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Genforschung

EINE SCHERE NAMENS CRISPR-CAS9

An einer amerikanischen Universität hat man erstmals genetisch veränderte, menschliche Embryonen erzeugt, die lebensfähig gewesen wären. Dies berichtete das Magazin „Nature“ in einer Vorab-Veröffentlichung.

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So brisant war das Studienergebnis des Teams um den Wissenschaftler Dr. Shoukhrat Mitalipov, dass das Fachblatt die Studienergebnisse Anfang August bereits bekanntgab, bevor der Forscher selbst sie vorgestellt hatte. Was war geschehen? Die Tüftler im Labor hatten sich der so genannten Genschere Crispr-Cas9 bedient. Dies ist ein Tool, das man bereits in der Nutztiergenetik erfolgreich angewendet hatte. Es basiert auf einem körpereigenen Mechanismus, der „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“ (CRISPR) genannt wird und mit dem sich Bakterien gegen Virenangriffe wehren.

Dieser Teil des Bakterien-Erbgutes besitzt zusammen mit dem Enzym Cas9 die Fähigkeit, DNA-Sequenzen gezielt auszuschneiden oder an eine bestimmte Stelle des Erbgutes einzubauen. Man hat damit die Möglichkeit, sowohl Gene ins Erbgut einzuschleusen als auch Punktmutationen zu korrigieren – wie zum Beispiel die Sichelzellenanämie oder auch die Duchenne-Muskeldystrophie. Zunächst wurden Mäuse für diese Art der Gentherapie ausgewählt, dann Rinder. Auf diese Weise gelang es chinesischen Forschern, Embryonen der Mutterkuh ein Resistenz-Gen gegen die Rindertuberkulose einzubauen, eine auf den Menschen übertragbare Zoonose. Die Schwierigkeit: „Man muss das Erbgut durchsuchen und nach einer Region schauen, bei der die Veränderung die geringste Auswirkung auf die benachbarten Gene hat“, erläuterte Studienleiter Yong Zhang damals.

Manchmal nämlich treten bei der Genschere sogenannte Off-Target-Effekte auf - dann finden sich die veränderten Genschnipsel im falschen Organ wieder oder an den verkehrten Stellen der DNA. Doch die elf Kälbchen, die geboren wurden und die künstlich veränderten Gene in sich trugen, zeigten nach entsprechenden Untersuchungen keinen Off-Target-Effekt. Im Gegenteil, sie erwiesen sich nach einer Infektion mit Mycobacterium bovis, dem Erreger der Rindertuberkulose, als deutlich widerstandsfähiger. Bei den genmanipulierten Kälbern hatten nach drei Wochen deutlich weniger Erreger im Blut überlebt als bei einer Kontrollgruppe. „Die Rinder zeigten eine erhöhte Resistenz gegenüber Mycobacterium bovis“, sagte Zhang.

Embryonenschutzgesetz
Das Embryonenschutzgesetz regelt in Deutschland die Forschung am menschlichen Erbgut. Grundlage des Gesetzes ist, „das menschliche Leben von Beginn an zu schützen“. Anders als in anderen Ländern dürfen beispielsweise bei der künstlichen Befruchtung nicht mehr Embryonen erzeugt werden als später auch eingepflanzt werden können. Das damit zusammenhängende Stammzellgesetz regelt, dass Embryonen auch nicht für die Stammzellforschung künstlich erzeugt werden dürfen.

Eine defekte Genkopie reicht In den USA, wo Eingriffe am menschlichen Erbgut unter bestimmten Voraussetzungen anders als bei uns erlaubt sind, ging man nun einen Schritt weiter. Man suchte sich eine relativ häufige Krankheit aus, die zweifelsfrei durch eine bestimmte, punktuelle Genmutation weitergegeben wird: die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM). Man kannte das Gen – MYBPC3 ist sein wissenschaftlicher Name - man wusste, dass die Erbkrankheit bei einem von 500 Menschen auftritt. Dabei ist die linke Herzwand verdickt, was schon in jungen Jahren zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen führen kann und im Extremfall sogar zum plötzlichen Herztod.

