie noch, wie sie das alles schaffen sollte… Aber jetzt war erst einmal ihr Hans dran. Um ihn drehte sich ihre Welt und sie liebte ihren so viel älteren Mann über alles.

Britta war wieder eingefallen, was sie unbedingt erinnern sollte. Die Einladung zu den Wartenburgs! Der 70. Geburtstag! Während sie sich nach Apothekenschluss zuhause in ihr Kleid warf – dasjenige, das sie immer anzog, wenn es eine offizielle Einladung, denn sie war leider nicht eitel –, summte ihr Mann vor dem weit geöffneten Kleiderschrank vor sich hin. Er konnte sich einfach nicht entscheiden. Sollte es der cremefarbene Zweireiher sein? Das Oxford-Hemd mit dem Button-Down-Kragen? Oder eher die altenglische Variante mit dem dezent karierten Stoff aus den Highlands? „Nimm den hier.“

Britta hatte einen der Holzbügel in der Hand, auf dem ein komplettes Ensemble hing. Sie kannte Roberts kleine Schwäche für exquisite Herrenmode und tröstete sich damit, dass sie später im Rentenalter bestimmt niemals neben einem unterhemdtragenden Gatten mit Bierflasche auf dem Sofa sitzen würde. „Ok“, sagte Robert und blinzelte ihr zu. War wahrscheinlich nur ein Trick gewesen, damit er ihr langsam und genüsslich den Reißverschluss ihres Kleides zuziehen durfte.

„Wer kommt eigentlich alles?“ fragte Britta kurzatmig, als sie neben Robert die Holztreppen zu Wartenburgs Wohnung hochstiegen. Sie waren ein wenig spät dran. „Warte mal… sechs Leute außer uns, hat Franziska gesagt.“ Robert hielt kurz auf dem Treppenabsatz an. „Zwei einzelne Leute, zwei Ehepaare… und wir. Wenn ich mich nur an die Namen erinnern könnte…“ Noch bevor Britta sich darüber freuen konnte, dass es ihrem Mann ähnlich wie ihr erging, waren sie an der Wohnungstür angelangt. Die war nur angelehnt. Beide traten ein und sahen sich Franziskas Rücken gegenüber. Sie stand in der Küchentür und rührte sich nicht. „Hallo“, sagte Britta versuchsweise, während Robert das Einwickelpapier der Blumen zusammenknüllte und sich suchend umschaute.

Franziska drehte sich um. Sie sah wie eine Wachsfigur aus, wie nicht lebendig, als ob sie sich zu Tode erschrocken hatte. Sie schaute Britta seltsam starr an. „Was ist los?“ Britta machte einen großen Schritt vorwärts, schob die Freundin beiseite und starrte auf das Bild, das sich ihr bot. Vor ihr auf dem Fußboden lag ein Mann in seltsam verrenkter Stellung. Den Kopf leicht abgeknickt, die Beine angewinkelt umsäumte ihn ein Meer von rotem Blut. Es floss wegen des leicht abschüssigen Küchenfußbodens – auch dieses Haus ein Altbau – in Richtung der kleinen Eckbank und war beinahe an einem der Tischbeine angekommen. Aus seinem den Betrachtern zugewandten Hals sickerte es immer noch aus einer Wunde und begann langsam zu gerinnen. Auf der Küchenzeile oberhalb des Mannes, neben dem Herd, stand ein Braten, in dem noch das Thermometer steckte. Auf der Arbeitsfläche ein Kuchen und eine große Salatschüssel. Der Mann war unzweifelhaft tot.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 ab Seite 106.

von Alexandra Regner

In der nächsten Folge von Mord nach Rezept bekommen Sie die Gäste der illustren Runde vorgestellt. Der total schockierte Hans Wartenburg wird seinen 70. Geburtstag so schnell nicht vergessen. War es einer von ihnen? Oder hat sich jemand durch die geöffnete Wohnungstür herein geschlichen? Teil Zwei des Krimirätsels erscheint in der März-Ausgabe von „Die PTA in der Apotheke“.

Noch liegt alles im Dunkeln …

… aber in der Fortsetzung des Apothekenkrimis „Mord nach Rezept“ im März- und Aprilheft finden Sie wichtige Hinweise. Gehen Sie mit Apothekerin Britta und PTA Annette auf Verbrecherjagd und zeigen Sie uns Ihren kriminalistischen Spürsinn!
Von allen, die uns bis zum 30. April 2020 Täter und Tatwaffe nennen, haben drei Leser die Chance, mit der Redaktion von DIE PTA IN DER APOTHEKE und der Krimiautorin Alexandra Regner die Veranstaltung „Bakterien, Gerüche und Leichen“ von Dr. Mark Bennecke, dem bekannten Kriminalbiologen und forensischen Entomologen, am Sonntag, den 7. Juni 2020 in Wiesbaden zu besuchen. (Der Verlag kommt nicht für die Anreise- und Übernachtungskosten auf.)

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Stichwort: MORD NACH REZEPT

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