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RETTUNG FÜR DIE SEELE ODER FINGER WEG?

Die menschliche Psyche ist hochkomplex und ebenso kompliziert. Gerät sie aus der Balance und helfen Entspannung, Austausch mit anderen und intensive Seelenhygiene nicht, wird oft zu Psycho-Medikamenten gegriffen.

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Wir leben in einer Zeit, in der mehr und mehr von Job-​Life-Balance, Freizeit, Ausgleich und Selbstpflege gesprochen wird, um seelische Ausgeglichenheit zu erzielen. Dass genetische Disposition, privater und beruflicher Leistungsdruck, Zukunfts- und Versagensangst sowie körperliche oder psychische Krankheiten den Menschen in seiner Gesamtheit, und damit auch mental, stark fordern, ist indes Tagesrealität. Klassische Methoden wie Psychotherapie und mentales Training führen in vielen Fällen nicht zum gewünschten und damit befreienden Ergebnis. Als Lösung werden häufig Präparate eingesetzt, die sich auf das zentrale Nervensystem und damit auf das Seelenleben auswirken und somit dem Betroffenen die Welt und das Leben leichter erscheinen lassen: Psychopharmaka.

Ein Blick in die VergangenheitBereits im Altertum wurden psychotrope, also die Psyche des Menschen beeinflussende Substanzen verwendet. So lesen Sie unter SL01/Psychiatrie heute/Psychopharmaka, dass schon Homer von dem griechischen Arzt Asklepios (Aeskulap) berichtete, der seine Kenntnisse über die heilende Kraft diverser Pflanzen sehr erfolgreich verbreitete und sich somit im Laufe der Zeit zum Schutzgott der Ärzte und Heilkundigen entwickelte. Wir kennen auch heute noch das Symbol der Ärzte und Apotheker, die Aeskulap-Schlange. Bereits im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus wusste man um die Wirkung von Maßnahmen, die sich positiv auf die Psyche des Menschen auswirkten. Hippokrates kannte schon über 200 Heilpflanzen und gilt bis heute als Vater der wissenschaftlichen Heilkunde.

Galen, ein griechischer Arzt, der 129 nach Christus geboren worden war, hatte einen solch großen Einfluss auf die Heilkunde, dass seine Empfehlungen mehr als 1500 Jahre lang, zum Teil sogar bis ins 19. Jahrhundert weitergegeben wurden. In all den Jahren kannten die Gelehrten schon das Seelenleben beeinflussende Pflanzenheilmittel und Methoden. So begann man, mit Wasser und Wärme, mit Bewegung und bereits mit Alkohol heilsame und betäubende Wirkungen zu erzielen. Alraune, Nieswurz, Aderlassen und Schröpfen, ja sogar schon die Musik gewannen zunehmend an Bedeutung, wenn es darum ging, dem Patienten seelisches Wohlbefinden zu vermitteln. Später – im Mittelalter – waren es die Geistlichen in den Klöstern, die mit ihrem Wissen um die Wirkung von Heilpflanzen den Menschen halfen und Kräuter- oder sogenannte Apothekengärten unterhielten.

Hildegard von Bingen war im 12. Jahrhundert eine der berühmtesten Vertreterinnen dieser Zunft. Es folgte Paracelsus im 16. Jahrhundert, nach dem der berühmte Satz „Die Dosis macht das Gift“ geprägt wurde, und der als Begründer der Heilkunde unter Zuhilfenahme der Chemie bezeichnet werden kann. In den folgenden Jahrhunderten wurden zahlreiche zum Teil eher zweifelhafte Methoden entwickelt, auf die Seele des Menschen positiven Einfluss zu nehmen. Es waren Methoden, die eher an Folter erinnern, und es wurde in vielen Fällen sogar eher das Gegenteil erreicht. Der Durchbruch für die heute bekannten Psychopharmaka ließ noch bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf sich warten. SL02/Medizin/Wirkstoffe/Sonstige Wirkstoffe/Psychopharmaka beschreibt, dass erst 1950 eine Substanz künstlich hergestellt werden konnte, deren Wirkung auf die Schizophrenie eher zufällig entdeckt worden war: Chlorpromazin. Dies war die Geburtsstunde des ersten Psychopharmakons. Eingesetzt bei Erregungszuständen, Depressionen und anderen seelischen Störungen, traten dieser Wirkstoff und zahlreiche andere psychotrope Substanzen, die in der Folge entwickelt wurden, ihren Siegeszug im Bereich psychischer Therapien an.