Die Krankheit ist nicht heilbar, man kann nur die Symptome behandeln. Und es reicht – anders als beispielsweise bei der Bluterkrankheit – dass der Betroffene lediglich eine einzige defekte Genkopie von einem der Eltern erbt, um die Krankheit bei ihm auszulösen. Wichtig für den Einsatz der Genschere war auch, dass HCM durch den Defekt eines einzigen Gens verursacht wurde. Die Wissenschaftler setzen in eine weibliche Eizelle die Spermien eines an HCM leidenden Mannes ein – plus die Genschere Crispr-Cas9 nebst einiger korrekter Genabschnitte von MYBPC3. Die sollten quasi als Blaupause dienen. Folgendes passierte: Nachdem der Genschnipsel ausgeschnitten war, fügte der körpereigene DNA-Reparaturmechanismus von selbst die korrekte „Buchstabenkombination“ ein, mit der die Medizin Genabschnitte beschreibt.

Die Eizelle nutzte zur Überraschung der Wissenschaftler einfach ihre eigene intakte Genkopie und baute sie in den Strang des Spermiengenoms an passender Stelle ein. Der Embryo, wäre er auf die Welt gekommen, hätte nicht an der Herzkrankheit gelitten. Dass die Embryos lebensfähig gewesen wären, ist etwas Besonderes. Denn bereits vorher hatte es Versuche mit der Genschere gegeben, allerdings bei Embryonen im Einzellstadium – also nachdem die Verschmelzung von Spermium und Eizelle bereits stattgefunden hatte. Dabei traten unbeabsichtigte Nebeneffekte auf – das Gen war an falscher Stelle eingebaut worden oder es entstanden sogenannte „Mosaikzellen“. Und: Lebensfähig waren die Embryonen nicht. Beim in „Nature“ beschriebenen Versuch hatte die Genschere zu 100 Prozent korrekt funktioniert.

Der körpereigene Reparaturmechanismus hatte dann bei 42 der 58 Embryonen dafür gesorgt, dass der Defekt richtig repariert wurde – dies entspricht 72,2 Prozent. Bei den anderen war die DNA zwar ebenfalls repariert, aber durch einen anderen Reparaturmechanismus, was zu anderen, unerwünschten Genveränderungen führte. Ohne Genbehandlung hätte die Hälfte der Embryos das HCM-auslösende Gen bekommen. Nach der Veröffentlichung der Studie schlugen die Wogen hoch. Der Deutsche Ethikrat sprach von „unseriösen Heilsversprechen“, die Medizinethikerin Claudia Wiesemann von der Uni Göttingen meinte jedoch, „dass die Technik unter Umständen praktikabel sein könnte“. Der Koautor der Studie, Juan Carlos Izpisua Belmonte, fasste zusammen: „Unsere Ergebnisse demonstrieren das große Potenzial einer Gentherapie am Embryo. Dank der Fortschritte in Gentechnik und Stammzelltechnologie können wir nun endlich beginnen, krankmachende Mutationen anzugehen, unter denen Millionen von Menschen leiden.“

Und der Branchendienst „Bild der Wissenschaft“ zitiert weiter: „Die Gentherapie steckt noch in den Kinderschuhen, obwohl dieser vorläufige Versuch sich als sicher und effektiv erwiesen hat.“ Es sei entscheidend, dass man dabei ethischen Überlegungen größte Aufmerksamkeit schenke. In Deutschland regelt das Embryonenschutzgesetz den Umgang mit menschlichen Eizellen. Hierzulande wären Versuche mit einer Genschere am menschlichen Genom nicht erlaubt, denn es ist nicht gestattet, eine Befruchtung im Reagenzglas durchzuführen ohne den Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft, also die künstliche Befruchtung.

Alexandra Regner PTA/Redaktion

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 142.

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