Kolumne | Holger Schulze

STADT UND PSYCHE

Stadtbewohner leiden häufiger an psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Angstzuständen als Landbewohner. Der Besuch von Grünanlagen kann hier helfen.

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Kennen Sie das auch? Das gute Gefühl, mal aus der Stadt rauszukommen und ins Grüne zu fahren und die Seele in der Natur baumeln zu lassen? Tatsächlich hat Zeit, die wir in der Natur verbringen, nicht nur einen individuellen Freizeitwert, sondern wirkt sich auch auf unsere psychische Gesundheit aus: So haben Stadtbewohner ein um 20 bis 40 Prozent höheres Risiko an Angst- oder Gemütsstörungen zu leiden als Bewohner ländlicher Gegenden. Und auch Schizophrenie kommt bei Menschen, die in Städten geboren und aufgewachsen sind, deutlich häufiger vor als in der ländlichen Bevölkerung. Die Umwelt, in der wir aufwachsen, hat offenkundig Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Gehirns: Stadtbewohner zeigen eine höhere Aktivität in der Amygdala und Veränderungen des Anteils der grauen Substanz, also der Nervenzellkörper, in weiteren Teilen des limbischen Systems, welche an der Regulation von negativen Stimmungen und der Stressantwort beteiligt sind. Hier kann ein Umzug aus der Stadt ins Grüne helfen, der bereits nach kurzer Zeit zu einer Verbesserung der mentalen Gesundheit führt.

»Städtische Grünanlagen beugen psychischen Erkrankungen vor.«

Doch auch für Stadtbewohner gibt es Hoffnung: Offensichtlich muss es zur Erhaltung und Stabilisierung der mentalen Gesundheit nicht immer gleich der naturnahe Urlaub sein: Tatsächlich korreliert die mentale Gesundheit bereits mit der Menge an Grünflächen im städtischen Umfeld. Wie eine Studie aus Mannheim jüngst zeigen konnte, reichen bereits kurze Besuche in städtischen Grünanlagen aus, um das geistige Wohlbefinden zu verbessern. Interessanterweise war der positive Effekt dabei umso höher, je weniger Grünflächen am Wohnort der jeweiligen Versuchsperson vorhanden waren.

Mit anderen Worten, je weniger die Menschen im Alltag mit Natur in Berührung kommen, desto stärker ist der Nutzen, wenn sie sich dann mal bewusst ins Grüne begeben. Diese positiven Effekte beruhen dabei offenbar auf durch den Naturkontakt veränderter Aktivität im Gehirn: So senkt etwa das Betrachten einer Landschaft bereits den Cortisolspiegel im Speichel, und ein Waldbesuch reduziert die Aktivität im präfrontalen Kortex. In Stresssituationen hat dieser präfrontale Kortex eine kontrollierende Wirkung auf die Regionen des limbischen Systems und verhindert so übersteigert negative emotionale Reaktionen.

Bei Stadtbewohnern fällt diese Fähigkeit zur Emotionskontrolle des präfrontalen Kortex im Vergleich geringer aus, wodurch die Menschen anfälliger auf Stressbelastung reagieren. Und gerade bei diesen Personen wirkt sich der Parkbesuch nun besonders positiv aus, mit anderen Worten, je höher das Defizit, desto höher der Nutzen naturnaher Freizeitaktivitäten im Hinblick auf eine Reduktion der individuellen Stressbelastung und damit des Risikos der Entstehung psychischer Erkrankungen. Bleibt zu wünschen, dass Planer diese Befunde bei der Neu- oder Umgestaltung unserer Städte zur Kenntnis nehmen und möglichst viele Grünflächen vorsehen, zum Schutz und Erhalt unserer aller mentalen Gesundheit und Leistungsfähigkeit – finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze, Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de 

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