Wo stehen wir heute? Die Tatsache, dass Psychopharmaka bestimmte Stoffwechselvorgänge im Gehirn beeinflussen, macht sie zu einem mittlerweile unverzichtbaren, aber nicht unumstrittenen Therapiebaustein im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. So gehören sie laut SL03/Psychiatrie, Psychosomatik…/Therapie/Pharmakotherapie zu den am häufigsten verordneten Medikamenten, und das fakultätsübergreifend, denn nicht nur Psychiater und Nervenärzte setzen sie zur Unterstützung ihrer Therapien ein. Auch bei der Schmerzbekämpfung werden bestimmte Psychopharmaka verschrieben, um die Wirkung des Analgetikums zu verstärken. Sie dienen somit immer wieder als Koanalgetikum, was Sie unter SL04/Suche „Koanalgetika“/Koanalgetika in der Schmerztherapie sehr ausführlich studieren können.

In erster Linie jedoch kommen sie bei der Behandlung schwerer psychischer Störungen, wie zum Beispiel Schizophrenie, bipolarer (manisch-depressiver) Erkrankungen oder schwerer depressiver Störungen zum Einsatz. In der Therapie starker Angst- und Zwangsstörungen spielen sie ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Weit verbreitet ist der therapeutische Ansatz, dass viele Erkrankungen erst durch die auf die Psyche wirkenden Medikamente behandelbar werden, da sie eine Basis für eine psychotherapeutische Behandlung und weitere Behandlungen, wie zum Beispiel Soziotherapie, schaffen. Hier ist das Ziel, die Patienten schneller wieder in Gesellschaft und Beruf zu integrieren, was ebenfalls unter SL03 beschrieben wird. Dies ist die eine Seite der Medaille.

Nicht ungefährlich! Es wäre grob fahrlässig zu denken, dass mit Psychopharmaka psychische Probleme und Erkrankungen einfach weggeschluckt werden können. Dem ist sicher nicht so. Im Gegenteil. Immer häufiger werden Stimmen laut, die sich kritisch mit diesem Themenkreis befassen. Ärzte und entsprechende Therapeuten müssen sich sehr intensiv mit den individuellen Krankheitsbildern auseinandersetzen und abwägen, ob ein entsprechendes Präparat zum Einsatz kommt, welchen Wirkstoff es enthalten, in welcher Dosierung und über welchen Zeitraum es verabreicht werden soll. Viel zu leichtfertig werden häufig entsprechende Arzneimittel verschrieben, und damit können die Probleme wie Abhängigkeit oder Missbrauch für den Betroffenen erst anfangen.

SL05/Psychopharmaka weist auf die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema hin und schickt Sie als Leser auf SL06/Psychopharmaka, wo Sie sehr intensiv mit den Bedenken zu dieser Medikamentengruppe konfrontiert werden. Sicherlich ist es falsch und einseitig, Psychopharmaka einen allgemeingültigen Negativstempel aufzudrücken, da sie in vielen Fällen sehr positiv die Therapien begleiten können. Aber das Risiko, Schaden beim Betroffenen anzurichten, ist groß. Das Thema ist so komplex und vielschichtig, dass es von allen Beteiligten im Interesse der Patienten sehr gewissenhaft und differenziert behandelt werden muss. Dann können Psychopharmaka nach entsprechender Aufklärung als Unterstützung sehr wohl auch ein wirk- licher Segen sein und helfen, dass das Leben wieder lebenswert wird.

Weitere interessante Links
https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Professor+Dr.+med.+Volker+Fausthttps://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2016/daz-46-2016/psychopharmaka-und-alkohol (Risiko Alkohol)

Video
https://www.depression-heute.de/leichte-mittelschwere-und-schweredepressionen-lassen-sich-unterscheiden

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 50.

Wolfram Glatzel, Autor und Redakteur
Ursula Tschorn, Apothekerin

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